Am 4. Februar eröffneten der Tessiner Staatsrat Luigi Pedrazzini und der Bürgermeister der Kantonshauptstadt Bellinzona, Brenno Martignoni, das Symposium „Religionsfreiheit und multikulturelle Gesellschaft“. Renommierte Wissenschaftler und Experten für Religionsfreiheit diskutierten in der reformierten Kirche in Bellinzona unter anderem auch das Verhältnis von Religion und Staat.
Die massive Einwanderung von Menschen mit einem anderen Glaubensbekenntnis in den europäischen Raum, habe auch in der Schweiz die Religion zu einem zentralen Thema gemacht und fordere die Gesellschaft heraus, das Verhältnis von Religion und Staat zu überdenken. In Europa gebe es drei Modelle, wie Silvio Ferrari, Professor für Kirchenrecht an der Universität Mailand und Lugano darlegte, die nicht fest abgegrenzt und ständig in Entwicklung seien.
In Ländern mit einer starken Mehrheitsreligion, die auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördere, wie in Italien oder Russland, werde die traditionelle Religion oft vom Staat anerkannt und bevorzugt behandelt. Wie der Kruzifixstreit gezeigt habe, werde in Italien das Kruzifix mehrheitlich als kulturell-italienisches und nicht primär als religiöses Symbol verstanden.
In einem Land wie Frankreich, in dem vorwiegend säkulare Werte wie Demokratie, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Staat formten, sei das Verhältnis zur Religion von negativer Neutralität geprägt: Religiöse Symbole in öffentlichen Schulen würden zum Beispiel strikt verboten.
In einer ausgeprägt multikulturellen Gesellschaft, wie in Grossbritannien, interveniere der Staat manchmal auf Grund des absoluten Vorrangs der Menschenrechte in religiöse Belange, sodass in einem Fall das Gericht entschieden habe, wer auf Grund welcher Kriterien „jüdisch“ sei. Um Diskriminierung zu vermeiden, sei mit dem Entscheid ein zentrales Aufnahmekriterium, entgegen der bisherigen Regelung der jüdischen Schule, vom Staat neu definiert worden.
Die Experten am Symposium waren sich einig, dass europaweit nicht ein einziges Modell des Verhältnisses von Religion und Staat gefunden werden könne, sondern dass auf den jeweiligen historisch gewachsenen Gegebenheiten die Beziehung zwischen Religion und Staat weiter entwickelt werden müsse.
Am Symposium haben folgende Experten teilgenommen: Prof. Paolo Becchi (Universität Luzern), Prof. Margiotta Broglio (Universität Florenz), Prof. Silvio Ferrari (Universität Mailand und Theologische Fakultät Lugano FTL), Prof. Libero Gerosa (FTL), Prof. Vincenzo Pacillo (Universität Modena und FTL), Dr. Gianfranco Rossi (International Religious Liberty Association). Der Initiant des Symposiums, Giampiero Vasallo, Pastor der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten von Lugano, konnte die Internationalen Vereinigung zur Verteidigung und Förderung der Religionsfreiheit (IVVFR) als Trägerin des Symposiums gewinnen.