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Der Erfolg der Freikirchen in der Schweiz

Bern/Schweiz | 15.09.2011 | APD | Schweiz

In den Freikirchen versammeln sich jedes Wochenende doppelt so viele Gottesdienstbesucher wie in evangelisch-reformierten Kirchen und nur ein Viertel weniger als in römisch-katholischen Kirchen – obwohl offiziell nur zwei Prozent der Schweizerinnen und Schweizer einer Freikirche angehören. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung des Nationalen Forschungsprogramms «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» (NFP 58).

Laut der Medienmitteilung des NFP 58 haben Religionssoziologen um Jörg Stolz, Universität Lausanne, erstmals gezählt, wie viele lokale religiöse Gemeinschaften aller Glaubensrichtungen in der Schweiz existieren – also alle Gruppen, die sich regelmässig an einem bestimmten Ort zu religiösen oder spirituellen Zwecken versammeln. Beispiele für solche Gemeinschaften seien katholische Pfarreien, reformierte Kirchgemeinden, freikirchliche Gemeinden, Moscheen, Zen-Zentren und Israelitische Gemeinden. Die Wissenschaftler hätten Listen und Statistiken durchforstete, Experten und Kirchenvertreter befragt und hätten gesamthaft 5734 Gemeinschaften in der Schweiz gezählt. Mit Verantwortlichen von 1040 Gemeinschaften seien Interviews geführt worden.

Rund die Hälfte der Gemeinschaften gehöre der römisch-katholischen (30,5 Prozent) oder der evangelisch-reformierten Kirche (19,1 Prozent) an. Deutlich mehr Gruppierungen als die Reformierten stellten aber die evangelischen Freikirchen mit 24,8 Prozent. Dies erstaune, so die NFP-Studie, da gemäss der Volkszählung vom Jahr 2000 nur etwa zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung einer Freikirche angehörten. Dies sei dadurch erklärbar, dass die kleinen Freikirchen fast nur bekennende und aktive Mitglieder hätten.

690'000 Gottesdienstbesucherinnen und -besucher
Während die Mitgliederzahl einer durchschnittlichen Gemeinde der beiden offiziellen Landeskirchen bei etwa 1750 (römisch-katholisch) respektive 2200 (evangelisch-reformiert) liege, gehörten einer mittleren Freikirche gerade einmal 72 Menschen an, die aber alle regelmässig zur Kirche gingen. Bei der Befragung hätten die Verantwortlichen der freikirchlichen Gemeinschaften angegeben, dass sogar mehr Gläubige als Mitglieder (Quote von 111 Prozent) am letzten Gottesdienst teilgenommen hätten. Bei den Katholiken sei die Teilnahmequote dagegen bei 4 Prozent, bei den Reformierten sogar nur bei 3 Prozent der Mitglieder gelegen, so die NFP-Studie.

Aufgrund dieser Zahlen schätzen die Forschenden, dass sich an einem gewöhnlichen Wochenende in der Schweiz 690'000 Menschen (jeder elfte Einwohner) versammeln, um ein religiöses Ritual durchzuführen: 38 Prozent in katholischen Kirchen, 29 Prozent in evangelischen Freikirchen, 14 Prozent in reformierten Gotteshäusern und knapp 11 Prozent in muslimischen Gemeinschaften. „Jedes Wochenende stellen die Freikirchen also bloss etwa 25 Prozent weniger Gottesdienstbesucher als die katholische Kirche und sogar mehr als das Doppelte der reformierten Kirchgänger, obwohl die Katholiken 30 Mal und die Reformierten 24 Mal mehr offizielle Mitglieder aufweisen als die evangelischen Freikirchen“, so Jörg Stolz.

Missionieren lohnt sich
Die Studie bestätige, dass die etablierten Kirchen tendenziell kleiner würden. Bei den evangelischen Freikirchen gäbe es klare Unterschiede: Während konservative Gemeinschaften (z.B. Brüderverein, Action Biblique) ebenfalls schrumpften, blieben klassische Gemeinschaften stabil (Chrischona, FEG). Charismatische Gemeinschaften hingegen würden deutlich wachsen (Pfingstgemeinden, ICF). Diese hätten auch ein jüngeres Publikum als die Volkskirchen.

Die religiöse und moralische Striktheit der Freikirchen spiele entgegen bisheriger Vermutungen keine entscheidende Rolle bei ihrem Erfolg. Freikirchen seien zwar moralisch strikt, d.h. sie gäben ihren Mitgliedern klare Verhaltensvorschriften, doch dies begründe deren Erfolg nicht. Als wichtigen Grund für das Wachstum macht die Studie die aktive Suche nach neuen Mitgliedern aus. Fast alle Freikirchen ermutigten ihre Mitglieder, neue Personen einzuladen, und viele schalteten Inserate in Zeitungen. Erhöht werden die Wachstumschancen laut der Studie auch, wenn eine Gemeinschaft Anstrengungen unternimmt, die Kinder der Angehörigen in ihrer religiösen Tradition aufzuziehen. Einige Glaubensrichtungen profitierten zudem von der Immigration. Das treffe auf die Muslime zu, aber auch auf die Lutheraner. Diese Gemeinschaft wachse vor allem wegen der Einwanderung aus Deutschland, so die NFP-Studie.

Nationales Forschungsprogramm NFP 58
Der Bundesrat hat am 2. Dezember 2005 das Nationale Forschungsprogramm «Religionen in der Schweiz» (NFP 58) bewilligt und mit 10 Millionen Franken dotiert. Die Forschungsprojekte haben eine Laufzeit von drei Jahren. Die wissenschaftlichen Arbeiten laufen seit Sommer 2007. Es soll unter anderem folgende Fragen klären: Wie lassen sich die verschiedenen neuen Religionsgemeinschaften erfolgreich in die Schweiz integrieren? Wie verständigen sich die verschiedenen Religionen untereinander und wie mit den nicht religiösen Bevölkerungsanteilen? Muss der Staat sein Verhältnis zur Religion und den Religionen überdenken und eine aktivere Rolle spielen als bisher?

Das NFP 58 verfolgt drei Ziele. Es soll (1) die grundlegenden Veränderungen in der Religiosität der Einzelnen und der religiösen Landschaft untersuchen; (2) die Grundlagen für die Gestaltung von Religions- und Bildungspolitik liefern; (3) untersuchen, wie das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften, aber auch religiöser und nicht-religiöser Menschen gefördert werden kann.

Das NFP 58 ist interdisziplinär angelegt. In den 28 bewilligten Projekten arbeiten Forschende aus Religionswissenschaft, Soziologie, Geschichte, Theologie, Ethnologie, Islamwissenschaft, Tibetologie, Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik, Sozialpädagogik und Gerontologie.

Der Schlussbericht der NFP 58-Studie „Die Religiösen Gemeinschaften in der Schweiz: Eigenschaften, Aktivitäten, Entwicklung“, kann im Internet eingesehen werden:
http://www.nfp58.ch/files/news/126_Schlussbericht_Stolz_Chaves.pdf

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