APD-Brennpunkt
Weltweite Kampagne für die Menschenrechte von Frauen:
Kirchen zum Thema "Gewalt gegen Frauen"
von Christian B. Schäffler (Basel)*
Mit einer weltweiten Kampagne "Stoppt Gewalt gegen Frauen" setzt sich die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) in den kommenden zwei Jahren für die Ächtung der Gewalt gegen Frauen ein. Derartige Straftaten sollen konsequent verfolgt und Täter bestraft werden. Gewalt gegen Frauen sei eine der grössten Menschenrechtsskandale und die alltäglichste Menschenrechtsverletzung unserer Zeit, betonte die Generalsekretärin von ai, Irene Khan (London).
Die Schweizer Sektion von ai wies an einer Pressekonferenz in Bern darauf hin, dass in der Schweiz jährlich 40 Frauen an den Folgen häuslicher Gewalt sterben. Bei den 16- bis 44-jährigen Frauen sei weltweit "geschlechtsspezifische Gewalt" die häufigste Todesursache, noch vor Krebs und Verkehrsunfällen.
"Der anhaltenden Gewalt gegen Frauen können wir nur dann erfolgreich entgegenwirken, wenn sich alle – und hier sind besonders die Männer angesprochen – ihrer Verantwortung stellen", sagte die Generalsekretärin der deutschen ai-Sektion, Barbara Lochbihler zum Kampagnenauftakt.
Bereits 1997 rief das Europäische Parlament in einer Entschliessung zur Ächtung der Gewalt gegen Frauen auf. Darauf hin hatte die Europäische Kommission von 1999 bis 2000 in den EU-Mitgliedsländern eine Kampagne zur Sensibilisierung für die Gewalt gegen Frauen durchgeführt. Die europäischen Bürger sollten sich vor allem mit dem Thema der häuslichen Gewalt beschäftigen. Die EU-Kommission schrieb damals: "Die Kampagne soll die Botschaft vermitteln, dass Gewalt gegen Frauen ein soziales Phänomen ist, das nicht nur Opfer und Täter betrifft, sondern auch alle, die Zeugen von Missbrauch werden, einschliesslich der Polizei, der Justiz, der Lehrberufe, deren Aufgabe es ist, Gewaltlosigkeit zu fördern, die Sozialarbeiter und die medizinischen Kräfte, die sich mit den Folgen von Gewalttaten auseinandersetzen müssen.“ Dabei unterstrich die Kommission den politischen Willen der EU, „diesem traurigen Phänomen Einhalt zu gebieten und es aus der abgeschlossenen Welt der Familie herauszuholen."Auf kirchlicher Ebene in Europa verpflichtete sich die "Zweite Europäische Ökumenische Versammlung" im Juli 1997 in Graz (Österreich) "zur Zusammenarbeit beim Versuch, alle Formen von Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Kinder, zu ächten". Die 11. Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) erklärte 1997 in Graz, dass "Gewalt gegen Frauen als eine wesentliche Frage anerkannt werden sollte." Der Gemeinsame Ausschusses von KEK und der katholischen Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) wandte sich im Mai 1999 in einem Offenen Brief an ihre Mitgliedskirchen bzw. Bischofskonferenzen mit der Bitte sich "dieser ernsten Frage der Gewalt gegen Frauen in Europa" anzunehmen. Die beiden europäischen Kirchengremien fordern "alle Kirchen dringend dazu auf, offene Gespräche über diese Probleme in ihren Gemeinschaften zu führen und die dieser Gewalt zugrunde liegenden Haltungen und Strukturen anzuprangern... Diese Angelegenheiten sollten in allen Aspekten des Lebens der Kirche angesprochen werden, zu denen die Predigt, die Lehre und die Seelsorge gehören."
In dem gemeinsamen Schreiben von CCEE und KEK heisst es weiter: "Einige, die Misshandlungen überlebt haben, haben ihre Ortskirche als einen sicheren und unterstützenden Ort empfunden. Für viel zu viele Frauen ist die Kirche jedoch kein Ort der Zuflucht in ihrer verzweifelten Lage gewesen. Tatsächlich gibt es sogar Menschen, die Gewalt oder Misshandlung in einem kirchlichen Umfeld erlitten haben... In der Vergangenheit haben es die Kirchen weitgehend versäumt, auf die Realität der Gewalt und der Misshandlung von Frauen in ihren eigenen Kreisen zu reagieren. Dieses Versagen ist in fachlicher und geistlicher Ausbildung, in der Klerus und Laien auf die Erfüllung ihrer Berufung vorbereitet werden, offensichtlich.
Das Schweigen und die fehlende Bereitschaft der Kirchen zum Handeln hinterlässt bei den Opfern das Gefühl, hilflos und allein gelassen zu sein und sogar von ihrer christlichen Gemeinschaft abgelehnt zu werden. Darüber hinaus haben zu viele Frauen, die es gewagt haben, die Kirche um Hilfe zu bitten, entdecken müssen, dass dem Schutz des einzelnen Täters und dem Ruf der Institutionen Vorrang gegeben werden, anstatt die Opfer in ihrem Schmerz zu begleiten und in Solidarität die Folgen für ihr Leben mit ihnen zu teilen."
Fast parallel dazu hatte der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) eine Dekade zur Überwindung von Gewalt ausgerufen. Kirchen, Gemeinden und alle Christinnen und Christen sollen sich in den Jahren 2001 bis 2010 in ihrem Umfeld mit dem Problem der Gewalt auseinandersetzen und gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung arbeiten. Sie wurden eingeladen, sich mit dem breiten Spektrum von direkter und struktureller Gewalt zu Hause, in Gemeinschaften und auf internationaler Ebene und mit deren Wurzeln auseinanderzusetzen und zu versuchen, diese Gewalt mit geschärftem Blick wahrzunehmen.
