Prof. Dr. Johannes Reimer (li.), Dozent für Missiologie und Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, Generalsekretär der WEA. © Fotos: WEA & WEA/Schirrmacher

Elf Thesen von Schirrmacher und Reimer zur Evangelisation im 21. Jahrhundert

Bonn/Deutschland | 03.01.2024 | APD | International

Der Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), Bischof Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, und der Dozent für Missiologie und Leiter des WEA-Netzwerks für Frieden und Versöhnung, Prof. Dr. Johannes Reimer, unterbreiteten 11 Vorschläge im Sinne einer strategischen Definition der Evangelisation im 21. Jahrhundert. Dies seien nicht als offizielle Erklärung oder Grundsatzprogramm der WEA zu verstehen, schreibt «Bonner Querschnitte», sondern basierten auf der langjährigen Erfahrung der beiden Professoren.

«Erfolgreiche Kommunikatoren müssen die Sprache, die jeweilige Kultur und den Zeitgeist verstehen, um den Menschen das Evangelium in angemessener Weise zu vermitteln. Wer sich um die Zukunft des Evangeliums in der Welt sorgt, sollte sich mit den Themen befassen, die für die Welt von Bedeutung sind», schreiben die Professoren in der Einleitung zu den 11 Thesen.

Die Welt befinde sich in einem ständigen Wandel, was auch für die Sprache, Kulturen und Kommunikationsformen gelte. Christen müssten sich diesem Wandel stellen, um «das sich nie ändernde Evangelium erfolgreich zu vermitteln».

In diesem Sinn seien die folgenden 11 Themen laut den Professoren von entscheidender Bedeutung, um das Evangelium in den Kulturen rund um den Globus zu verkörpern.

1. Globalisierung und Migration und die damit verbundene Entstehung von Diasporagemeinschaften
Es gehe für die WEA darum, die traditionell entlang nationalen Grenzen gebildeten Allianzen für selbstverwaltete Netzwerke der Diaspora zu öffnen, die sich entlang sprachlicher oder ethnischer Grenzen entwickelten.

2. Urbanisierung und ihre Folgen
Immer mehr Menschen lebten weltweit in bitterster Armut in Slums. «Ihnen das Evangelium zu verkünden bedeutet, nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Das Evangelium muss in diesen Kontexten eine praktische Form annehmen.

3. Die Ausbreitung der Weltreligionen
Grosse Religionen seien allgegenwärtig. «Dies erfordert sowohl Kenntnisse über andere Religionen als auch theologische Argumente für das Evangelium. Die Verkündigung im interreligiösen Raum setzt voraus, dass das Evangelium vom westlichen kulturellen Ballast befreit wird und eine Form annimmt, die für die Menschen in diesem religiösen und kulturellen Raum verständlich ist.

4. Säkularismus und Agnostizismus
Ein religionsfeindlicher Säkularismus dränge auch evangelikale Kirchen an den Rand bis hin zur Kriminalisierung. Das Evangelium müsse bewusst von öffentlichen Bildern der historischen Kirche abgekoppelt werden und evangelikale Führungskräfte müssten geschult werden, mit solchen Situationen umzugehen.

5. Der Islam in allen Erscheinungsformen fordere das Christentum in ungeahnter Weise heraus
In Ländern die vom Islam geprägt sind, komme es schnell zu einer Verwechslung zwischen christlichen und westlichen Werten. Christen mit muslimischem Hintergrund sollten ermutigt werden, eigene Evangelisationsstrategien zu entwickeln, unabhängig von Lehrbuchideen oder Zustimmung von aussen.

6. Politische multipolare Konfrontationen auf globaler und nationaler Ebene
«Das Christentum neigt dazu, sich an westliche liberal-demokratische Ideen zu klammern und läuft Gefahr, mit diesen Systemen verwechselt zu werden», schreiben die Professoren. Das Evangelium dürfe jedoch keinem politischen System unterworfen werden, sondern müsse das Reich Gottes und seine Werte fördern. «Wir müssen daher die starke Abhängigkeit der Verkündigung des Evangeliums von politischen Ansichten, die ihren Ursprung im Westen haben, neu überdenken.»

