Wie Forum 18, norwegische Menschenrechtsorganisation, jetzt publik machte, hat das Bezirksgericht Alamudun am 19. März die Wahre und Freie Adventistische Kirche (Reformadventisten) als „extremistisch“ verboten.
Demnach waren offenbar nur vier Personen beim Gerichtsentscheid anwesend - Richterin Ayke Musayeva, ihre Sekretärin, der Staatsanwalt, der die Klage eingereicht hatte, und ein NSC-Geheimpolizist (National Security Committee) - als das Bezirksgericht Alamudun die Wahre und Freie Adventistische Kirche als „extremistisch“ verbot.
Laut Forum 18 erfuhren die Kirchenmitglieder der Reformadventisten davon erst zwei Tage später, als das Verbot bereits in Kraft war. Akmat Alaguschew, Verteidiger der Wahren und Freien Reformkirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Kirgisistan, bereitet eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof in Bischkek vor. Er will damit die Gerichtsentscheidung aufheben lassen, mit der die Gemeinschaft als „extremistisch“ verboten wurde. Das Verbot stütze sich auf vom Nationalen Sicherheitsrat in Auftrag gegebene „Expertenanalysen“ von Büchern, die bei Razzien beschlagnahmt wurden und „nicht den grundlegenden Standards einer wissenschaftlichen Analyse“ entsprachen, so die Religionswissenschaftlerin Indira Aslanova.
Auf die Frage, was den „Extremismus“ in den Handlungen oder Lehren der Mitglieder der Wahren und Freien Adventisten ausmache, fragte Richterin Musajewa Forum 18: „Haben Sie unsere Schlussfolgerungen in der Gerichtsentscheidung nicht gelesen?“ Auf den Hinweis, dass Forum 18 das Gerichtsurteil gelesen habe und in den Handlungen oder Lehren der Kirche keine extremistischen Elemente erkennen könne, antwortete die Richterin: „Sie erheben ihre Religion über die anderen. Sie schüren religiösen Hass, wenn sie den Islam oder andere Religionen kritisieren“.
Indira Aslanova, Senior Expertin des Zentrums für religiöse Studien, einer unabhängigen Organisation in Bischkek, bezeichnet es als „absurd“, die Wahren und Freien Adventisten des „Extremismus“ zu bezichtigen. Die „Expertenanalysen“ des Justizministeriums entsprächen nicht „den grundlegenden Standards einer wissenschaftlichen Analyse“, fügte sie hinzu. «Angemessene Methoden werden nicht angewandt, wissenschaftliche Grundsätze werden verletzt, und den Schlussfolgerungen fehlt eine ausreichende analytische und faktische Grundlage. Das Gutachten hat deklarativen Charakter und bedarf einer grundlegenden Überarbeitung, um als wissenschaftlich gültig anerkannt zu werden.»
Weitere Religionsgemeinschaften verboten oder Registrierung aufgehoben
Wie die Menschenrechtsorganisation berichtet, hat das Regime die Ahmadi-Muslime bereits als „extremistisch“ verboten. Sie dürfen sich nicht mehr zum Gottesdienst treffen. Das Justizministerium in Bischkek hat 2018 die Registrierung einer Organisation der spirituellen Bewegung Falun Gong aufgehoben. Die Geheimpolizei des NSC versuchte, die Zeugen Jehovas zu verbieten, während ein vom NSC geführter Versuch, viele ihrer Veröffentlichungen als „extremistisch“ zu verbieten, 2021 vor Gericht scheiterte.
Reformadventisten
Am 28. Juli 1914 brach in Europa ein Krieg aus, der alle bisherigen Dimensionen in den Schatten stellte. Viele Adventisten sahen in diesem „Grossen Krieg“ ein Zeichen des Weltendes. Während bis dahin nicht wenige Adventisten den Dienst beim Militär am Sabbat verweigert und dafür teilweise drastische Strafen in Kauf genommen hatten, wurde jetzt von manchen die Meinung vertreten, zur Vorbereitung auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Jesu gehöre es, nicht nur den Dienst am Sabbat (Samstag) zu verweigern, sondern auch den Gebrauch der Waffe beim Militär abzulehnen.
Doch aus Sorge um ein staatliches Verbot der Freikirche sandte die deutsche Leitung der Siebenten-Tags-Adventisten am 2. August 1914 – kurz nach der allgemeinen Mobilmachung – ein Rundschreiben an ihre Gemeinden in Deutschland, in dem sie empfahl: „Soweit wir im Heer stehen oder ins Heer eintreten müssen, [sollten wir] unsere militärischen Pflichten freudig und von Herzen erfüllen […] Aus Josua 6 ersehen wir, dass die Kinder Gottes von den Kriegswaffen Gebrauch gemacht und auch am Sabbat den Kriegsdienst versehen haben.“
Dieses Schreiben und weitere Veröffentlichungen riefen in den Gemeinden einen vielschichtigen Protest hervor, der zu Spannungen und zur Spaltung führte. Daraus entwickelte sich ab 1915 eine eigene Konfession, die sich als „Reformationsbewegung“ bezeichnete und der Muttergemeinde babylonischen Abfall vom wahren Adventglauben vorwarf.
Obwohl das Rundschreiben vom 2. August 1914 von der adventistischen Weltkirchenleitung (Generalkonferenz) mit Sitz in den USA kritisiert und mit ähnlichen Verlautbarungen von der deutschen Leitung bereits 1920 und nochmals 1923 mit „Bedauern“ als „fehlerhaft“ zurückgezogen wurde, kam es nicht zu einer Versöhnung. So blieb bis heute die weltweite Spaltung, trotz eines Schuldbekenntnisses der Freikirchenleitung der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland von 2014, bestehen.
Die Reformationsbewegung erlebte 1951 ebenfalls eine weltweite Spaltung. Seitdem gibt es die „Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung“ (STAR) mit ihrer Generalkonferenz in Roanoke, Virginia/USA. Zu ihr gehören rund 45.000 Mitglieder in über 130 Ländern. Die „Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung“ (IMG) hat ihre Weltkirchenleitung in Cedartown, Georgia/USA. Sie umfasst nach eigenen Angaben rund 38.000 Mitglieder in 142 Ländern. In Deutschland hat die STAR etwa 200 Mitglieder in sechs örtlichen Kirchengemeinden und die IMG circa 350 Mitglieder in 16 Gemeinden. In der Schweiz unterhalten beide Reformgruppen keine Gemeinden. Sowohl die STAR wie auch die IMG betrachte sich jeweils als die einzige wahre und legitime Reformationsbewegung unter den Adventisten.
Zum Vergleich: Zur Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten gehören in Deutschland 34.500 und in der Schweiz über 4.800 Mitglieder. Weltweit zählt die Freikirche 23,6 Millionen Mitglieder in 212 Ländern und Regionen.