Benedikt XVI. - erster deutscher Papst seit 482 Jahren
Die Wahl Joseph Ratzingers steht für kirchliche Kontinuität
von Johannes Schidelko, Rom
Er zog als Favorit ins Konklave ein, und hat es - dem römischen Sprichwort zum Trotz - als Papst verlassen. Mit Joseph Ratzinger hat das Konklave zum ersten Mal seit 482 Jahren einen Deutschen an die Spitze der katholischen Kirche gewählt: einen Papst, der in den vergangenen Wochen häufig als geeigneter Nachfolger für Johannes Paul II. genannt wurde, weil er wie kaum ein anderer für Kontinuität an der Kirchenspitze steht. Dies hatte er noch ein Mal bei der letzten Messe vor Konklavebeginn deutlich gemacht, als er in seiner vielbeachteten Predigt die Kardinäle aufforderte, die Herde Christi zum wahren Glauben zu führen.
Fast ein Vierteljahrhundert lang war der weltbekannte Theologe der engste Mitarbeiter von Johannes Paul II. Als Präfekt der Glaubenskongregation bestimmte der frühere Erzbischof von München und Freising die theologische Linie des Pontifikats mit. Als Kardinaldekan führte er seit dem Tod des Wojtyla-Papstes die Kirche souverän während der Sedisvakanz und festigte in dieser Zeit seine herausragende Position unter den Kardinälen. Der nüchterne Intellektuelle überraschte viele Gläubige, als er in seiner Totenpredigt auf Johannes Paul II. auch Emotionen zeigte.
Als Papst wird Benedikt XVI. zweifellos die Linie des vorangegangenen Pontifikats fortsetzen, möglicherweise noch klarer und konsequenter. Sicher aber wird er - auch angesichts seines Alters - seine Amtsführung ruhiger starten als sein Vorgänger.
Aus Bayern
Der neue Papst wurde am 16. April 1927 als Sohn eines Beamten in Marktl am Inn, in der Diözese Passau, geboren. 1951 empfing er die Priesterweihe. Mit 26 Jahren wurde Ratzinger Dozent für Dogmatik und Fundamental Theologie in Freising. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) fungierte er als theologischer Berater des Kölner Kardinals Josef Frings. Anschliessend lehrte er nacheinander als Professor in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg. Im März 1977 berief Papst Paul VI. ihn als Nachfolger von Kardinal Julius Döpfner zum Erzbischof von München und Freising. Wenige Wochen später erhielt er bei einem "Extra-Konsistorium" in Rom den Kardinalspurpur.
Im November 1981 betraute Johannes Paul II. ihn mit der Leitung der Glaubenskongregation. In dieser Funktion gehörte der brillante Theologe rasch zu den anerkanntesten Persönlichkeiten am Vatikan. Unter seiner theologischen Ägide erschien unter anderem der neue Katechismus der katholischen Kirche. Für Aufsehen sorgte in seinen ersten Dienstjahren die Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie. Hier unterschied er scharf zwischen Strömungen, die mit der Glaubenslehre der Kirche vereinbar sind - und solchen, die es nicht sind.
Persönliche Reputation
Aber auch zu vielen anderen Fragen und Bereichen der Glaubens- und Sittenlehre stellte Ratzingers Behörde dar, was Lehre der Kirche ist und wo die Grenzen liegen - und dass demokratische Kriterien nicht ohne Weiteres auf Glaubens- und Kirchenfragen anwendbar sind. Für manche vatikanische Verlautbarung erntete Ratzinger auch persönliche Anfeindungen. Allerdings zog niemand die persönliche oder wissenschaftliche Reputation des Kardinalpräfekten in Zweifel.
Bewunderer wie Kritiker würdigen seinen scharfen Intellekt, seine klaren Analysen, seine geschliffene Sprache und seinen weiten theologischen Horizont. Für weltweite Debatten sorgte im September 2000 die von ihm verfasste Erklärung "Dominus Iesus", in der er die Einzigartigkeit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und die besondere Stellung der katholischen Kirche betonte.
Nicht nur als vatikanischer Amtsträger, sondern auch als Theologe von Weltruf hat Ratzinger in den vergangenen Jahren weiter gearbeitet und publiziert. In Büchern, Interviews und Studien legte er scharfsinnige Analysen zum Zustand von Kirche und Gesellschaft vor, die in ihrer Offenheit nicht allen gefielen - und auch nicht nur gefallen wollten. Wiederholt beklagte der neue Papst den Verlust des Heiligen etwa in der Liturgie oder der Kirchenarchitektur.
Nachkonziliare Kirche ein Baustelle
In einer viel beachteten Zustandsbeschreibung verglich er die nachkonziliare Kirche mit einer Baustelle, an der jeder nach eigenem Gusto herumwerkele, weil der Bauplan verlorengegangen sei. Wiederholt warnte er von einer undifferenzierten Konzils- Euphorie, zeigte wenig Sympathie für den Ruf nach einem Dritten Vatikanischen Konzil: Das Zweite, so meint er, sei längst noch nicht aufgearbeitet und umgesetzt.
Auch in seiner jüngsten Meditation zum Karfreitag, die er acht Tage vor dem Tod seines Vorgängers am römischen Kolosseum hielt, schlug Ratzinger unmissverständliche Töne an. Der neue Papst sprach von Priestern, die das Wort Gottes verdrehten und missbrauchten. Er beklagte, dass in vielen Theorien wenig Glaube sei. Dass die Kirche wie ein sinkendes Boot sei, dass es in ihr "viel Schmutz" gebe und dass auch im Klerus Hochmut und Selbstherrlichkeit vorherrschten. Diese Kritik und Selbstkritik fand manchen Widerspruch. Offenbar hat seine Offenheit und Ehrlichkeit jedoch die Kardinäle überzeugt.
Benedikt XVI. ist der erste Papst aus dem deutschsprachigen Raum seit dem aus Utrecht stammenden Hadrian VI. seit 482 Jahren. Er pflegt die Verbindung zu seiner bayerischen Heimat; allerdings hat er in seiner langen Zeit als Kurien-Präfekt die Enge nationaler Grenzen hinter sich gelassen. Ratzinger ist wohl kaum deshalb an die Kirchenspitze gewählt worden, weil er Deutscher ist. Vielmehr trauen die Kardinäle ihm offenbar zu, nach dem langen Pontifikat Johannes Paul II. als souveräne Persönlichkeit die Kirchenleitung zu übernehmen, ohne dessen Stil zu kopieren - oder daran gemessen zu werden.
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