Der rund 300 Mitglieder zählende Verein Glaube in der 2. Welt (G2W), mit Sitz in Zürich, hielt am 8. Mai im geistlichen Zentrum der griechisch-orthodoxen Kirchgemeinde Hl. Demetrios in Zürich seine Jahresversammlung ab. Die ökumenische Einrichtung wird von den drei Landeskirchen der Schweiz und Einzelmitgliedern getragen. Dem Verein ist das Institut Glaube in der 2. Welt angeschlossen. Es hat sich zum Ziel gesetzt, auf der Basis wissenschaftlicher Forschung sachliche Information und Dokumentation über das religiöse Leben, die Verwirklichung der Menschenrechte sowie über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat zu vermitteln. Ausserdem will G2W auch kleinere Projekte zur humanitären Hilfe und Aufbauarbeit für Kirchen und Menschenrechtsgruppen fördern. Forschungsschwerpunkte des Instituts sind heute, nach dem Sturz des Kommunismus, Russland, die übrigen GUS-Länder, die baltischen Staaten, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien sowie die Länder des früheren Jugoslawien. In jüngster Zeit befasste sich G2W auch mit der Türkei und den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens.
In Moskau unterhält das Institut G2W ein eigenes Informationszentrum, das von der Schweizerin Franziska Rich geleitet wird.
Seit 1973 gibt das Institut auch die renommierte Monatszeitschrift "G2W", ökumenisches Form für Religion und Gesellschaft in Ost und West, heraus. Die Zeitschrift hatte insbesondere während der Zeit des "real existierenden Sozialismus", hinter dem fast schon vergessenen "Eisernen Vorhang", als Brückenbauer einen nicht unbedeutenden Einfluss auf den christlichen Dialog zwischen Ost und West und die Entwicklung interkonfessioneller Beziehungen ausgeübt.
So verwundert es nicht, dass zur diesjährigen Jahrestagung, die dem Thema "Die Orthodoxie bereichert Europa" gewidmet war, sogar der griechisch-orthodoxe Oberhirte des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel in der Schweiz, Metropolit Jeremias (Kaligiorgis) aus Genf anreiste.
Der Metropolit lobte den Verein und das angeschlossene Institut für deren Gesamtarbeit und nannte G2W einen "Schritt zur Einheit". Das Zusammenwachsen der christlichen Konfessionen sei ein Anliegen aller orthodoxen Kirchen, sagte der Kirchenleiter. Der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomaios II. hege die Hoffnung, dass die Einheit unter den Christen wieder vollständig hergestellt werde, betonte Metropolit Jeremias.
Der in Graz lehrende orthodoxe Theologe, Professor Grigorios Larentzakis, sprach über "die Würde des Menschen und das neue Europa". Der Referent bezog sich dabei auf den Einfluss der orthodoxen Trinitätslehre, nach deren Interpretation Vater, Sohn und Heiliger Geist durch das Band der Liebe innig verbunden seien. Aus diesem Verständnis heraus sei Subordination (= sich unterordnen), z.B. diejenige der Frau unter den Mann, Häresie. Jede Person habe ihre unverwechselbare Identität, auch die einzelnen Volksgruppen. Daher hatte die orthodoxe Kirche bei ihren Missionsanstrengungen eine Hellenisierung vermieden, wie es zum Beispiel das Wirken der beiden Slawenapostel Kyrillos (826-869) und Methodios (815-885)deutlich aufzeige.
Der Grazer Ökumeniker wies dabei auch auf den Bedeutungswandel des Wortes "Ökonomie" hin, mit dem ursprünglich gemeint gewesen sei: so zu haushalten, dass alle richtig leben können und nicht so zu wirtschaften, dass eine möglichst hohe Rendite daraus hervor gehe. Larentzakis wies auf die hohe Zahl von etwa 20 Millionen Arbeitslosen in Europa hin und forderte für die Arbeitslosen das Recht, auch als solche erfasst bzw. gezählt zu werden; denn die Arbeitslosenstatistiken mancher Staaten sei geschönt, sie entsprächen nicht den Realitäten. Ein weiterer gebräuchlicher Begriff und für das heutige Europa höchst aktuell sei das Wort "Xenophobie" (= allen Fremden gegenüber negativ oder feindlich eingestellt). Dies sei kein griechisches Wort, sondern sei im Ausland aus griechischen Elementen entstanden, um die Fremdenfeindlichkeit zu beschreiben (xenophobe Haltung). Diese Lehnprägung sei dann später als "Fremdwort" in die griechische Sprache aufgenommen worden.
Larentzakis plädierte für ein verstärktes gegenseitiges Kennen- und Verstehenlernen der west- und osteuropäischen Kulturen auf dem Weg zur europäischen Einheit. Die Religion müsse im Einigungsprozess eine tragende Rolle spielen und dürfe nicht Privatsache bleiben. Der orthodoxe Theologe betonte, dass die christlichen Kirchen bei der Lösung von Krisensituationen wieder vermehrt gefragt seien als zu einer Zeit, "wo man ihnen nur noch "Weihrauch und Mystik" überlassen habe. Die unterschiedlichen Kulturen und Glaubensverständnisse müssten sich gegenseitig als Bereicherung begreifen, denn es bestünden in Europa noch viele Missverständnisse.
Neben den Referaten vermittelte Klaus Hammerschlag (Friesach/Kärnten) am Nachmittag eindrückliche Bilder vom Berg Athos. Die Aufnahmen zeigten, dass in den Grossklöstern, Einsiedeleien und Höhlenklöstern in dieser Mönchsrepublik ein reges spirituelles Leben gepflegt wird. "Überall ist der Berg Athos – auch in der eigenen Seele, wenn Du ihn dort suchen gehst", betonte Vater Nikon, Vorsteher einer Eremitengemeinschaft und weltweit angesehener Ikonenmaler, den Teilnehmenden an der G2W-Jahresversammlung.Der Verein G2W hat auch eine Deutsche Sektion, die die Arbeit des Instituts unterstützt. Zu seinen Mitgliedern zählen katholische Diözesen, evangelische Landeskirchen und Gemeinden verschiedener Konfessionen.