Andry Priymak, baptistischer Kriegsdienstverweigerer. © Foto: Baptist Council of Churches/Forum 18

Ukraine: Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen wegen „Ungehorsams“

Oslo/Norwegen | 19.03.2025 | APD | Menschenrechte

Rund 200 Fälle gegen Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, gemäss Artikel 336 des Strafgesetzbuches der Ukraine, sind bereits vor Gericht anhängig. 171 richten sich gegen Zeugen Jehovas, einige gegen Adventisten, Baptisten und Pfingstler.

Wie Forum 18, norwegische Menschenrechtsorganisation, berichtet, wurden gegen weitere 600 Kriegsdienstverweigerer, die aus Gewissensgründen einen Antrag auf zivilen Kriegsersatzdienst gestellt haben, Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auch Verfahren gegen adventistische Kriegsdienstverweigerer
Der Prozess gegen den Kriegsdienstverweigerer der Siebenten-Tags-Adventisten Oleksandr Volodymyrovych Kurochkin geht weiter. Richter Dmytro Shkorupeev wird den Fall am 20. März 2025 vor dem Bezirksgericht Suvorov in Odessa wieder aufnehmen. Auch der Prozess gegen den adventistischen Kriegsdienstverweigerer Mykhailo Fedorovych Matviychuk, wird fortgesetzt. Richter Serhy Makeyev wird die Verhandlung am 24. März 2025 vor dem Bezirksgericht Dubno fortsetzen.

Der Fall des Baptisten Serhy Mikhaylovych Semchuk
Ende Januar wurde der Baptist Serhy Mikhaylovych Semchuk an seinem Arbeitsplatz festgenommen und ins Gefängnis gebracht, um seine fünfjährige Haftstrafe anzutreten. Nach Ablehnung seines Antrags auf zivilen Kriegsersatzdienst war Semchuk im Dezember 2022 zum Militärdienst einberufen worden. Er erklärte sich bereit, im Militär zu dienen, allerdings entsprechend seiner Glaubensüberzeugung ohne Waffen. Von der Rekrutierungsstelle wurde ihm zugesichert, dass das akzeptiert würde.

Dann wurde er einer Militäreinheit zugeteilt. Im Dezember 2023 befahl der Kommandant Semchuk und anderen Soldaten, sich mit Maschinengewehren zu bewaffnen. Semchuk weigerte sich und sagte dem Kommandanten, dass es ihm sein Glaube verbiete, zu den Waffen zu greifen. Daraufhin wurde er im Januar 2024 verhaftet und nach drei Tagen in Haft bis zum Prozess auf Kaution entlassen. Am 8. Mai 2024 wurde er von Richterin Tetyana Shtikh von einem Gericht in Charkiw nach Artikel 402, Teil 4 des Strafgesetzbuchs, für schuldig befunden („Ungehorsam bei Kriegsrecht oder in einer Kampfsituation“) und zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Semchuk erklärte vor Gericht, dass er seit 2012 Mitglied der Baptistengemeinde seines Heimatortes Brody wäre und wies dies durch eine Bestätigung des Pastors nach. „Die Glaubensüberzeugungen der genannten Kirche verbieten den Einsatz von Waffen gegen Menschen, was er anlässlich der Vorbereitung zur Mobilmachung dem Militärkommissar mitteilte“ heisst es in der schriftlichen Ausfertigung des Urteils. Derzeit (Stand März 2025) befindet sich Serhy Semchuk im Gefängnis in Lwiw.

Neue Taktik gegen Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen
Einer kleinen, aber steigenden Zahl von Personen, die aus Gewissensgründen die Mobilisierung verweigern und noch nicht beim Militär sind, droht eine Anklage nach Artikel 402, Teil 4 des Strafgesetzbuchs, obwohl sich dieser Artikel gegen Angehörige des Militärs richtet. Seit Herbst 2024 berufen sich Ermittler und Staatsanwälte vermehrt auf diese Strafbestimmung. „Artikel 402 ist zu einer Taktik gegen Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen geworden, um verstärkten Druck auf sie auszuüben, dass sie nachgeben, ihre Überzeugungen aufgeben und den Militärdienst akzeptieren“, erklärten Zeugen Jehovas gegenüber Forum 18. Bei einer Strafandrohung von fünf bis zehn Jahren Haft ist dies ein starkes Druckmittel.

Verfassung der Ukraine hat höhere Rechtskraft und Vorrang vor nationaler Gesetzgebung
Valentyn Adamchuk, Mitglied einer Pfingstgemeinde, wurde ebenfalls wegen seiner Verweigerung des Kriegsdiensts zu drei Jahren Haft verurteilt, obwohl ihm das Büro des parlamentarischen Menschenrechtskommissars der Ukraine auf seinen Antrag zugesichert hatte, dass die Verfassung der Ukraine höhere Rechtskraft und Vorrang vor nationalen Gesetzgebung hat und daher das Recht einer Person auf Ersatzdienst und ihre Befreiung vom Kriegsdienst ein absolutes Recht ist und auch trotz Geltung des Kriegsrechts nicht eingeschränkt werden kann. Am 29. Januar wurde das Urteil gegen Adamchuk gefällt. Er hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Artikel 18 der Menschenrechtskonvention schützt Kriegsdienstverweigerung
Das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte stellte fest, dass die Verweigerung des Kriegsdiensts aus Gewissensgründen gemäss Artikel 18 des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte („Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“) geschützt ist und anerkennt jedermanns Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen als legitime Ausübung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. In seiner Publikation zum Thema hat das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte auch festgestellt, dass Artikel 18 ein unveräusserliches Recht gewährt, selbst in Zeiten eines nationalen Notstands, der das Leben der Nation bedroht.

Auch Artikel 35 der ukrainischen Verfassung garantiert das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Das Verteidigungsministerium der Ukraine besteht hingegen darauf, dass in Kriegszeiten nicht einmal der in Friedenszeiten mit Einschränkungen erlaubte zivile Kriegsersatzdienst existiert.

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 10. März 2025)
Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA und APD

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