Der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, und die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) erinnern an Hermann Stöhr, der vor 75 Jahren am 21. Juni 1940 hingerichtet wurde, weil er aus Gewissensgründen den Wehrdienst abgelehnt hatte. Er ist der einzige bekannte Christ einer evangelischen Landeskirche, der als Kriegsdienstverweigerer vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt wurde.
„Hermann Stöhr ist als Christ nur seinem Gewissen gefolgt. Er hat sein Nein zum Dienst in Hitlers Wehrmacht mutig und konsequent zum Ausdruck gebracht und dafür mit dem Leben bezahlt“, unterstrich der EKD-Friedensbeauftragte. „Mit seinem christlichen Glaubenszeugnis und seinem unerschütterlichen Eintreten für Frieden und Verständigung zwischen den Völkern gehört Hermann Stöhr zu den Menschen, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen“, betonte Renke Brahms.
„Heute ist in der deutschen Verfassung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verankert. Das geschah nicht zuletzt, weil im Dritten Reich Menschen, die aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe ablehnten, unerbittlich verfolgt und hingerichtet wurden. Zu diesen Menschen gehört Hermann Stöhr“, machte auch Dr. Christoph Münchow, der EAK-Bundesvorsitzende, deutlich. Darum sei es wichtig, sich an ihn zu erinnern und sein mutiges Handeln zu würdigen.
Hermann Stöhr hat schon früh den Irrweg des Nationalsozialismus erkannt
„Den Dienst mit der Waffe muss ich aus Gewissensgründen ablehnen. Mir wie meinem Volk sagt Christus: Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen. So halte ich die Waffen-Rüstungen meines Volkes nicht für einen Schutz, sondern für eine Gefahr. Was meinem Volk gefährlich und verderblich ist, daran vermag ich mich nicht zu beteiligen.“ Das schrieb Hermann Stöhr im März 1939, als er zur Kriegsmarine einberufen wurde und den Kriegsdienst ablehnte. Weiteren Einberufungsbefehlen kam er nicht nach. Er wurde verhaftet, wegen Fahnenflucht zu Gefängnis verurteilt und, obwohl er sich zu einer Ableistung eines Arbeitsdienstes statt militärischer Übungen bereit erklärt hatte, wegen der Eidesverweigerung schliesslich am 16. März 1939 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt.
Der 1898 geborene Hermann Stöhr hatte sich nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg in der ökumenischen Bewegung und im „Versöhnungsbund“ engagiert. Bereits früh nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten klagte er die Verfolgung von Juden an und forderte seine Kirche auf, sich für die Menschen in den Konzentrationslagern einzusetzen.
„Hermann Stöhr hat schon früh den Irrweg der Nationalsozialisten erkannt und Widerstand geleistet. Umso beschämender ist es, dass er hier auch von seiner evangelischen Kirche im Stich gelassen wurde“, so der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms. Christoph Münchow beklagt: „Statt Hermann Stöhr nach dem Zweiten Weltkrieg für sein mutiges Bekenntnis zu würdigen, ist er in Vergessenheit geraten.“ Erst 1997 sei durch das Landgericht Berlin das Urteil des Reichskriegsgerichtes wieder aufgehoben und in Berlin ein Platz nach ihm benannt worden.
Der erste Kriegsdienstverweigerer, ein Zeuge Jehovas, wurde 1939 erschossen
August Dickmann wurde als erster deutscher Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg öffentlich hingerichtet, erinnerte Holger Teubert (Ostfildern bei Stuttgart), Leiter des Referats Kriegsdienstverweigerung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland. Dickmann war Zeuge Jehovas und auch nach dem Verbot der Religionsgemeinschaft am 24. Juni 1933 missionarisch tätig. Deswegen verhaftete ihn die Gestapo. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und im Oktober 1937 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Dort weigerte er sich den Wehrpass zu unterschreiben. Da er darauf beharrte, im Krieg nicht zu kämpfen, wurde der 29-Jährige zur Abschreckung vor den Augen aller Häftlinge, auch seiner Glaubensbrüder, am 15. September 1939 auf dem Appellplatz des KZs erschossen. Das war nur 14 Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Nach Angaben von Historikern wurden bis 1945 etwa 250 deutsche und österreichische Zeugen Jehovas vom Reichkriegsgericht wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt und in der Regel durch das Fallbeil hingerichtet.
