„Gefangen im Wort Gottes“, ein Ausspruch Martin Luthers, war das Predigtthema von Pastor Ted N. C. Wilson (Silver Spring, Maryland/USA), Präsident der Weltkirchenleitung (Generalkonferenz) der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Die Predigt hielt er am 8. Juli in einem Gottesdienst der Adventgemeinde Friedensau bei Magdeburg/Deutschland, wo sich auch die adventistische Theologische Hochschule befindet. Der Gottesdienst wurde live im Hope Channel Fernsehen des adventistischen Medienzentrums Stimmte der Hoffnung übertragen. Zuvor hatte Wilson mit einer Delegation anlässlich des 500. Jahrestages der Reformation auf Einladung des Nord- und Süddeutschen Verbandes der Adventisten die Lutherstädte Eisenach, Erfurt und Wittenberg besucht.
Allein die Bibel
Als sich Martin Luther 1521 auf dem Reichstag zu Worms vor dem Kaiser, den Fürsten und hohen Vertretern der römisch-katholischen Kirche verantworten musste, betonte er: „Wenn ich nicht durch Zeugnisse aus der Heiligen Schrift und klare Vernunftsgründe überzeugt werde – denn weder dem Papst noch dem Konzil allein kann ich glauben, die offenkundig geirrt und sich widersprochen haben −, so bin ich überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Ich kann und will daher nichts widerrufen …“ Wenn Luther von einem Gefangensein im Wort Gottes sprach, so sei es ihm um das Prinzip „sola scriptura“ (allein die Schrift) gegangen, sagte Wilson. Luther habe darauf vertraut, dass die Botschaft von der Erlösung des Menschen durch Jesus Christus hinreichend durch die Bibel vermittelt werde und keiner Ergänzung durch kirchliche Überlieferungen bedürfe. Diesen Grundsatz würden auch die Siebenten-Tags-Adventisten vertreten.
Der Kirchenleiter erwähnte seinen Besuch in der Lutherstube auf der Wartburg bei Eisenach, wo der Reformator von 1521 bis 1522 in Sicherheit war und das Neue Testament in die deutsche Volkssprache übersetzte. Wie Luther sei Ted Wilson davon überzeugt, dass man den Inhalt der Bibel durch den Heiligen Geist, der im Herzen des Hörers oder Lesers wirke, verstehen könne.
Gott ist auch in der Natur zu finden
Gott spreche laut Wilson durch die Bibel zu den Menschen, aber auch durch die Natur. Vor seiner Deutschlandreise sei der Kirchenleiter mit Vertretern des Geoscience Research Institute (Geowissenschaftliches Forschungsinstitut) der Generalkonferenz in den nordwestlichen Alpen von Frankreich, Italien und der Schweiz gewesen. Die beeindruckende Landschaft wäre für ihn ein Hinweis auf den Schöpfergott, dessen Wirken schon in den ersten Kapiteln der Bibel beschrieben werde.
Kein Grund, sich für die Reformation zu entschuldigen
In Erfurt, wo Wilson auch war, trat Martin Luther 1505 ins Augustinerkloster ein, um durch strenge geistliche und asketische Übungen Frieden mit Gott zu finden. Doch Luther verzweifelte trotz seiner täglichen Bussübungen an seiner unüberwindlichen Sündhaftigkeit und fragte sich: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Erst nachdem der Reformator 1511 Erfurt verliess und nach Wittenberg ging, wurde ihm durch das Studium des Römerbriefes des Apostels Paulus klar, dass keine Eigenleistung, sondern nur das Vertrauen auf den Opfertod Christi am Kreuz den Menschen mit Gott versöhnt. Diese Erkenntnis führte neben dem „sola scriptura“ zu den weiteren Prinzipien „sola fide“ (allein durch den Glauben), „sola gratia“ (allein durch Gnade) und „solus Christus“ (allein Christus) als Grundsätze der Reformation. Gott habe Luther und die anderen Reformatoren zu diesen Erkenntnissen geführt. Es gebe daher keinen Grund, sich für die Reformation zu entschuldigen, betonte Wilson.
Evangeliumsverkündigung durch Wort und Tat
Das Vermächtnis der Reformation sei für Siebenten-Tags-Adventisten ebenfalls fundamental. Auch sie hätten die Aufgabe, die Botschaft „Christus unsere Gerechtigkeit“ den Menschen in aller Welt nahezubringen. Der Präsident der Weltkirchenleitung (Generalkonferenz) zeigte sich erstaunt darüber, dass ihm bei seinem Besuch in Wittenberg mitgeteilt worden sei, dass es in der Stadt, in der Luther predigte, heute kaum noch Christen gebe. Der Kirchenleiter stellte die Frage: „Wie sollen diese Menschen an das glauben, was Jesus für sie tat, wenn ihnen dies niemand sagt?“
Gerade in einem säkular geprägten Land wie Deutschland stünden auch Adventisten vor der Aufgabe, die Botschaft „Christus unsere Gerechtigkeit“ zu verkündigen. Das könne laut Wilson durch Wort und Tat geschehen. Etwa durch Bibelkreise, Seminare und öffentliche Evangelisationen. Aber auch durch gelebten Glauben, wie Seelsorge und praktische Hilfe für Notleidende. Jeder Adventist sei aufgerufen, seine eigenen Möglichkeiten zu finden, um Menschen mit dem Evangelium vertraut zu machen. Ted Wilson, der seine Predigt in Englisch hielt, wurde übersetzt von Pastor Dennis Meier, Präsident der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Abschluss der Studienreise in Berlin
Auf seiner Studienreise nach Eisenach, Erfurt und Wittenberg wurde Ted Wilson von seiner Ehefrau Nancy begleitet. An der Reise nahm unter anderem der Vorstand der teilkontinentalen Kirchenleitung (Intereuropäische Division) mit Sitz in Bern, bestehend aus Präsident Mario Brito, Vizepräsident Barna Magyarosi und Finanzvorstand Norbert Zens, teil. Ausserdem der Vorstand des Norddeutschen Verbandes mit Präsident Johannes Naether und Vizepräsident Friedbert Hartmann, der Vorstand des Süddeutschen Verbandes mit Präsident Werner Dullinger und Vizepräsident Jochen Streit sowie der gemeinsame Finanzvorstand beider Verbände Dieter Neef. Die wissenschaftliche Leitung der Tour übernahm Dr. Johannes Hartlapp, Dozent für Kirchengeschichte an der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg.
Am 9. Juni stand unter anderem ein Besuch des adventistischen Krankenhauses „Waldfriede“ in Berlin-Zehlendorf auf dem Programm. Hier interessierte Ted Wilson vor allem das zum Krankenhaus gehörende „Desert Flower Center“. Dort erhalten Frauen mit Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM) seit 2013 medizinische sowie psychosoziale Hilfe und Betreuung. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) würden täglich 8.000 Mädchen durch die sogenannte rituelle Beschneidung der weiblichen Genitalien verstümmelt. Weltweit gebe es 150 Millionen beschnittene Frauen und Mädchen. FGM werde nicht nur in bestimmten Ländern Afrikas oder Asiens praktiziert. Selbst in Deutschland lebten 50.000 Opfer mit Genitalverstümmelung.