Daniel Zwiker, Psychotherapeut und Theologe © Foto: privat

Religiöser Missbrauch - «Glaube mit Risiken und Nebenwirkungen»

Basel/Schweiz | 18.01.2019 | APD | Schweiz

Am 17. Januar referierte Daniel Zwiker, eidg. anerk. Psychotherapeut und Theologe, im Adventhaus Basel zum Thema «Glaube mit Risiken und Nebenwirkungen» - Vom religiösen Missbrauch im frommen Gewand. Die Veranstaltung wurde von der Ortsgruppe Basel des Vereins Liga Leben und Gesundheit LLG im Rahmen ihrer Vortrags- und Seminartätigkeit organisiert. Der Verein wurde 1954 von der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten gegründet und hat die ganzheitliche Gesundheitsförderung zum Ziel.

Die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation WHO sei ganzheitlich und umfasse den Menschen als bio-, psycho-, sozio- und spirituelles Wesen, sagte Zwiker. In allen diesen Bereichen könne es zu Grenzüberschreitungen kommen, was übergriffig sei. Dies betreffe auch den spirituellen bzw. religiösen Bereich.

Der Psychotherapeut verwies auf eine Auflistung von Beispielen, wie sich religiöser Missbrauch in kirchlichem Bereich äussern kann, die auf der Webseite www.geistlicher-missbrauch.ch aufgeführt sind: Wer ein Problem anspricht, wird selbst zum Problem gemacht. Wer Leitungspersonen kritisiert, hat ein Autoritätsproblem. Seelsorgerliche Sitzungen werden zur Kontrolle missbraucht, auch um das Privatleben zu bestimmen. Dabei könne einem der Glaube abgesprochen werden, man werde als psychisch angeschlagen oder als Werkzeug Satans bezeichnet.

Begriffsklärung
Er bevorzuge bei dieser Thematik den Begriff „religiöser“ Missbrauch und nicht die allgemein übliche Bezeichnung „geistlicher“ Missbrauch, so Zwiker. „Geistlich“ stehe für ihn als Christ in Bezug zum Heiligen Geist, den er mit Aufbauendem, Positivem verbinde und nicht mit Missbrauch. Missbrauch komme in frommem, religiösem Mantel daher, deshalb verwende er den Begriff „religiöser“ Missbrauch. Die Problematik sei aber auch in der Esoterik oder bei Ideologien bekannt, immer dann, wenn der Mensch etwas Übermenschlichem unterordnet werde zur Legitimation eigener Ziele oder Bedürfnisse.

Voraussetzungen
Voraussetzungen für religiösen Missbrauch sei ein Machtgefälle das vom Täter gefordert oder vom Opfer dem Täter zugeschrieben werde, das auch von intellektuellen Unterschieden bzw. der Position der Beiden im kirchlichen Setting beeinflusst werden könne. Macht werde dabei zur Eingrenzung der Freiheit des Anderen verwendet. Hinzu komme, dass die Opfer religiösen Missbrauchs den Tätern oft unentrinnbar ausgeliefert seien. Missbrauchten würde Folgen wie Schuld, Gottesstrafe, Beschämung, Ausgrenzung, Verlust des Heils angedroht und sie erlebten sich ohnmächtig, sich zu wehren. Laut Zwiker liegt auch dann religiöser Missbrauch vor, wenn die Missbrauchten den Missbrauch gar nicht als solchen wahrnehmen und dem Täter diese Autorität zugestehen.

Kriterien und Definition von religiösem Missbrauch
Bei religiösem Missbrauch geht es laut Zwiker um Kontrolle über Denken und Psyche eines anderen: Seine Werte, Meinungen, Gefühle und Bedürfnisse gelten nicht und werden „wegtheologisiert“ oder „wegrationalisiert“. Es werde oft auch eine ungesunde Spiritualität gelebt, bei der das eigene Denken, Wahrnehmen und Empfinden nicht gefördert werde. Als Folge sei zu beobachten, dass es zu tiefen Verunsicherungen komme, sich abhängige Persönlichkeitszüge entwickelten, das Gottesbild von Angst geprägt und kein gesundes Selbstwertgefühl im Leben und Glauben vorhanden sei.

Es werde von religiösem Missbrauch gesprochen, wenn Grenzen, die Gott jedem Menschen zugedacht habe, aus religiösen Gründen überschritten werden und damit der Lebensraum eingeengt werde. Das könne Betroffenen ohne deren Einverständnis übergestülpt werden oder sie würde es mittels religiös getarnter Manipulation bereitwillig zulassen.

Subtile Formen religiösen Missbrauchs
Daniel Zwiker wies auf subtile Formen religiösen Missbrauchs hin, wenn Unerklärbares oder Unverstehbares religiös verurteilt werde: Wer richtig bete und glaube, habe keine Depressionen bzw. Krankheiten würden geheilt, oder: Zwangsgedanken seien Ausdruck von Besessenheit. Oft werde auch die eigene Intuition mit der Aussage verklärt: „Gott hat mir gezeigt!“ Zu den subtilen Formen religiösen Missbrauchs gehöre auch die Vorstellung: Wer glaubt, ist glücklich.

Als Theologe wisse er um die Verantwortung, die ein Pastor mit der Predigt habe. Es sei viel einfacher, Schuldgefühle bei den Zuhörern zu generieren, als sie – ohne Rosabrille – aufzurichten und zu ermutigen. Jesus habe nie jemanden beschämt, so Zwicker. Es gehe deshalb darum, ethisch zu predigen. Zudem sollte sich jeder Verkündiger der eigenen narzisstischen Anteile bewusst sein.

Laut Zwiker kann auch Positives zur Sucht werden, das treffe ebenfalls auf die Religion zu. Man weiche dann den eigentlichen Problemen aus, verkläre sie oder kontrolliere die Lebensrealität durch Religion. „Religiös süchtige Menschen leben ihr Leben nicht aus der Beziehung zu Gott und im Kontakt zu sich selbst, sondern vor allem nach festgelegten Ritualen, Prinzipien und Glaubenssätzen“, so Zwiker. Ihr Glaube sei nicht intrinsisch – aus eigenem Antrieb motiviert, sondern extrinsisch – von aussen gesteuert.

Heilungsprozess
Beim Heilungsprozess von religiösem Missbrauch, der Zeit in Anspruch nehme, gehe es zuerst um eine Stabilisierung, bei der eine neue Beziehung zu sich selbst und Gott aufgebaut werde. Die Aufarbeitung des Vergangenen gelinge am besten an einem geschützten Ort mit gesunden Grenzen. Das Erlebte müsse benannt werden, inklusive der Anteile von Täter und Opfer. Die dabei auftretenden Gefühle von Wut, Angst, Trauer und Schmerz gelte es zuzulassen, so der Psychotherapeut.

Bei der Aussprache wurde die religiöse Kindererziehung angesprochen und wie dabei Manipulation und religiöser Missbrauch vermieden werden könne. Daniel Zwiker verwies dabei darauf, dass er diese Thematik auch im Rahmen der Ausbildung der Kinderbetreuenden und Religionslehrenden beim adventistischen Religionspädagogischen Institut RPI vorgetragen habe.

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