Zum Gespräch über das neue „Handbuch Friedensethik“ lud die Evangelische Akademie nach Berlin ein. Dass Friede in dieser Welt nötig ist, dürfte unumstritten sein, doch die Meinungen gehen auseinander, wie er durchgesetzt und erhalten werden kann. Dabei wird zur Lösung von Konflikten als „ultima ratio“ (letztes Mittel) auch die Anwendung von militärischer Gewalt nicht ausgeschlossen. Der mennonitische Friedensethiker Fernando Enns setzt dagegen auch bei einer humanitären Katastrophe wie im Syrien-Konflikt auf ein gewaltfreies Engagement.
„Handbuch Friedensethik“
Das „Handbuch Friedenethik“ wurde von Dr. Ines-Jacqueline Werkner, Friedens- und Konfliktforscherin an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg sowie Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt/Main, und Klaus Ebeling, Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg (IThF) sowie Lehrbeauftragter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Potsdam, im Springer VS Verlag herausgegeben.
Es bietet mit 979 Seiten eine systematische Übersicht zu zentralen Aspekten der Friedensethik, einen interdisziplinären Zugang zum Stand der Forschung sowie zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten. Es enthält einerseits zahlreiche Beiträge zur Ideengeschichte und zu den theoretischen Grundlagen der Friedensethik. Andererseits suchen Expertinnen und Experten aus den relevanten Fachgebieten eine realitäts- und problembewusste Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der konfliktbeladenen Gegenwart und nehmen dabei die Spannungen zwischen normativer und erklärender Theorie sowie zwischen Theorie und lebensweltlicher Erfahrung in den Blick.
Die Autorinnen und Autoren sind sich einig, dass Frieden nötig und möglich ist, jedoch geht es dabei nicht konfliktfrei zu. Bei Gewalt und Krieg ist neben Risikosensibilität und Korrekturbereitschaft eine konfliktbereite Problemlösungskompetenz gefragt, die im Verhältnis der beteiligten Personen Toleranz aus Respekt erfordert. Doch wie dies praktisch umgesetzt werden kann, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Es begann in Syrien mit friedlichen Protesten
Uwe Trittmann von der Evangelischen Akademie Berlin erinnerte daran, dass in dem seit sechs Jahren stattfindenden Bürgerkrieg in Syrien etwa eine halbe Million Menschen getötet wurden und rund 11,6 Millionen Syrer auf der Flucht seien, davon 7,6 Millionen innerhalb ihres eigenen Landes. Auslöser des Konflikts seien infolge des „Arabischen Frühlings“ friedliche Proteste gegen die Regierung von Bashar al-Assad gewesen. Sicherheitskräfte seien jedoch Mitte März 2011 gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen. Im Sommer 2011 bildeten desertierende Soldaten die „Freie Syrische Armee“, die den Schutz von Zivilisten als Ziel angab. Die Lage entwickelte sich so zu einem Bürgerkrieg. Bei einer derartigen Eskalation riefen die einen zu harten Reaktionen auf, während andere vor dem Rückfall in die „Logik der Gewalt“ warnten, so Trittmanm.
Frieden und Gerechtigkeit
Professor Dr. Friedhelm Hengsbach, Philosophisch-Theologische Hochschule Stankt Georgen in Frankfurt/Main, gab zu bedenken, dass Friedensethik mit der Gerechtigkeitsdebatte zusammenhänge, denn Gerechtigkeit schaffe Frieden. Gerechtigkeit bedeute, dass jede Person einen moralischen Anspruch darauf habe, mit der gleichen Achtung und Rücksicht behandelt zu werden wie jede andere. Das schliesse ein, dass natürliche Benachteiligungen und gesellschaftliche Diskriminierungen fortlaufend korrigiert würden.
Realpolitik auf krummeren Wegen als die Ethik
Zum Spannungsverhältnis von Friedensethik, Friedenspolitik und Friedensforschung äusserten sich Professor Dr. Thorsten Bonacker, Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg, und Dr. Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Nach Bonacker sei Friedenspolitik ein Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren. Wenn sich die Friedensethik jedoch nur auf Gerechtigkeit und Sicherheit konzentriere, gefährde sie den Frieden.
Die Realpolitik könne einen „krummeren Weg“ gehen als die Ethik, behauptete Röttgen. Man müsse dem Anderen nur zutrauen, dass er die Atomwaffe auch einsetze, um zu verhindern, dass sie wirklich eingesetzt werde. Das habe im „Kalten Krieg“ funktioniert, funktioniere jetzt aber nicht mehr. Heute gebe es im Bewusstsein keine atomare Bedrohung, obwohl die Waffen noch vorhanden und neue Waffen, wie im Cyberbereich, hinzugekommen seien. Doch durch den Wegfall der Vernichtungsdrohung seien Kriege, auch in Europa, wieder Realität.