Römisch-katholische Kriegsdienstverweigerer
Michael Lerpscher war der erste in Deutschland wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtete Katholik, so Teubert. Der im Oberallgäu geborene Bauernsohn wurde im Frühjahr 1940 zur 188. Division in Graz einberufen. Dort verweigerte er den Fahneneid und den Kriegsdienst. Er kam in Haft und wurde am 2. August 1940 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt. Am 2. September überstellte man ihn ins Zuchthaus Görden bei Brandenburg, wo er am 5. September 1940 durch das Fallbeil starb. Namentlich sind elf römisch-katholische Kriegsdienstverweigerer bekannt, die im Zweiten Weltkrieg hingerichtet wurden. Der ebenfalls im Zuchthaus Görden am 9. August 1943 getötete Oberösterreicher Franz Jägerstätter wurde 2007 als Märtyrer von Papst Bendekikt XVI. selig gesprochen.
Siebenten-Tags-Adventisten und Reformadventisten
Aus der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten gibt es laut Holger Teubert zwei namentlich bekannte Kriegsdienstverweigerer, die zum Tode verurteilt wurden: Franz Partes aus Wien kam wegen Kriegsdienstverweigerung in Olmütz vor ein Kriegsgericht, das ihn verurteilte. Er wurde in ein KZ eingeliefert, wo er starb. Der Schütze Dlugosch von der 10. Kompanie des Jägerregiments 653 hatte ebenfalls den Dienst mit der Waffe verweigert. Ein Feldkriegsgericht verurteilte ihn wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode. Das Urteil wurde am 11. Mai 1940 durch Erschiessen vollstreckt. Otto Gross aus dem Warthegau weigerte sich ebenfalls, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Nach seiner Verurteilung kam er ins Konzentrationslager Dachau, wo er von den Amerikanern befreit wurde. Ausserdem sind sieben Reformadventisten bekannt, die als Kriegsdienstverweigerer starben: Josef Blasi, Anton Brugger, Viktor Pacha, Günter Pietz, Gustav Przyrembel, Julius Ranacher und Leander Zrenner. Die Reformadventisten trennten sich im Ersten Weltkrieg von der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten.
Baptisten und Gemeinschaft der Christadelphian
Am 25. Juni 1943 wurde der Baptist Alfred Herbst vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung des Urteils erfolgte am 20. Juli 1943 durch Erschiessen. Die Gemeinschaft der Christadelphian hatte während der NS-Zeit nur etwa 60 Mitglieder. Wegen Kriegsdienstverweigerung wurde Albert Merz am 4. April 1941 im Zuchthaus Görden bei Brandenburg hingerichtet. Seine beiden Brüder Rudolf und August kamen aus dem gleichen Grund in die Psychiatrie beziehungsweise ins KZ Sachsenhausen, wo sie den Zweiten Weltkrieg überlebten.
Vor seiner Hinrichtung in Halle/Saale am 29. September 1943 schrieb der damalige 18-jährige Adventist Günter Pietz an seine Eltern: „Wegen der Todesstrafe habe und mache ich mir gar keine Gedanken. Denn ich weiss, dass mir Gott beisteht, und so einen Frieden und eine Ruhe im Herzen habe ich nicht gehabt wie in diesen letzten Tagen. ... Weinet nicht über mich, denn ich bin gut aufgehoben. Wenn unser Heiland einmal kommt, um sein Volk zu erlösen, dann werden wir uns freuen. Und mein Wunsch ist es, Euch, liebe Eltern, dort zu sehen. Es soll uns nichts scheiden von der Liebe Gottes.“