Gottesdienstteilnehmende am Samstag in der reformierten Kirche in Kirchenthurnen/BE. © Foto: z.V. (Publikation mit Zustimmung der Teilnehmenden)

Adventisten aus dem LGBTQIA+-Spektrum trafen sich in Aeschiried

Spiez/Schweiz | 09.09.2022 | APD | Schweiz

Vom 1. bis 5. September haben sich mehr als 60 Personen, die adventistische Christen sind oder waren und dem LGBTQIA+-Spektrum angehören, in Aeschiried, im Berner Oberland, getroffen. Dazu gehörten auch Freunde, Angehörige und Unterstützende. Das 21. Europäische SDA-Kinship Treffen fand dieses Jahr zum ersten Mal in der Schweiz statt. Die Teilnehmenden kamen vorwiegend aus deutschsprachigen und anderen europäischen Ländern aber auch aus den USA, Venezuela und Kolumbien.

Organisiert wurde das jährliche Treffen von „Seventh-day-Adventist Kinship Europe“, einer privaten Organisation, die sich seit Jahrzehnten aktiv für queere Menschen in der adventistischen Kirche, für ehemalige Kirchenmitglieder und ihre Familien einsetzt. Unterstützt wurde das Meeting vom treff21, der regionalen adventistischen Kirchgemeinde in Heimberg, die seit 2021 Kinship-Partnergemeinde ist und von der deutschen Sektion von SDA-Kinship.

«Komm, atme auf!»
Das verlängerte Wochenende stand unter dem Motto «Komm, atme auf!» Die Besuchenden habe ein «inspirierendes und abwechslungsreiches Programm» erwartet, sagte Christian Alt, einer der Organisatoren gegenüber APD. Zentral sei die Zeit der Begegnung mit anderen LGBTQIA+-Menschen und unterstützenden Freunden gewesen. Umgekehrt habe dieses Wochenende heterosexuellen Kirchenmitgliedern die Möglichkeit geboten, vielen queeren Menschen persönlich zu begegnen und ihnen Fragen zu stellen.

Der Freitag stand thematisch unter dem Motto „Aufatmen – Depressionen überwinden – Wunden heilen lassen – Leben gestalten“.

Markant höhere Suizidrate
Der Arzt und Theologe Dr. med. Ruedi Brodbeck referierte über konkrete und praktische Wege der Bewältigung von Depressionen. Er verwies dabei auf den grossen Wert der zwölf natürlichen Prinzipien für ganzheitliche Gesundheit, wie sie im NewstartPlus®-Konzept zusammengefasst sind. Besondere Beachtung erhielt auch das Thema Vergebung, als Schlüsselelement für seelische Heilung. Menschen aus dem LGBT-Spektrum haben ein rund fünf Mal höheres Risiko, psychisch zu erkranken und eine entsprechend markant höhere Suizidrate. Die allermeisten sind Opfer von Diskriminierung und Ausgrenzung, nicht selten in der eigenen Familie und Kirchgemeinde.

Barbara Witzig, MA praktische Theologie, hielt eine Morgenandacht und stellte anschliessend unter dem Titel „Seelsorge an LGBTQIA+ Personen - Grundlagen und ethische Überlegungen“ zwei Forschungsarbeiten vor, die sie im Rahmen ihres Theologiestudiums eingereicht hatte.

Gottesdienst in der reformierten Kirche in Kirchenthurnen
Am Samstag fand in der reformierten Kirche Kirchenthurnen/BE ein Gottesdienst statt, zu dem die Veranstalter des Kinship-Wochenendes Freunde und Gäste eingeladen hatten. Anschliessend gab es für alle auf einem nahegelegenen Bauernhof ein gemeinsames Mittagessen, ein sogenanntes „Potluck“, gefolgt von einer Tauffeier.

Abgerundet wurde der Tag im Tagungszentrum „Z Aeschiried“ mit einem Kaminfeuer Interview. Daniel Zwiker MA, Psychotherapeut ASP und Theologe MA, gab Auskunft über seine Erfahrungen mit queeren Menschen und ermutigte die Anwesenden, ihren von besonderen Herausforderungen geprägten Lebensweg selbstbewusst zu gehen.

Am Sonntag konnten die Teilnehmenden aus vier verschiedenen Ausflugsprogrammen auswählen, um bei wunderschönem Spätsommerwetter Land und Leute näher kennen zu lernen.

