In einem ökumenischen Gottesdienst in Stuttgart haben sich der Vorsitzende der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford- Strohm, offiziell gegenseitig die beiden neuen Bibelübersetzungen überreicht. Lutherbibel und Einheitsübersetzung sollen künftig zusammen in ökumenischen Gottesdiensten verwendet werden.
Die Bibel eine „sprudelnde Quelle“
Kardinal Marx betonte in seiner Einführung in der katholischen St. Eberhard Kirche in
Stuttgart, dass die Beschäftigung mit der Bibel keine Saisonaufgabe sei. „Sie ist eine sprudelnde Quelle. Das Wasser, das aus ihr geschöpft wird, wird nicht weniger, sondern mehr. Je mehr wir uns mit der Heiligen Schrift auseinandersetzen, desto mehr erfahren wir das Geheimnis Christi“, so Kardinal Marx. „Es freut mich sehr, dass wir in einem solch ökumenisch bedeutsamen Jahr 2017, in dem wir uns gemeinsam an die Ereignisse der Reformation vor 500 Jahren erinnern und sie heute als Christusfest feiern, Gottes Wort in unsere Mitte stellen.“
Die Bibel das „Buch der Bücher“
In seiner Predigt sagte der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Bedford-Strohm: „Es gibt nichts, was es nicht in der Bibel gibt, sie schreitet den Rand und die Mitte der menschlichen Existenz ab und stellt alles vor Gott. Deswegen gilt für mich: Die Bibel ist das Buch der Bücher und die Quelle der Humanität, ja die Quelle allen erfüllten Lebens, denn sie kennt den diesseitigen Menschen in allen Aspekten, aber sie reduziert ihn nicht auf`s Diesseits, sondern erschliesst die Quellen des Lebens, die aus der Ewigkeit kommen.“
Ökumene mit zwei Bibeln
In den vergangenen Jahren wurden die Einheitsübersetzung und die Lutherbibel jeweils einer eingehenden Überprüfung und Revision unterzogen. Bei der Überreichung der neuen Bibeln sagten Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm: „Mit den neuen Übersetzungen erinnern wir uns an unsere gemeinsame Grundlage – die Heilige Schrift – und bringen gleichzeitig unsere Wertschätzung für die jeweils andere Übersetzung zum Ausdruck. Für die ökumenischen Gottesdienste auf den verschiedenen Ebenen empfehlen wir, auf die Texte der revidierten Einheitsübersetzung und Lutherbibel zurückzugreifen und wenn möglich auch beide Übersetzungen zu Gehör zu bringen.“
Die Geschichte der Einheitsübersetzung
Die erste Idee zu einer einheitlichen deutschen Übersetzung der Bibel kam 1960 auf. Als das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) eine biblische Erneuerung von Seelsorge und Liturgie forderte, machte es auch den Weg frei für die Liturgie in den Volkssprachen. Wollte man dem Wunsch des Konzils gerecht werden, wurden getreue und praxistaugliche Bibelübersetzungen benötigt. Deshalb beschlossen die katholischen Bischöfe des deutschen Sprachgebiets sich am Projekt „Einheitsübersetzung“ zu beteiligen. 1979 erschien schliesslich die Einheitsübersetzung in verbindlicher Fassung als offizielle Bibelausgabe der römisch-katholischen Kirche im deutschen Sprachgebiet.
An der Einheitsübersetzung, die ursprünglich nur als gemeinsame Bibel für den katholischen Gottesdienst im deutschsprachigen Raum gedacht war, hatten von Beginn an auch evangelische Theologen mitgearbeitet. An der Übersetzung der Psalmen und des Neuen Testaments wirkte dann auf Bitten der Deutschen Bischofskonferenz die EKD offiziell mit. 1970 schlossen Bischofskonferenz und EKD einen Vertrag über die gemeinsame Arbeit an der neuen Bibel. Seit 1980 war diese auch für den Gebrauch in der evangelischen Kirche freigegeben und wurde insbesondere in ökumenischen Veranstaltungen neben der Lutherbibel verwendet.
