Giuseppe Gracia, Das therapeutische Kalifat: Meinungsdiktatur im Namen des Fortschritts; Basel: Fontis 2018, 64 Seiten, Klappenbroschur, 9,20 Franken, ISBN 9783038481591
Knapp aber vielschichtig und mit feiner Ironie informiert der Schriftsteller und Medienbeauftragte des Bistums Chur/Schweiz, Giuseppe Gracia, den Leser über ein komplexes Thema. Seine These lautet: Nicht ein Gottesreich oder die klassische Diktatur werden uns aufgeklärten Bewohnern des Abendlandes mehr aufgezwungen, sondern eine Meinungsdiktatur als sanfte Gesellschaftstherapie - medial verstärkt, versteht sich. Die selbsternannten Therapeuten gehören einer politisch-kulturellen Elite an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, scheinbar veraltete religiöse, nationale und geschlechtliche Identitäten aufzulösen. Mithilfe von „Narrativen“ und der „politischen Korrektheit“ sollen „Sexismus, Rassismus und Fundamentalismus“ beseitigt werden. Es gehe dabei nicht mehr um rationale Argumente, sondern um ein moralisches Credo. Auf lange Sicht sei durch das unreflektierte Nachbeten die Demokratie gefährdet.
Gracia zeigt schafssinnig auf, wie politisches Mandat mit moralischer Autorität verwechselt wird. Moderne Ideologien wie der „Multikulturalismus“, der „Diversity“-Gedanke und der aufgeklärte Atheismus werden zur Hypermoral erhoben und untergraben langfristig die persönliche Mündigkeit der Bürger. Durch moralischen Konformitätsdruck in Sachen Weltanschauungsfragen entstehe so eine „geistige Monokultur“ (S. 34), die freiheitliches Denken gravierend einschränke.
Im Klartext
Diese kleine Gesellschaftsskizze zielt auf eine Art zivilen Ungehorsams und den Mut zum Widerspruch. Giuseppe Gracia ruft dazu auf, den gesunden Menschenverstand einzusetzen und dem Zwang zu gewissen Werten und Moralvorstellungen zu widerstehen. Das Buch enthält einen kurzen Anhang mit praktischen Tipps, einem Glossar und verschiedenen Narrativen, die beispielhaft anhand von sechs Themen umrissen werden. Der Autor spricht dabei Klartext und hält sich ganz und gar nicht an das Diktat der politischen Korrektheit. Ein unbequemes Buch: praktisch, nachdenklich stimmend, sogar ein wenig verstörend. Gracia scheint dem sogenannten Fortschritt einen Schritt voraus zu sein.
Claudia Mohr