„Die Freikirchen in den Umbrüchen der Weimarer Republik“ lautete das Thema des Frühjahrssymposiums des Vereins für Freikirchenforschung (VFF) vom 1. bis 2. April in Büsingen am Hochrhein. Der Volkswirt Dr. Lothar Weiss (Frechen bei Köln) befasste sich mit dem Staatskirchenrecht der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Das Bündnis von Thron und Altar sei zwar nach dem Ersten Weltkrieg zu Ende gegangen, dennoch hätten die evangelische und die römisch-katholische Kirche ihre bisherigen Rechte behalten wollen. Weiss sprach deshalb von einer „hinkenden Trennung von Kirche und Staat“. Die alten Rechte der Kirchen seien anerkannt worden, doch wäre durch die Verleihung von Körperschaftsrechten auch an neue Religionsgemeinschaften eine rechtliche Gleichstellung erfolgt.
Zum „Streit um die Rechtsform der protestantischen Landeskirchen 1918/19 im Spiegel der baptistischen Zeitschriftenpresse“ äusserte sich Jonathan Scheer, Student am Theologischen Seminar (Fachhochschule) des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Elstal bei Berlin. Nach dem Ersten Weltkrieg hätten die Baptisten zwar die Demokratisierung samt Religions- und Pressefreiheit begrüsst, doch sie wollten unpolitisch sein. Politik sei Privatsache und interessiere sie nicht. Die Trennung von Kirche und Staat sei zwar begrüsst worden, doch es wäre den Baptisten weniger um die Abschaffung der Staatskirchen gegangen, sondern um rechtliche Gleichstellung mit ihnen. Die Sozialdemokratie, die sich primär gegen das Staatskirchentum gestellt habe, aber nicht gegen die Freikirchen, sei wegen Bekämpfung religiöser Werte abgelehnt worden.
Der Historiker Dr. Gunter Stemmler (Frankfurt/Main) bezeichnete das Wirken der Bischöflichen Methodistenkirche in der Weimarer Republik als „Erfolgsgeschichte ohne Happy End“. Zwar sei die Mitgliederzahl von 22.000 im Jahr 1919 auf knapp 34.000 im Jahr 1932 gestiegen, doch es wäre den Methodisten nicht gelungen, mit ihrer Botschaft Einfluss auf das Leben der Bevölkerung in Deutschland zu nehmen. Die konservativ ausgerichtete Freikirche habe als Sekte und „ausländisches Gewächs“ gegolten, da sie aus den USA und Grossbritannien stamme.
Mit ihrem Grossvater Friedrich Heitmüller (1888-1965) und seiner Auseinandersetzung mit Kirche und Staat in der Weimarer Republik befasste sich die freie Journalistin Ulrike Heitmüller (Berlin). Friedrich Heitmüller leitete in Hamburg die „Gemeinde am Holstenwall“, die zum Gnadauer Verband innerhalb der evangelischen Kirche gehörte. Ihr waren das Diakonissenhaus „Elim“ und seit 1927 ein Krankenhaus angeschlossen. 1934 kam es jedoch zur Trennung mit dem Gnadauer Verband, und die Gemeinde wurde 1937 in den Bund Freier evangelischer Gemeinden (BFeG) aufgenommen. Noch 1932 sei ihr Grossvater ein scharfer Gegner des Nationalsozialismus gewesen, betonte Ulrike Heitmüller. Obwohl er auch später religiöse Anschauungen der NSDAP kritisiert habe, wäre er dann doch zum Befürworter der NS-Bewegung geworden und hätte rassistische und antisemitische Positionen vertreten.
Auf die Freien evangelischen Gemeinden (FeG) in der Weimarer Republik ging der Pastor der FeG-Gemeinde Brühl bei Köln, Jens Mankel, ein. Auch diese Freikirche verzeichnete von 1919 bis 1930 ein Mitgliederwachstum von 9.000 auf 12.800. Zur Erlangung der Körperschaftsrechte habe eine eigene Verfassung verabschiedet werden müssen, sodass es Meinungsverschiedenheiten beim Thema Kirche und Staat gegeben habe. Zu Auseinandersetzungen sei es mit den evangelischen Landeskirchen wegen der kirchlichen Friedhöfe gekommen, auf denen es freikirchlichen Predigern nicht gestattet gewesen wäre, Grabreden zu halten. Obwohl die FeG an dem Bibelwort des Apostel Paulus in Römer Kapitel 13 festhielt, dass jede Obrigkeit von Gott kommt, sei die Demokratie als „christusfeindlich“ angesehen worden. Diese Spannungen, zu denen noch apokalyptisches Denken gekommen wäre, hätten nicht aufgelöst werden können.