«Die Fälle der USA und Brasiliens zeigen, dass wachsende politische Macht dazu führen kann, dass die Kirche in einer politischen Partei aufgeht oder zum Anhängsel einer bestimmten politischen Partei wird, was dann in der Öffentlichkeit das überschattet, wofür wir wirklich stehen.»

7. Die Bewahrung der Schöpfung als Teil des Menschseins und des Vertrauens in den Schöpfer
Wo die Zukunft der Schöpfung auf dem Spiel stehe und nach Lösungen gesucht werde, sollten Christen zeigen, dass sie gute Verwalter der Schöpfung seien, welche die Schöpfung vor Habgier und anderen bösen Motiven schützten.

8. ‚Erste Nationen‘ und mündliche Kulturen
Das Verhältnis zu den Anhängern indigener Religionen innerhalb der Ersten Nationen müsse neu überdacht werden, fordern Schirrmacher und Reimer. «Wir müssen stärker zwischen dem Missionsbefehl und den Bemühungen, andere Nationen nach dem Vorbild der industrialisierten Welt zu zivilisieren, unterscheiden.»

9. Künstliche Intelligenz (KI) und das Evangelium
Es gehe in diesem Bereich darum, bibeltreue Experten für KI mit der Kirche zusammenzubringen, um vorbereitet zu sein, wie man das Evangelium in einer digitalen Welt verkündigen kann.

10. Historische Kirchen und Reformation oder Erweckung
Die Verfasser sehen folgende Entwicklungen: «1) Viele historische Konfessionen spalten sich entweder sichtbar oder intern in konservative und liberale Lager in moralischen Fragen. (2) Historische Kirchen im globalen Süden distanzieren sich von ihren liberaleren Mutterkirchen im Westen. (3) Das Vordringen der charismatischen Bewegung hat dazu geführt, dass praktisch alle Kirchen über grosse charismatische Flügel verfügen, die oft eng mit charismatischen oder pfingstlerischen Kirchen in der evangelikalen Welt verbunden sind.»

11. Bibelkenntnis, Jünger, ungeschulte Pastoren
Das unglaubliche Wachstum der Christen rund um den Globus bedinge auch eine grosse Anzahl geistlicher Leiter, um die Gemeinden zu fördern. «Wir brauchen neue Initiativen, die globale und lokale Teilnehmer zusammenbringen, um die Bibelkompetenz zu fördern, neue oder neu erweckte Gläubige durch Jüngerschaft reifen zu lassen, eine Million ungeschulter Pastoren auszubilden und das breite Spektrum an nicht-traditionellen und traditionellen Ausbildungsmöglichkeiten zu erweitern.»

Weitere Themen, an denen die WEA arbeite, könnten in diesem Zusammenhang erwähnt werden, schreiben die Verfasser:
• gescheiterte Staaten und die Herausforderung der Kirche, die in diesen Staaten lebt
• Rassismus auf allen Ebenen
• Menschenhandel einschließlich Zwangsprostitution
• sexueller Missbrauch im Allgemeinen und sexueller Missbrauch von Minderjährigen, besonders im kirchlichen Kontext
• Unterdrückung von Frauen
• unheilige Aneignung und Anhäufung von Reichtum
• religiöser Nationalismus und seine Rolle in Wahlkämpfen
• Völkermorde, einschließlich der Überschneidung von Christenverfolgung und Völkermordzielen
• das ungeborene Leben und die Prolife-Bewegung
• die Rolle der Kirche in alternden Kulturen mit einer wachsenden Zahl älterer Menschen, wie z. B. in Europa, Japan oder China
• die Rolle der Kirche in Kulturen, in denen junge Menschen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, wie z. B. in Afrika
• die Schwierigkeit für unsere Kirchen, sich in vielen Ländern rechtlich registrieren zu lassen.

Der ausführliche Artikel in Bonner Querschnitte:
https://www.bucer.de/ressource/details/bonner-querschnitte-012024-ausgabe-778.html

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