Aufkündigung der Zusammenarbeit
Im Zuge der Revisionsarbeiten kam es jedoch zu einem Konflikt zwischen der römisch-katholischen und der evangelischen Seite, in dessen Folge die EKD den 1970 geschlossenen Vertrag im Jahr 2005 aufkündigte. Als entscheidendes Hindernis einer weiteren evangelisch-katholischen Zusammenarbeit an dem Projekt bezeichnete damals die EKD in einer Presseerklärung die vatikanische Instruktion über den „Gebrauch der Volkssprache bei der Herausgabe der Bücher der römischen Liturgie“ vom 28. März 2001. Dort seien Kriterien enthalten, „die von evangelischer Seite nicht mitgetragen werden können“. Der damalige EKD-Ratsvorsitzende und Berliner Landesbischof Wolfgang Huber wies darauf hin, dass in dem Vatikan-Text betont werde, dass bei einer Bibelübersetzung auch die katholische Glaubenslehre Berücksichtigung finden müsse. Im Protestantismus dagegen gelte allein die Heilige Schrift als Grundlage des Glaubens. Ausserdem befürchtete die EKD, dass die evangelischen Vertreter in strittigen Übersetzungsfragen überstimmt werden könnten.
Der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, erklärte 2005 zur Absage des Rates des EKD, dass es „eine erhebliche Belastung“ sei, „wenn gerade im Land der Reformation, wo wir über ein Vierteljahrhundert schon auf eine gemeinsame Übersetzung zurückgreifen konnten, dieses gemeinsame Zeugnis unterbrochen wird, während viele Nachbarn in anderen Ländern inzwischen ökumenisch vereinbarte Übersetzungen geschaffen haben“. Die neue Einheitsübersetzung ist daher keine ökumenische Bibel mehr, sondern wird allein von der römisch-katholischen Kirche verantwortet.
Neue Lutherbibel seit Oktober 2016 im Handel
Nach fünfjähriger Arbeit wurde bereits im September 2015 die Revision der Lutherbibel abgeschlossen. Dazu hatte der Rat der EKD zur Koordination einen Lenkungsausschuss eingesetzt, in dem rund 70 exegetische Wissenschaftler, praktische Theologen sowie kirchleitende Personen vertreten waren. Die Deutsche Bibelgesellschaft wurde mit der Herstellung und Verbreitung der neuen Bibel betraut. Die neue Bibel erschien zum Reformationstag 2016, der offizielle Verkaufsstart war der 19. Oktober 2016.
Die Geschichte der Lutherbibel
Die Lutherbibel geht auf die Übersetzungen des Reformators Martin Luther und seiner Mitarbeiter in den Jahren 1521 bis 1545 zurück. Die Übersetzung des Neuen Testaments erschien im September 1522 (Septembertestament). In den folgenden Jahren wurden kontinuierlich weitere Bücher der Bibel übersetzt, bis 1534 die erste Gesamtausgabe des Alten und Neuen Testaments erschien. Im Jahr 1545 kam die letzte von Luther selbst durchgesehene Gesamtausgabe heraus.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man die Bibelübersetzungen, die auf Martin Luther zurückgingen, sich aber durchaus unterschieden, kritisch durchzusehen und eine erste Revision vorzunehmen. Sie hatte das Ziel, den ursprünglichen Luthertext wiederherzustellen und diesen an jenen Stellen, wo er nicht mehr verständlich oder unklar war, an den allgemeinen Sprachgebrauch anzugleichen. Immer noch in Gemeinde-Gebrauch ist der Text der zweiten Revision von 1912.
Die dritte und letzte Revision wurde in den Jahren 1964 (Altes Testament), 1970 (Apokryphen) und 1984 (Neues Testament) abgeschlossen. Zu einer heftigen Auseinandersetzung kam es im Zuge der Revisionsarbeiten im Jahr 1975. Der damals vorgelegte revidierte Text des Neuen Testaments stiess in weiten Teilen der evangelischen Kirche auf zum Teil massive Kritik. Man vermisste vor allem die „Treue gegenüber der Sprache Luthers“. Es wurde eine „Nach-Revision“ vorgenommen, sodass der gesamte Prozess der Revision erst 1984 zum Abschluss kam. Im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Rechtschreibung 1999 wurde der Text noch einmal durchgesehen.