Stimmen von Teilnehmenden
In der Feedbackrunde zum Tagungsausklang äusserten Teilnehmende, was ihnen Kinship und dieses Wochenende bedeuten. Ein Gast aus den USA betonte, er habe neben der guten Organisation vor allem die herzliche Gastfreundschaft der lokalen Kirchgemeinde geschätzt: „Das war eine fantastische Erfahrung, besonders weil so viele Menschen, auch adventistische Pastoren, als Unterstützende dabei waren. So etwas habe ich selten erlebt“. Eine Teilnehmerin zitierte das bekannte Wort von Axel Kühner: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“, und bekannte: „In den schweren Zeiten meines Lebens wurde Kinship für mich zu einem Teil dieser Hand Gottes“. Ruud Kieboom, Leiter von SDA-Kinship Europa, bemerkte zum Abschluss der Tagung: „Wir sind überwältigt vom unerwarteten Wachstum der Gruppe und möchten eine offene und lernende Gemeinschaft bleiben“.

Seventh-day Adventist Kinship International
SDA-Kinship ist eine private unterstützende Organisation für aktive und ehemalige Siebenten-Tags-Adventisten aus dem LGBTQIA+-Spektrum. Sie wurde 1981 in den USA mit dem Ziel gegründet, lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, asexuellen und intersexuellen Menschen und ihren Angehörigen eine sichere spirituelle und soziale Gemeinschaft zu bieten. Sie hat heute rund 4.500 Mitglieder in über 60 Ländern.

Der Präsident von SDA-Kinship-International, Floyd Pönitz, wünscht sich für die Zukunft mehr direkten Dialog mit den Verantwortungsträgern der adventistischen Kirche. Er betont, dass die Zeit reif sei, nicht länger über, sondern mit den Betroffenen zu sprechen. Er machte deutlich: „Die grösste Herausforderung für SDA-Kinship ist das Bekanntwerden in der eigenen Gemeinschaft. Auch nach über 40 Jahren des Bestehens, wissen nur ganz wenige, dass es Kinship überhaupt gibt. Wir sind leider eines der am besten gehüteten Geheimnisse der adventistischen Kirche. Wer sich outet, d.h. zu seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität öffentlich steht, erlebt bis heute vom eigenen Umfeld Ausgrenzung und Ablehnung. Viele verlassen deshalb die Kirche und leider oft auch den Weg mit Gott. Das muss aufhören. SDA-Kinship strebt nicht nur danach, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem Mitglieder gehört und verstanden werden, sondern ebenfalls Kirchenleiter darüber aufzuklären, was es wirklich bedeutet, LGBTQIA+/queer zu sein.“

Stellungnahmen der adventistischen Weltkirchenleitung zu Transgender
Es gibt ein Statement des Biblischen Forschungsinstituts (Biblical Research Institute BRI) der adventistischen Weltkirchenleitung "Statements on Transgenderism" von 2014, das ausführlich zur Thematik Transgender Stellung nimmt. Das Statement steht unter dem Vorbehalt "current position" (gegenwärtige Position), was darauf schliessen lässt, dass sich die Stellungnahme der Kirche in diesen Fragen mit zunehmendem Wissen über die Problematik verändern kann.

2017 hat das Exekutivkomitee der Weltkirchenleitung, basierend auf dem Statement des BRI, eine verkürzte und leicht veränderte "Position on Transgenderism" publiziert. Es lässt die pastoralen Ausführungen und die Diskussion der Problematik, die im BRI-Statement enthalten sind, fast gänzlich weg und fokussiert primär auf theologischen Überlegungen.
https://www.adventist.org/official-statements/statement-on-transgenderism/

Adventistische Kirchenleitung und SDA-Kinship
Laut Christian Alt stehen die adventistische Weltkirchenleitung, sowie viele Pastoren und Kirchenmitglieder, SDA-Kinship kritisch bis ablehnend gegenüber, weil die Organisation eine bejahende (affirming) Position gegenüber queeren Menschen und ihrer Orientierung bzw. Identität einnimmt und auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eintritt, sofern sie nach den biblischen Prinzipien zur Ehe gestaltet werden. Darunter versteht Kinship eine monogame, auf Liebe und Treue beruhende, verbindliche und exklusive Lebensgemeinschaft.

Link zur Stellungnahme (auf Englisch) der adventistischen Weltkirchenleitung zur Homosexualität, einem der Aspekte des LGBTQIA+-Spektrums.
https://www.adventist.org/official-statements/homosexuality/

Mehr Informationen zu SDA-Kinship International: www.sdakinship.org und kinshipgermany@sdakinship.org

(7192 Zeichen)
© Nachrichtenagentur APD Basel (Schweiz) und Ostfildern (Deutschland). Kostenlose Textnutzung nur unter der Bedingung der eindeutigen Quellenangabe "APD". Das © Copyright an den Agenturtexten verbleibt auch nach ihrer Veröffentlichung bei der Nachrichtenagentur APD. APD® ist die rechtlich geschützte Abkürzung des Adventistischen Pressedienstes.