Das Dilemma der Realpolitik
Die Realpolitik habe das Schweigen der Waffen zum Ziel und damit das Streben nach Sicherheit. Doch Friede sei viel mehr. Es habe schon lange keinen Frieden mehr gegeben wenn der erste Schuss fällt. Und nach dem letzten Schuss gebe es nicht automatisch Frieden. Doch die Politik neige dazu möglichst lange wegzuschauen, anstatt vor dem ersten Schuss tätig zu werden und nach dem letzten Schuss dazubleiben um mitzuhelfen Frieden zu schaffen. Im Syrien-Konflikt habe die USA dem Assad-Regime mit einem militärischen Eingreifen gedroht, wenn eine „rote Linie“ überschritten werde. Als diese Linie überschritten worden sei und nichts geschah, wäre das für andere eine Einladung zum Krieg führen gewesen, kritisierte Röttgen. Hätten andererseits die USA ohne ein politisches Konzept in den Bürgerkrieg eingegriffen, wären die Folgen eventuell noch verhängnisvoller gewesen, gab er zu bedenken. So stehe die Realpolitik immer wieder vor einem Dilemma.
Gewaltfreies Engagement auch in Syrien
Professor Dr. Fernando Enns, Leiter der Arbeitsstelle „Theologie der Friedenskirchen“ der Universität Hamburg, plädierte auch in Syrien für ein gewaltfreies Engagement. Er lehne militärische Gewalt, auch als sogenannte „ultima ratio“, ab. Stattdessen sollten sich Christen für einen aktiven Friedensdienst einsetzen, soweit es in ihrer Macht stehe. Wer militärische Gewalt als Mittel der Politik ansehe und sei es aus den besten, ethisch begründeten Motiven, und sei dies auch noch so ausdrücklich als „ultima ratio“ eingeschränkt, bleibe letztlich in den Gewaltlogiken gefangen, die unsägliche Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen würden und neue erzeugten. Das habe weitreichende Folgen, wie die sich daraus ergebende Legitimierung zur Waffenproduktion, zum Waffenexport, bis zur Entwicklung von neuen Tötungs-Technologien. Diese „ultima ratio“-Argumentation funktioniere in der Praxis ebenso wenig wie es die „Lehre vom gerechten Krieg“ getan habe. Militärische Einsätze des Westens in den vergangenen Jahren als „Krieg gegen den Terror“ hätten keines ihrer Ziele erreicht, aber unendlich viel Leben und Vertrauen zerstört, was die Friedensbildung auf lange Zeit nahezu unmöglich gemacht habe, stellte Enns fest.
Alternativen zur Gewaltanwendung
Für Christen sei, so Fernando Enns, die Gewaltanwendung keine Handlungsoption. Tödliche Gewalt könne nicht als Mittel zum Zweck gerechtfertigt werden. Auch nicht zum Schutz des Lebens anderer, da so Leben gegen Leben gestellt werde und man sich anmasse zu richten, welches Leben zu schützen und welches notfalls zu zerstören sei. Christen wollten sich damit nicht ihrer Verantwortung entziehen, sondern suchten nach Möglichkeiten der zivilen Konfliktlösung. Dabei werde zwischen militärischer Gewalt und polizeilichen Zwangs- und Schutzmassnahmen unterschieden. Es gehe laut Enns darum, Menschen gewaltfrei zu schützen und Räume für eine Verständigung zwischen verfeindeten Parteien zu eröffnen. Durch gelebte Solidarität mit den Menschen vor Ort könne der Mut zu neuen Lösungswegen wachsen und dem Gegner deutlich signalisiert werden: Alles was hier geschieht, bleibt nicht unbeachtet. Dabei komme es darauf an, die Weisheit, Kultur und Mentalität sowie den Glauben der betroffenen Menschen zu respektieren und sie selbst Konfliktlösungswege entwickeln und gehen zu lassen. Das geschehe nicht kurzfristig, sondern gesellschaftliche Transformationen seien nur langfristig möglich. Dabei sollten möglichst viele Bevölkerungsteile vor Ort mit einbezogen werden, damit sie selbst für die Nachhaltigkeit eines gerechten Friedens sorgen könnten.
Die Kirche sollte sich nicht nur für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, sondern dies auch selbst praktizieren, gab Enns zu bedenken. Die Friedenskirchen beanspruchten nicht, Lösungen für alle Konflikte zu haben. Sie wüssten von ihrer eigenen Hilflosigkeit und Begrenztheit in vielen gewaltvollen Situationen. Sie setzten auf langfristige Einsätze im kleinen Format. In Syrien, Afghanistan und im Irak seien sie lange im Bildungsbereich und in der Nothilfe tätig gewesen. Sie hätten das Vertrauen bei Christen und Muslimen gehabt, bis das massive militärische Eingreifen des Westens diese Ansätze eines gerechten Friedens nahezu unmöglich gemacht hätten, bedauerte Professor Enns.