Vom 20. bis 27. Juli tagt in Stuttgart die elfte Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) unter dem Thema "Unser tägliches Brot gib uns heute". An dem Kirchentreffen nehmen mehr als 400 Delegierte aus 140 Mitgliedskirchen und mehr als tausend weitere Tagungsteilnehmer teil. Gastgeberin ist die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Die Vollversammlung ist das oberste Entscheidungsorgan der 1947 im schwedischen Lund gegründeten lutherischen Dachorganisation, die rund 70 Millionen Christen umfasst und in der Regel alle sechs Jahre stattfindet.
Zuletzt trafen sich die Lutheraner 1990 in Brasilien, 1997 in Hongkong und 2003 in Kanada. Stuttgart ist die zweite LWB-Vollversammlung in Deutschland, die erste fand 1952 in Hannover statt.
Nach Angaben des Präsidenten des Weltbundes, Bischof Mark S. Hanson (USA), würden die Teilnehmenden "nicht abstrakt" über die Brot-Bitte aus dem Vaterunser sprechen. Vielmehr brächten sie ihre Erfahrungen mit. "Viele Menschen leiden an Hunger oder sind als HIV-Infizierte marginalisiert," so Hanson. Auf dem Grosstreffen sollen "prophetische Antworten auf alle Ungerechtigkeiten" gefunden werden, die das Leben der Menschheit bedrohen. Neben innerkirchlichen und ökumenischen Fragen gehe es also auch um die Probleme Religionsfreiheit, Armut, Mangel an sauberem Wasser, Folgen der Globalisierung, Klimawandel, Hunger und Aids.
Neu bestimmt werden muss in Stuttgart auch der Nachfolger für Hanson. Nach sieben Jahren legt der US-Amerikaner sein Amt nieder.
Die Teilnehmer planen ferner eine Selbstverpflichtung zur Abwehr jeder Form von sexueller Belästigung und sexuellen Missbrauchs. Wie LWB-Präsident, Bischof Hansen vor Journalisten in Stuttgart erläuterte, könne das Thema sexueller Missbrauch auch Gegenstand der Abschlusserklärung des Treffens werden.
Der Generalsekretär des Weltbundes, Ishmael Noko, äusserte die Hoffnung, dass die Spannungen zwischen vielen Mitgliedskirchen über den Umgang mit Homosexuellen nicht die Stuttgarter Veranstaltung bestimmen werde. Er verwies darauf, dass sich der LWB für die Zeit zwischen 2007 und 2012 auf eine fünfjährige Reflexionsphase zu diesem Thema geeinigt habe.
Untereinander haben die lutherischen Kirchen zwar volle Abendmahlsgemeinschaft vereinbart, streiten aber über die Frauenordination und den Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Vor allem im Baltikum und in Afrika sperren sich die Kirchen gegen die Segnung homosexueller Paare, wie sie von skandinavischen Lutheranern praktiziert wird. Welche Rolle diese Spannungen in Stuttgart spielen werden, ist unklar.
Auch ein dunkles Kapitel Kirchengeschichte will die LWB-Vollversammlung in Stuttgart aufarbeiten und ein Signal der Versöhnung in Richtung Mennoniten setzen. Die Verfolgung der Täufer-Bewegung im 16. Jahrhundert – dem sogenannten linken Flügel der Reformation – war mit lutherischer Theologie gerechtfertigt worden. In einem Versöhnungsgottesdienst wollen die Lutheraner öffentlich anerkennen, dass sie die Täuferbewegung vor allem im 16. und 17. Jahrhundert gewaltsam verfolgt und unterdrückt haben. Seit 1980 gibt es eine Annäherung zwischen Lutheranern und Mennoniten.
Dr. Rowan Williams, Erzbischof von Canterbury und Oberhaupt der weltweiten Anglikanischen Kirchengemeinschaft, wird am 22. Juli das Hauptreferat der Veranstaltung halten.
An der 11. LWB-Vollversammlung ist die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten durch Pastor Dr. John Graz, Direktor für Religionsfreiheit Generalsekretär des Rates für zwischenkirchliche und interreligiöse Angelegenheiten der adventistischen Weltkirchenleitung, vertreten. Von 1994 bis 1998 fand ein ausführlicher theologischer Dialog zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten statt. In einer Abschluss-Empfehlung heisst es, in Zukunft sollen "beratende Verbindungen" zwischen Lutheranern und Adventisten "zum Wohle der gesamten christlichen Gemeinschaft" aufrechterhalten werden. So nahm der Präsident der Lutherischen Welthilfe (LWR), Pfarrer John Nunes, als LWB-Vertreter an der am 3. Juli zu Ende gegangenen 59. Weltsynode der Adventisten in Atlanta (USA) teil.
Die Lutheraner sind mit rund 70 Millionen Mitgliedern nach Katholiken und Orthodoxen weltweit die drittgrösste christliche Gemeinschaft.