Pastor i.R. Karl Heinz Voigt (Bremen) ging auf die grosse Krise der 1926 in Leipzig gegründeten Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) ein. Zu ihr gehörten damals der Bund der Baptistengemeinden in Deutschland, die Freien evangelischen Gemeinden (FeG), die Evangelische Gemeinschaft und die Bischöfliche Methodistenkirche. Der Staat und die evangelische Kirche hatten mit der VEF jetzt ein gemeinsames Gegenüber, doch die Kontakte, die sich daraus ergaben, führten die VEF 1929 bis 1932 in eine Krise. Der Methodist Theophil Mann vertrat die VEF unter anderem in der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung sowie in der Bewegung für Praktisches Christentum, die Vorläuferorganisationen des Ökumenischen Rates der Kirchen waren. Die FeG und die Baptisten äusserten 1929 Bedenken, ob eine Zusammenarbeit in diesen und anderen Gremien mit liberalen Theologen möglich sei. Die Spannungen hätten sich 1932 zugespitzt, da es in beiden Freikirchen Überlegungen gegeben habe, die VEF zu verlassen. Gelöst sei das Problem damals nicht worden, so Voigt. Doch die Spannungen hätten sich 1933/34 aufgelöst, als die NS-Machthaber eine Deutsche Reichskirche propagierten, durch die auch die Freikirchen in ihrer Eigenständigkeit bedroht gewesen wären.
Ueli Frei, Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Chur/Schweiz, legte einen Forschungsbericht zur Methodistenkirche in Bulgarien zwischen Duldung und Verfolgung vor. Er spannte den Bogen vom Jahr 1857 mit der Aussendung der ersten methodistischen Missionare aus den USA bis zum Ende der kommunistischen Ära in Bulgarien 1989.
Die Kirchenhistorikerin Dr. Gisa Bauer (Leipzig) befasste sich mit der zeitgenössischen landeskirchlichen Sicht zu den Freikirchen während der Weimarer Republik. Die Freikirchen seien von den Landeskirchen als Sekten angesehen worden. Als die Freikirchen Körperschaftsrechte beantragten, hätten die staatlichen Ministerien der deutschen Länder die Landeskirchen um Stellungnahmen gebeten. Doch eine Definition des Begriffes „Freikirche“ hätte es weder bei den Landeskirchen noch bei den Freikirchen gegeben. Der grösste Vorbehalt der Landeskirchen sei die Mission der Freikirchen unter evangelischen Kirchenchristen gewesen.
Die Frühjahrstagung des Vereins für Freikirchenforschung (VFF) schloss mit dem Referat von Pfarrer Dr. Walter Fleischmann-Bisten, dem Freikirchlichen Referenten des Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim, zum Thema „Die Rezeption der Theologie Karl Barths in den Freikirchen“. Er kam zu dem Schluss, dass sich die Freikirchen in der Weimarer Zeit bis auf wenige Ausnahmen nicht für den Schweizer evangelisch-reformierten Theologen Karl Barth (1886-1968) interessiert hätten. Die Freikirchen seien damals vor allem mit Rechtsfragen und ihrer erfolgreichen Mission befasst gewesen. „Die Nichtbeachtung Barths hatte zur Konsequenz, dass die Freikirchen schlecht gerüstet in die Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus gegangen sind“, so Fleischmann-Bisten. Aber auch Barth habe die Freikirchen nicht richtig verstanden und ihre Mitarbeit in der Bekennenden Kirche mit der Begründung abgelehnt, sie hätten kein reformatorisches Bekenntnis. Die in Büsingen gehaltenen Referate werden im VFF-Jahrbuch dokumentiert.