Über Herausforderungen der weltweiten Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten im 21. Jahrhundert sprach der frühere Präsident der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung), Pastor Dr. Jan Paulsen, in der Adventgemeinde Stuttgart-Mitte. Vordringlich sei die Entscheidung, ob Frauen als Pastorinnen ordiniert werden dürften. Seit 40 Jahren beschäftige diese Frage die unterschiedlichsten Gremien der Freikirche. Die Generalkonferenz-Vollversammlung (Weltsynode) 1990 in Indianapolis, Indiana/USA, habe als oberstes Entscheidungsgremium die Frage verneint. Als daraufhin die Adventisten in Nordamerika baten, in ihrem Verantwortungsbereich die Ordination von Pastorinnen zu erlauben, sei das während der Weltsynode 1995 in Utrecht ebenfalls mehrheitlich abgelehnt worden. Nun stehe diese Frage erneut auf der Agenda der Generalkonferenz-Vollversammlung 2015, welche vom 2. bis 11. Juli in San Antonio, Texas/USA, stattfinden soll. Auf Befürchtungen, dass ein Beschluss, Frauen zu ordinieren, die Kirche spalten werde, entgegnete Paulsen: „Das mag sein. Aber Frauen nicht zu ordinieren hat mindestens die gleiche Wahrscheinlichkeit, unsere Kirche zu spalten.“ Es gelte daher einen Weg zu finden, den beide Parteien akzeptieren könnten. Alle Argumente seien ausgetauscht und das Problem könne nicht erneut vertagt werden.
Doch es gebe eine Reihe weiterer Herausforderungen für die Freikirche, so Paulsen. Es gelte als weltweite Kirche trotz kultureller Gegensätze und theologische Herausforderungen die Einheit und Identität zu bewahren. Eine weltweite Glaubensgemeinschaft stehe vor der schwierigen Aufgabe, ihre geistlichen Werte in die Lebenspraxis vieler unterschiedlicher Kulturen zu integrieren. Dabei müsse auch der Versuchung widerstanden werden, sich von Menschen, die ganz andere Wertvorstellungen hätten, in die „eigene heile Welt“ zurückzuziehen. „Entweder die Öffentlichkeit akzeptiert uns als Teil der Gesellschaft und sieht, dass wir uns an der Gestaltung des Lebens in der politischen Gemeinde aktiv beteiligen wollen, oder sie hält uns für eine irrelevante Sekte, die sich von allen anderen abgrenzt“, gab Paulsen zu bedenken. „Unsere Welt mag von Gott nichts mehr wissen wollen, aber es ist eine Welt voller Menschen, die wir unter keinen Umständen sich selbst überlassen dürfen.“ Adventisten müssten daher ihre Werte ausleben, Menschen für die Zukunft vorbereiten, etwa durch Bildung, und als Friedensstifter wirken.
Auch im Umgang mit anderen christlichen Kirchen und anderen Weltreligionen stellte Paulsen die Fragen: „Nehmen wir zu ihnen eine aufgeschlossene Haltung ein und setzen uns offen mit ihnen auseinander? Erklären wir ihnen, wer wir sind, was wir glauben und welche Aufgaben wir haben, oder schotten wir uns ab, ziehen uns zurück und bezeichnen jede Kommunikation mit Andersgläubigen als gefährlich?“ Entweder würden Adventisten sich selbst vorstellen "oder andere werden das für uns tun - und uns sehr wahrscheinlich falsch darstellen oder sogar karikieren". Es sei zwar angenehmer nur mit Gleichgesinnten zu reden, doch Wahrheit brauche eine genaue Überprüfung nicht zu fürchten. Adventistische Gemeindeglieder, Pastoren, Lehrer und Leiter hätten die Aufgabe, darzustellen, wie die eigene Überzeugung und der Respekt vor Andersgläubigen nebeneinander existieren könnten.
Jan Paulsen wurde im Norden Norwegens geboren. Nach seiner Ausbildung arbeitete er als Pastor, Dozent und Rektor an adventistischen Hochschulen in Afrika. Danach lehrte er am Newbold College in England, dessen Rektor er bald wurde. An der Universität Tübingen erwarb er 1972 den Doktorgrad in Theologie. 1980 wurde er Sekretär (Geschäftsführer) und 1983 Präsident der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Nord- und Südosteuropa. 1999 erfolgte die Wahl zum Präsidenten der Weltkirchenleitung (Generalkonferenz), eine Aufgabe, die er bis 2010 im Alter von 75 Jahren innehatte. 2012 wurde Jan Paulsen „für seine verdienstvolle Tätigkeit zum Wohl der Menschheit“ vom norwegischen König mit einem Orden ausgezeichnet. Er ist mit Kari verheiratet, gemeinsam haben sie eine Tochter und zwei Söhne.
Die in Stuttgart geäusserten Gedanken hatte Jan Paulsen bereits 2012 in seinem Buch „Wohin steuern wir?“ dargelegt, das beim Advent-Verlag, Lüneburg, (www.advent-verlag.de) erhältlich ist.