Mit einer gewissen Skepsis besichtigte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) die "Babyklappe" des Krankenhauses "Waldfriede" der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Berlin-Zehlendorf. Sie gab zu bedenken, dass unter Experten strittig sei, ob eine derartige Einrichtung einen besseren Lebensschutz überhaupt ermögliche, denn es wäre zweifelhaft, ob Frauen, bei denen die Gefahr bestehe, dass sie ihr neugeborenes Kind töten könnten, durch das Angebot der anonymen Kindsabgabe erreicht würden. Ausserdem habe das Kind ein Recht zu erfahren, von wem es abstamme.
Krankenhausseelsorgerin Gabriele Stangl betonte dagegen, dass die "Babyklappe" in "Waldfriede" mehr sei, als ein Kasten, in den man unerwünschte Kinder anonym ablegen könne. Die Mutter finde in der "Babywiege", wie sie in "Waldfriede" heisst, einen sehr persönlichen Brief vor, in dem Hilfe angeboten und die Pastorin als Ansprechpartnerin genannt werde. Im Vordergrund stehe eine umfassende Beratung von Müttern in Not. In dieses Projekt sei eine ganze Reihe von Personen einbezogen, sodass 95 Prozent der Frauen Vertrauen fassten und nicht anonym blieben.
Die "Babywiege", ein grasgrüner Kasten, befindet sich uneinsehbar an der Rückseite des Hauses A der Klinik und ist durch einen ausgeschilderten, nicht videoüberwachten Eingang erreichbar. Wenn eine Mutter die Klappe öffnet und ihr Neugeborenes in das Wärmebett legt, lösen Sensoren zeitverzögert einen Alarm im ständig besetzten Pförtnerhaus aus, so dass die Mutter genügend Zeit hat, das Gelände unerkannt zu verlassen. Das Baby wird sofort auf die Säuglingsstation gebracht und medizinisch versorgt. Das vom Krankenhaus informierte Jugendamt übergibt es dann der Obhut einer speziell ausgebildeten Pflegefamilie. Die Mutter darf während der nächsten acht Wochen ihr Kind zurückzunehmen. Geschieht das nicht, wird es zur Adoption freigegeben.
Seit Bestehen der "Babywiege" im September 2000 seien 130 Kinder dort abgegeben worden, wobei die meisten Frauen anonym im Krankenhaus entbunden hätten, informierte Pastorin Stangl. In diesem Jahre habe es bereits 27 derartige Fälle gegeben. Das Vertrauen zu "Waldfriede" sei inzwischen so gross, dass kürzlich eine Mutter ihr Kind direkt beim Pförtner abgab, anstatt es in die "Babywiege" zu legen. Ein Drittel der Frauen behalte schliesslich das Neugeborene. Doch auch die meisten anderen Frauen, die ihr Baby zur Adoption freigäben, wollten, dass es später erfahre, wer ihre Mutter sei. Das Durchschnittsalter jener Frauen liege zwischen 27 und 34. "Alle haben grosse Angst, dass ihre Schwangerschaft aus den verschiedensten Gründen bekannt werden könnte", teilte Stangl mit.
Die Justizministerin äusserte nach anfänglicher Skepsis anerkennend, dass es sich bei der Waldfrieder "Babywiege" nicht um eine "normale Babyklappe" handele, bei der das Kind lediglich abgegeben werde, sondern hier scheine es sich um ein erfolgreiches Beratungskonzept zu handeln. Anschliessend hielt Brigitte Zypries im grossen Saal des Krankenhauses einen Vortrag über die gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Im Juni referierte dort bereits Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) über die Gesundheitsreform.
Die "Babywiege" war die erste derartige Einrichtung an einem Krankenhaus in Deutschland. Das seit 1920 bestehende Akutkrankenhaus "Waldfriede" verfügt über 170 Betten und versorgt mit den Fachabteilungen Chirurgie, Innere Medizin, Anästhesie, Radiologie, Gynäkologie und Geburtshilfe jährlich 9.000 Patienten stationär und 12.500 ambulant. Im letzten Jahr kamen dort 926 Babys zur Welt.