Was haben die Kirchen aus der Vergangenheit gelernt? 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs stand in Berlin diese Frage im Mittelpunkt des Studientages „Kriege beenden – Frieden beginnen“ der Evangelischen Akademie zu Berlin und der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK). Dabei ging es um die Entwicklung der Friedensethik und der Kirchen in diesen 100 Jahren und wie aktuell die Thematik heute ist.
Wenige Tauben unter vielen Falken
„Es ist eine enorme Lerngeschichte unserer Kirchen, auch durch die Ökumene, die es in dieser Zeit gegeben hat. Damals waren es nur wenige, die auch in der Kirche für Frieden und Völkerverständigkeit ihre Stimme erhoben. Heute dagegen ist das Leitbild eines gerechten Friedens und der Vorrang der Gewaltfreiheit die Grundlage kirchlichen Friedenshandelns“, betonte Renke Brahms, der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in Berlin.
Doch gerade deshalb sei es wichtig, zu zeigen, dass es auch während der Zeit des Ersten Weltkrieges pazifistische Stimmen in der Kirche gab. „Sie sind die Verwurzelung gegenwärtiger christlicher Friedensarbeit“, so Dr. Christoph Münchow, der Bundesvorsitzende der EAK. „Und sich dessen bewusst zu sein, das ist auch heute von bleibender Bedeutung“, ergänzte Uwe Trittmann von der Evangelischen Akademie zu Berlin.
„Wenige Tauben unter vielen Falken“, so umschrieb der Historiker Dr. Karlheinz Lipp das pazifistische Engagement von einigen Pfarrern vor und während des Ersten Weltkriegs in Deutschland. Es habe pazifistische Stimmen gegeben, aber sie seien in der deutlichen Minderheit im deutschen Protestantismus gewesen, betonte Lipp. Doch wäre es wichtig, diese Stimmen sichtbar zu machen, damit sie nicht vergessen oder bewusst ausgeblendet würden, unterstrich der Historiker beim Studientag in Berlin.
So hätten sich beispielsweise Pfarrer wie Otto Umfrid in der 1892 gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft engagiert. 1913 sei ein von dem Berliner Pfarrer Walter Nithack-Stahn massgeblich initiierter Friedensaufruf veröffentlich worden, den 400 andere Pfarrer unterzeichnet hätten. Immer wieder habe es Versuche gegeben, den in Grossbritannien verbreiteten Friedenssonntag auch in Deutschland zu etablieren. Im Frühjahr 1914 hätten Walter Nithack-Stahn und Pfarrer Hans Francke nachdrücklich die militaristische Propaganda des Deutschen Wehrvereins kritisiert. „Es gab diese pazifistischen Stimmen, aber es waren nur wenige“, so Karlheinz Lipp.
Auch während des Ersten Weltkrieges habe es solche pazifistischen Äusserungen weitergegeben. Eine Stimme sei hier Friedrich Siegmund-Schultze gewesen. Noch während des Krieges wären zudem neue Friedensorganisationen wie der Bund Neues Vaterland, die Zentralstelle Völkerrecht und die Vereinigung Gleichgesinnter entstanden. Aufmerksamkeit habe auch die Friedensresolution von fünf Berliner Pfarrern im Jahr 1917 aus Anlass des 400. Reformationsjubiläums erregt. Aber die ernüchternde Bilanz des Historikers nach 1918: „Der Kaiser ging, doch die Kirchenfunktionäre und Pfarrer blieben mit ihren antipazifistischen Positionen.“
Konservative Gruppen beherrschten Kirchenstrukturen
Dies griff Professor Dr. Claudia Lepp von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf. „Es gab im deutschen Protestantismus in der Weimarer Republik sehr viele, für die Verständigung und Aussöhnung nach aussen wie auch Demokratie nach innen keine Bedeutung hatten“, bedauert sie. Das habe die evangelische Kirche in dieser Zeit nachhaltig geprägt.
„Es gab protestantische Traumata nach dem Ersten Weltkrieg. Die Niederlage, die Revolution und der Versailler Vertrag“, erläuterte die Historikerin. Der Mehrheitsprotestantismus habe die weltanschauliche Neutralität der Weimarer Republik sehr kritisch gesehen, die Kirchenstrukturen seien von konservativen Gruppen beherrscht worden und es habe nach dem Ersten Weltkrieg keinen radikalen Wandel in der Einstellung zum Krieg stattgefunden“, so die Professorin. Sicher habe es auch pazifistische Stimmen gegeben, wie die Religiösen Sozialisten, aber sie seien innerhalb des Protestantismus zu schwach gewesen, um Gehör zu finden. „Die Macht der alten Strukturen ist bestehen geblieben. Gerade auch im protestantischen Milieu gab es Sympathien für den aufkommenden Nationalsozialismus. Und der Tag von Potsdam 1933 war für viele Protestanten ein wichtiges Ereignis, das sie begrüssten“, gab die Münchener Historikerin zu bedenken.
Bunte Blumen auf einer grossen Friedenswiese
Dass es dennoch in diesen 100 Jahren viele christlich geprägte oder christlich motivierte Initiativen und Gruppen gab und gibt, machte Max Weber, EAK-Referent in Bonn, deutlich. Er verwies auf die bunte Vielfalt solcher Organisationen, wie den Internationalen Versöhnungsbund, pax christi, das europäische ökumenische Netzwerk Church & Peace, das Deutsche Mennonitische Friedenskomitee, die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, das Antikriegsmuseum Sievershausen oder der Internationale Christliche Friedensdienst EIRENE aus Neuwied. „Sie alle haben christliche Wurzeln und haben zu bunten Blumen auf einer grossen Friedenswiese geführt“, so Max Weber. „Es sind Kraftquellen für den Frieden.“
Kritischer Blick von aussen
Einen kritischen Blick von aussen auf die heutige Friedensarbeit der Kirche gab es in Berlin von Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der LINKEN. „Es ist die Stärke der Kirche, die zivilgesellschaftlichen Sichtweisen stärker ins Bewusstsein zu bringen“, mahnte sie und verwies auf aktuelle politische Fragen wie die Transformation der Bundeswehr, die Rüstungsausgaben oder die Militarisierung der Europäischen Union. „Die Kirche tut gut daran, laut ihre Stimme zu erheben und Einspruchsmacht zu sein und Raum zu schaffen auch für kritische, kontroverse Diskussionen.“ Gerade was zivile Konfliktlösungen angehe, sei es wichtig, dass die Kirche sich hier zu Wort melde. „Derzeit hat Deutschland 1.000 Soldaten in Mali im Einsatz. Was, wenn das 1.000 Friedensfachkräfte wären?“, fragte die Bundestagsabgeordnete. „Das alles sind Fragen, in denen wir uns einbringen und immer wieder betonen, dass gerade der Vorrang von Zivil stärker ins Bewusstsein gebracht werden und auch finanziell besser ausgestattet werden muss.“