Die zweite deutsche Ökumenische Versammlung von 1996 in Erfurt zum Thema "Versöhnung suchen – Leben gewinnen" hielt in Sachen Gewalt an Frauen fest: "Alles was Frauen klein macht, sie demütigt, Macht über sie ausübt, ist bereits der Beginn von Gewalt. Durch die Taufe sind wir eingegliedert in den Leib Christi. Gewalt gegen Frauen ist deshalb eine Verletzung des Leibes Christi und muss Thema in den Kirchen werden."
Die UNO-Beauftragte der weltweiten Evangelisch-methodistischen Kirche, Renate Bloem (Genf) äusserte sich in einem Beitrag zu "Gewalt gegen Frauen und Mädchen" wie folgt: "Obwohl es zu den grundlegenden Aussagen christlicher Theologie gehört, dass die Kirchen Gewalt in jeder Form ablehnen, werden Frauen und Mädchen häufig noch so erzogen, dass sie bereit sind, grosse Ungerechtigkeiten und selbst Gewalt schweigend hinzunehmen... Die Geschichte der Gewalt gegen Frauen und Mädchen beginnt erst ganz langsam gehört zu werden... Lange Zeit wurde Gewalt gegen Frauen verschwiegen oder verharmlost. Gerade im kirchlichen Bereich schien es undenkbar, dass Frauen und Mädchen in Gemeinden und in christlichen Familien Gewalt erfahren."
Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) arbeiteten bereits in den Jahren 1997 bis 1999 zwei Kommissionen an kirchenspezifischen Fragen der Gewalt gegen Frauen. Das Arbeitsergebnis wurde in zwei Teilen unter dem Titel "Gewalt gegen Frauen als Thema der Kirche" 1999 veröffentlicht.
Im ersten Teil des Berichtes werden unter sozialwissenschaftlicher Fragestellung Hinweise gegeben zum Problemfeld, zu kirchlich-diakonischen Hilfen und zur Weiterarbeit unter theologischen Aspekten. Der zweite Teil ist den Wirkungen theologischer und kirchlicher Traditionen gewidmet: er geht der Frage nach, in welcher Weise sie Gewalt gegen Frauen einerseits begünstigen oder legitimieren, andererseits aber auch zur Überwindung dieser Gewalt beitragen können.
Die EKD-Kommissionen kommen in ihrem Bericht zum Schluss: "Es ist an der Zeit, dass die Kirchen in ihrer Verkündigung und in ihren öffentlichen Verlautbarungen deutlich machen, dass sexuelle Gewalt das Bild Gottes in dem jeweiligen Gegenüber, sei es ein Mann oder eine Frau, ein Junge oder ein Mädchen, missachtet. Gewalt verletzt nicht nur die körperliche und seelische Integrität der Betroffenen, sondern beschädigt auch die Menschlichkeit derer, die Gewalt ausüben. Jeder Akt der Gewalt gegen Frauen im Raum der Kirche verletzt den Leib Christi und verhindert an einem grundlegenden Punkt die Gemeinschaft von Frauen und Männern."
Auch die protestantische Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten hatte im Oktober 1996 während des in San José (Costa Rica) tagenden Vollausschusses ihrer Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) eine Stellungnahme zur Gewalt in der Familie beschlossen. Darin heisst es, dass bei Christen "kein Raum für tyrannische Kontrolle und Missbrauch von Macht und Autorität" sei. Es gelte Männer und Frauen als gleichberechtigt anzunehmen und anzuerkennen, dass "jeder Mensch ein Anrecht auf Achtung und Würde besitzt". Wer sich in seinen Beziehungen zu anderen Menschen nicht so verhalte, verletze deren Persönlichkeit und werte die von Gott geschaffenen und erlösten Menschen ab. Gewalt in der Familie könne in christlichen Häusern niemals geduldet werden. Deshalb müsse sich die Freikirche um jene kümmern, die unter dieser Gewalt litten. Die Täter müssten "unnachgiebig für ihre Taten zur Rechenschaft" gezogen werden. Auch sollten anerkannte religiöse und kulturelle Ansichten berichtigt werden, die dazu dienten, Gewalt in der Familie zu rechtfertigen oder zu vertuschen.
Amnesty international will mit der Kampagne gegen Gewalt an Frauen die Aufmerksamkeit der Regierungen aller Länder aus das Problem lenken und sie ermahnen, ihre völkerrechtlichen Pflichten einzuhalten.
Die christlichen Kirchen tragen ihrerseits eine besondere Verantwortung in der Auseinandersetzung mit einer Kultur, die häufig davon ausgeht, dass Gewalt gegen Frauen eine unvermeidliche Tatsache des Lebens ist.
Während die Themen Krieg und Frieden, Rassismus oder politischer und wirtschaftlicher Machtmissbrauch seit Jahren in Predigten eine wichtige Rolle spielen, werden die Themen Sexismus und Gewalt gegen Frauen erst seit einiger Zeit als Aufgabe kirchlicher Verkündigung gesehen. Predigten, Bibelarbeiten und Andachtsliteratur könnten aber die verborgenen Hintergründe von Geschlechtergewalt im persönlichen und im überindividuellen Bereich aufdecken, Unrechts- und Verantwortungsbewusstsein schärfen und zur Norm- und Gewissensbildung beitragen. Biblische Texte, in denen von Gewalt gegen Frauen erzählt wird, könnten dabei als Sprachhilfe für Erfahrungen von Gewalt und als Identifikationsangebot für Frauen wie für Männer hilfreich sein.
* Der Autor ist Leiter der Schweizer Redaktion des Adventistischen Pressedienstes APD in Basel.