Papst Benedikt XVI. hat die brasilianischen Bischöfe aufgerufen, ihre Bemühungen fortzusetzen um mit den Kirchen und Gemeinden ins Gespräch zukommen, die dem Nationalen Rat der Christlichen Kirchen in Brasilien (CONIC) angehören. Der ökumenische Dialog werde immer dringlicher, sagte der Papst am 10. September während einer Audienz für Bischöfe aus Nordbrasilien. Die fehlende Einheit der Christen sei ein "Skandal", der der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft schaden könne.
Allerdings gebe es noch "viele Hindernisse" auf dem Weg zur Einheit der Christen, hob der Papst hervor. Benedikt XVI. wandte sich auch gegen eine "falsch verstandene Ökumene": Diese dürfe nicht dazu führen, Unterschiede unkritisch zu übergehen und das eigene Kirchenverständnis zu relativieren.
Der Papst wies auf die rasch wachsenden und immer zahlreicher werdenden unabhängigen evangelikalen und pentekostalen Gemeinschaften in Brasilien hin und forderte die Priester auf, Kontakte auch mit diesen Gruppierungen zu knüpfen, um in einen "ökumenischen Dialog der Wahrheit" eintreten zu können.
Nach Angaben der Agentur Kathpress rief der Papst die Bischöfe zu verstärkten Anstrengungen für eine Festigung und Neuverkündigung des Glaubens innerhalb der römisch-katholischen Kirche auf. In den vergangenen Jahrzehnten hätten sich viele Katholiken in Brasilien vom kirchlichen Leben abgewandt. Die Gläubigen seien mitunter nur oberflächlich evangelisiert worden und daher leicht beeinflussbar, meinte er mit Blick auf die beständig wachsende Mitgliederzahl von evangelikalen und pentekostalen Gruppen in Brasilien.
Die Bischöfe aus Nordbrasilien halten sich gegenwärtig zu ihrem sogenannten ad-Limina-Besuch in Rom auf. Dieser ist alle fünf Jahre vorgesehen, um dem Papst über die Entwicklung der Kirche in den einzelnen Ländern zu informieren.
Brasilien galt lange als Hochburg des Katholizismus, als das grösste katholische Land der Welt. Bis in die 1950er Jahre bekannten sich laut offiziellen Volkszählungen rund 90 Prozent der Brasilianer zum katholischen Glauben. Inzwischen ist der einstige Musterknabe des Vatikans zum Problemkind geworden: Im Jahre 2000 fühlten sich nur noch 70 Prozent der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche zugehörig. Religionswissenschaftler schätzen, dass die katholische Kirche in Brasilien jährlich zwei Millionen Gläubige verliert. Die charismatische Pfingstbewegung ist von den katholischen Bischöfen erst wirklich wahrgenommen worden, als sie in der katholischen Kirche selbst unter dem Namen "Katholische Charismatische Erneuerung" (KCE) auftauchte. Die wachsende Resonanz evangelikaler und pfingstlerischer Kirchen und Gemeinden gerade auch in den armen Bevölkerungsschichten stellt heute eine nie da gewesene "Konkurrenz" zur römisch-katholischen Kirche dar.
Die Geschichte der brasilianischen Pfingstbewegung begann bereits im 16. Jahrhundert. Zu dieser Zeit drang zunächst der Protestantismus in das katholische Brasilien vor, konnte sich jedoch erst mit der massiven Einwanderung aus Europa im 19. Jahrhundert etablieren. Als sich mit der Gründung der Republik 1890 erstmals eine Trennung von Staat und Kirche durchsetzte, konnten auch protestantische Einwanderer ihre eigenen Kirchen gründen. Adventistische, baptistische, lutherische, methodistische und presbyterianische Einwanderer veränderten die brasilianische Gesellschaft. Die Pfingstler waren die letzten, die in diesem religiösen Feld auftauchten. Ihren missionarischen Ursprung haben ihre Gemeinden zum Grossteil im Ausland.
So gründeten die Schweden Daniel Berg und Gunnar Vingren bereits 1911 die "Versammlung Gottes" (Assembléia de Deus) in Belém, im nördlichen Bundesstaat Pará. Sie ist heute mit mehr als acht Millionen Anhängern die grösste pentecostale Gemeinschaft Brasiliens. Der von Edir Macedo 1977 gegründeten "Universellen Kirche des Königreiches Gottes" (IURD), der grössten neopentecostalen Kirche Brasiliens gehören über sechs Millionen Gläubige an. Nach Ansicht der Religionsexpertin Mariana Cortes gibt es in Brasilien etwa 17.000 verschiedene Pfingst- und unabhängige Kirchen.
Sowohl die protestantischen Kirchen als auch die klassischen Freikirchen in Brasilien verzeichnen seit Jahren trotz Missionstätigkeit eine Stagnation oder wachsen nur sehr langsam.
Der Steyler Missionar Pater Hugo Scheer wies bereits 2009 im Gespräch mit Radio Vatikan darauf hin, dass es für die katholische Kirche in Brasilien sehr wichtig sei, sich nicht gegen die Pfingstkirchen und andere derartige Gruppierungen abzugrenzen. "Wir müssen versuchen, mit ihnen einen Dialog aufzunehmen, aber das ist äusserst schwierig. Die katholische Kirche in Brasilien hat zum Beispiel einige Schriften gemeinsam mit Pfingstgemeinden herausgebracht. Dabei handelt es sich aber um Pfingstgemeinden im traditionellen Sinne, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Europa gegründet wurden und dann nach Lateinamerika kamen. Die neuen Pfingstgemeinden haben sich alle in Lateinamerika gegründet. Mit ihnen ist es sehr schwer, in einen Dialog zu treten," so Pater Scheer.
Auch könne die katholische Kirche durchaus von der Pfingstbewegung lernen, meinte der deutschstämmige Steyler-Missionar: "Lernen können wir von diesen Pfingstgemeinden vor allem, wie man die Medien zur Mission und zur Seelsorge nutzen kann. Im Fernsehen und Internet müssen wir als katholische Kirche deutlich präsenter werden. Und zum anderen können wir einen gewissen missionarischen Eifer von ihnen lernen. Jeder getaufte Katholik muss sich bewusst sein, wenn er wirklich katholisch handeln will, dann muss er auch ein Missionar sein. Dabei geht es uns im Unterschied zu den Sekten aber nicht darum, anderen etwas aufzuzwingen, sondern wir wollen für die Menschen da sein und ihnen ihre eigene Identität aus christlicher Sicht klar machen. Wir wollen das Vorbild Christi leben, damit die Menschen sehen: So geht es auch! Und genau an diesem gelebten Vorbild hat es in der Vergangenheit [in der katholischen Kirche] manchmal gefehlt."