Religion, die "recht verstanden und gelebt" wird, leistet einen wichtigen Beitrag für den Dialog und die Integration Europas. Dies betonte der neue österreichische evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker bei einer Diskussionsveranstaltung "Reden über Europa - Europa der Religionen" in Wien. Bünker amtiert gleichzeitig als Generalsekretär der "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa" (GEKE), die ihren Sitz in Wien hat. Unter der Moderation des Journalisten Gerfried Sperl diskutierten mit Bünker der Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit, die Ethnologin Halleh Ghorashi und der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan über die Rolle der Religionen im zusammenwachsenden Europa.
Wie Kathpress berichtet plädierte Bünker dafür, Religionen nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung zu sehen. Er erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass in Wien im Januar die fünf grossen Religionsgemeinschaften gemeinsam ihre Position in der Frage der Integration dargelegt hatten.
Für den evangelischen Bischof ist Europa weder durch seine geografischen Grenzen noch durch die Werte der Aufklärung und bürgerlichen Revolution vollständig zu beschreiben. Vielmehr müsse Europa "unterscheidbar zu seiner Geschichte" definiert werden, die geprägt sei von den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts und ihrer Überwindung, von den zwei Weltkriegen, vom Holocaust und von den Erfahrungen mit den totalitären Regimen im 20. Jahrhundert. Bünker: "Der Unterschied zum heutigen Europa ist das Europa von gestern". Die spirituelle und kulturelle Dimension des Kontinents müsse sich daran messen lassen, "wie gut es gelingt, dieses Europa der Vergangenheit zu überwinden".
Kirchen und Religionsgemeinschaften kommt nach Ansicht Bünkers die Aufgabe zu, einen Beitrag zu leisten für gegenseitiges Verständnis und die Förderung der gegenseitigen Achtung innerhalb der gemeinsamen Grundwerte. Als erfolgreiches Modell sieht Bünker hier die "Einheit in versöhnter Verschiedenheit", wie sie in der "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa" gelebt werde. Mit dieser Erfahrung der Versöhnung und des Dialogs können protestantische Kirchen einen wichtigen Beitrag für die Zukunft Europas leisten, ist Bünker überzeugt. Das schliesse auch den für protestantische Kirchen so wichtigen Punkt des Umgangs mit Minderheiten ein.
Europa sei "niemals nur ein rückwärts bezogenes Projekt", betonte der Bischof. Für evangelisches Verständnis gehe es nicht um eine Wiederherstellung eines "christlichen Abendlandes". Bünker: "Verheissung hat Europa nur, wenn es zu einem Aufbruch führt, bei dem nicht irgendeine vergangene Realität, und sei sie noch so respektabel, die leitende Vision darstellt. Die Einheit Europas liegt vor uns". Auf dem Weg dorthin würden die Kirchen ihre christlichen Werte einbringen, ebenso wie andere ihre Werte einbringen werden. Europa, so Bünker, werde aus diesem Austausch gestärkt hervorgehen. Entscheidend sei, dass alle die "Hausordnung" beachten, die nicht zur Disposition stehen dürfe. Dazu gehören "die unverlierbare Würde des Einzelnen vor Gott, die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit", betonte Bünker, der in der Diskussion auch die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik deutlich kritisierte.