Aus Anlass des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 2007 hat das Präsidium der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), der Dachorganisation von 105 protestantischen Kirchen, fünf "Glück-Wünsche" für die Zukunft Europas formuliert.
Dem Ratspräsidium der GEKE gehören Pfarrer Thomas Wipf (Bern) als Ratspräsident sowie Pfarrerin Dr. Stephanie Dietrich (Oslo) und Prof. Dr. Michael Beintker (Münster) an.
Die GEKE würdigt in ihrer Erklärung die Entwicklung der Europäischen Union als einen wichtigen Beitrag zu Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa und stellt fest: "Fünfzig Jahre nach den Römischen Verträgen ist die Vision eines freien und geeinten Europas in einem Masse verwirklicht worden, das vor 50 Jahren den meisten undenkbar schien. "
Die evangelischen Kirchen seien dankbar für das Erreichte, ihr Blick richte sich aber auch in die Zukunft. Deshalb formulierten die in der GEKE vertretenen Kirchen der Europäischen Union (EU) fünf "Glück-Wünsche" für die kommenden 50 Jahre:
"1. Glück-Wunsch: Europa muss weiter zusammen wachsen
Europa ist grösser als die EU. Die evangelischen Kirchen in Europa erleben dies tagtäglich in ihrer Kirchengemeinschaft, die weit über die Grenzen der EU hinaus reicht. Die Staaten des westlichen Balkans brauchen eine Perspektive für die Aufnahme in die EU, die dazu beiträgt, auch in dieser Region Europas Frieden zu schaffen. Die Nachbarstaaten der EU brauchen eine Politik, die das Zusammenwachsen in Europa fördert und neue Konflikte verhindert.
2. Glück-Wunsch: Die Europäische Union braucht mehr Demokratie
Die Gemeinschaft innerhalb der europäischen Staaten muss vertieft werden. Eine der grossen Herausforderungen besteht deshalb darin, das Europa der Regierungen zu einem Europa der Menschen weiter zu entwickeln. Dazu gehört die Stärkung der demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in der EU und eine rechtliche Grundlage, die die Zusammenarbeit der Staaten Europas auf die Basis eines gemeinsamen Verfassungsrechts stellt. Das Präsidium der GEKE hat am 9. Mai 2005 in einer Handreichung zum EU-Verfassungsvertrag deutlich gemacht, dass der Verfassungsvertrag aus evangelischer Sicht trotz mancher Kritikpunkte eine erheblich verbesserte Grundlage für das Zusammenleben der Menschen und Staaten in Europa darstellt.
3. Glück-Wunsch: Die Europäische Union braucht mehr Gerechtigkeit
Trotz aller wirtschaftlichen Erfolge leben in der EU noch immer fast 80 Millionen Menschen an der Armutsgrenze, jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht. Mehr als 17 Millionen Menschen in der EU sind ohne Arbeit. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in vielen europäischen Ländern immer weiter auseinander. Die evangelischen Kirchen in Europa wünschen sich eine Europäische Union, die ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik in ein Gleichgewicht bringt, das sich gegenseitig unterstützt und die Armut und soziale Ausgrenzung in Europa stärker als bisher bekämpft.
4. Glück-Wunsch: Die Europäische Union braucht mehr Offenheit
Die EU braucht eine Politik, die die Lebensmöglichkeiten für die zukünftigen Generationen offen hält. Dies gilt nicht nur für die Umwelt- oder Entwicklungspolitik, sondern für alle Politikbereiche, die insgesamt nachhaltiger ausgerichtet werden müssen. Dazu sind im Hinblick auf die demographische Entwicklung in Europa neue Formen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Neuordnung der Beziehungen zwischen den Generationen notwendig.
Gegenüber den armen Ländern der Erde ist die EU einerseits grösster Geldgeber der Entwicklungsarbeit, zugleich trägt sie aber mit der Abgrenzung ihrer Märkte und ihrer Handelspolitik zum wirtschaftlichen Ungleichgewicht und zur Armut in der Welt bei. Die evangelischen Kirchen in Europa wünschen sich eine Europäische Union, die sich nicht nach aussen abschottet, sondern auch in den gegenwärtigen Globalisierungsprozessen zu mehr Frieden und mehr Gerechtigkeit in der Welt beiträgt, z. B. in den Grenzregionen Europas im Nahen Osten und in Nordafrika.
5. Glück-Wunsch: Die Europäische Union braucht eine tragfähige kulturelle Identität
Die Europäische Union wird nur dann Frieden, Freiheit und Wohlstand weiter entwickeln können, wenn sie sich auf eine gemeinsame Wertebasis der Menschen stützen kann. Der christliche Glauben ist eine der Wurzeln, die Europa geprägt hat und weiterhin prägen wird. Für die Kirchen der Reformation, die aus einer religiösen Freiheitsbewegung hervor gegangen sind, gehört dazu in besonderer Weise ein verantwortlicher Umgang mit der Freiheit. Die Kirchen setzen sich für den Dialog zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen ebenso ein wie für das Gespräch mit Menschen ohne religiöses Bekenntnis. Es ist die gemeinsame Aufgabe aller, durch den Dialog zum Aufbau einer friedlichen und gerechten Gesellschaft beizutragen. Das gilt insbesondere dort, wo es Konflikte und Meinungsverschiedenheiten gibt.
"Einheit in versöhnter Verschiedenheit": Der Beitrag der evangelischen Kirchen für die Zukunft Europas
Die europäischen Kirchen haben sich in der Charta Oecumenica selbst verpflichtet, die Einigung des europäischen Kontinents zu fördern. Die Kirchen können dazu ihre besondere Orts- und Menschennähe einbringen. Dazu gehört die besondere Sorge für Minderheiten und sozial Ausgegrenzte, denn sie wissen um die Gefahren des Assimilationsdruckes und setzen sich daher für eine integrative Gesellschaft ein, die den Minderheiten entsprechende Rechte und Möglichkeiten einräumt. Für die evangelischen Kirchen ist es Teil ihrer reformatorischen Kompetenz, an Institutionen Kritik zu üben, die sich zu weit von den Menschen entfernen.
Die evangelischen Kirchen können in Europa das Modell der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" einbringen. Aus einer Jahrhunderte langen Geschichte der Ablehnung und Verwerfung ist eine Gemeinschaft von Kirchen geworden, die zu Versöhnung gefunden hat. Mit den Erfahrungen aus diesem Weg der Versöhnung können und wollen die evangelischen Kirchen zur Zukunft Europas beitragen".
Zur "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE) – Leuenberger Kirchengemeinschaft haben sich 105 protestantische Kirchen in Europa (und in Südamerika) zusammen geschlossen. Lutherische, reformierte, unierte, methodistische und hussitische Kirchen gewähren einander durch ihre Zustimmung zur Leuenberger Konkordie von 1973 Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Die fünf protestantischen Kirchen in Südamerika, die zur GEKE gehören, haben sich aus früheren Einwandererkirchen entwickelt. Die GEKE hat ihren Sitz derzeit in der österreichischen Hauptstadt Wien.