Ein Kommentar von Dr. Harald Mueller zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung für eine berufliche Tätigkeit in Kirche und Diakonie vom 17. April 2018:
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist sicher kommentierungswürdig und wird in den nächsten Tagen noch vielfach kommentiert werden, insbesondere von der evangelischen Kirche, der es gewissermassen einen deutlichen Schuss vor den Bug versetzt hat. Es ging im vorliegenden Fall um eine konfessionslose Bewerberin, die sich auf eine von der evangelischen Diakonie ausgeschriebene Referentenstelle beworben hatte, aber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Sie klagte wegen religiöser Diskriminierung auf Schadensersatz.
Staatlich Gerichte dürfen kirchliche Eignungsanforderungen überprüfen
Der Fall ging bis vor das Bundesarbeitsgericht, der den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Auslegung von EU-Recht angerufen hatte. Mit Urteil vom 17.04.2018 hat der Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestimmt, dass staatliche Gerichte befugt sind, nach objektiven Kriterien die kirchlichen Eignungsanforderungen von Mitarbeitern auf Vereinbarkeit mit dem europäischen Antidiskriminierungsrecht und der europäischen Grundrechtecharta zu überprüfen. Der Fall ist zur endgültigen Entscheidung an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen worden.
Es sind beim jetzigen Urteil des EuGH folgende Aspekte zu berücksichtigen: Die deutsche Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien hat in Art. 9 des deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes den Kirchen das Recht zur Ungleichbehandlung eingeräumt, wenn eine bestimmte Religionszugehörigkeit nach dem Selbstverständnis der betreffenden Kirche eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellte. Die evangelische Kirche hat hier grundsätzlich eine Mitgliedschaft in einer evangelischen Landeskirche verlangt, es sei denn, es handelte sich um Aufgaben, die nicht der Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leitung zuzuordnen waren. Für Letztere genügte die Mitgliedschaft in einer Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) oder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF). Ab 2017 gelten Regelungen, die etwas offener sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reichte es aus, dass das kirchliche Selbstverständnis und die sich daraus ableitenden beruflichen Voraussetzungen lediglich plausibel gemacht wurden, um rechtmässig zu sein. Den Kirchen wurde damit trotz der mittlerweile vorhandenen europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien eine weitgehende Autonomie zugestanden, wie sie das deutsche Religionsverfassungsrecht historisch bedingt vorsieht.
Dahinein zielt nun das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Es sagt klipp und klar, dass zwar das Ethos der Religionsgemeinschaften frei von gerichtlicher Kontrolle ist, nicht aber mehr die Frage, ob die Religionszugehörigkeit angesichts des Ethos eine wesentliche, rechtmässige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Dieses unterliegt der gerichtlichen Kontrolle nach objektiven Kriterien, d. h. staatliche Gerichte haben das Recht, darüber zu befinden, ob die kirchlichen Anforderungen den europäischen Antidiskriminierungsmassstäben entsprechen, unter Umständen haben sie nationale Vorschriften sogar ausser Acht zu lassen, wenn sie insoweit nicht mit dem Europarecht übereinstimmen.
Keine rechtsfreien Räume bei Diskriminierung
Die Bürgerinnen und Bürger der EU haben einen unmittelbaren Rechtsanspruch aus der EU-Grundrechtecharta auf diskriminierungsfreie Behandlung. Es gibt damit keine rechtsfreien Räume, was Diskriminierung anbelangt. Dieses ist grundsätzlich positiv, allerdings muss man Folgendes beachten: Die nun gefällte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zeigt eine Entwicklung auf, die mit der Geltung der Antidiskriminierungsrichtlinien in Gang gesetzt wurde. Da es um die Auslegung von EU-Recht geht, können bzw. müssen nationale Gericht den EuGH zur Klärung anrufen und dieser Gerichtshof erhält dadurch Gelegenheit, sich zu religionsrechtlichen Themen zu äussern, wie er es erst jüngst mit zwei Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit von Kopftüchern am Arbeitsplatz getan hat. Dieses ist neu. Früher hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Fragen der Religion so gut wie keine Stellung nehmen müssen.
Der Europäische Gerichtshof legt religionsrechtliche Fragen für ganz Europa aus
Noch etwas anderes fällt auf: Der EuGH legt religionsrechtliche Fragen für ganz Europa aus und zwar ohne Rücksicht auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht der Religionsfreiheit bislang einen grossen Freiheitsraum gewährt. Davon haben sowohl einzelne Personen profitiert als auch Kirchen und Religionsgemeinschaften. Man konnte sich auf den Schutzbereich der Religionsfreiheit berufen, wenn man die religiöse Begründung eines bestimmten Verhaltens plausibel machen konnte.
Einschränkbarkeit der Religionsfreiheit?
Der EuGH geht hingegen nach anderen Kriterien vor, die eine Einschränkbarkeit der Religionsfreiheit eher wahrscheinlich machen. Es bleibt daher mit einer gewissen Sorge abzuwarten, wohin die Entwicklung zukünftig tendiert und inwieweit der hohe Schutzstandard, den das Bundesverfassungsgericht bezüglich der Religionsfreiheit aufgebaut hat, durch die europarechtliche Rechtsprechung verändert und möglicherweise verringert wird.
[Hinweis der Redaktion: Der Jurist Dr. Harald Mueller leitet das Institut für Religionsfreiheit der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten.]