Der ältere Herr mit dem rundlichen Gesicht und der grossen Brille wirkte fast 50 Jahre im Stillen. 1956 begab sich Eduardo Martínez Somalo hinter die hohen Mauern des Vatikan und verliess sie seither selten. Doch seit langem wusste der 78-jährige Spanier, dass sich eines Tages die Blicke der gesamten Welt auf ihn richten werden. Denn seit 1993 ist er der päpstliche Camerlengo, der Kämmerer des Vatikan. Das ranghohe Amt überträgt ihm auch eine hohe Verantwortung. Seit dem Tod des Papstes am Abend des 2. April im 84. Lebensjahr steht er für zwei Wochen im Zentrum der römisch-katholischen Kirche. Er ist nicht weniger als Chef-Organisator der Trauerfeiern, Leiter von Kardinalsversammlungen und Verwalter des vatikanischen Machtzentrums.
Nach dem Tod betrat Somalo das Zimmer des Verstorbenen. Der Kämmerer Somalo war in diesem Augenblick einer der ganz wenigen Verantwortlichen im Vatikan, die noch ein Amt bekleiden. Für die Chefs fast aller Dikasterien der Kurie - die etwa den Ministerien einer Regierung entsprechen – erlöschten die Ämter mit dem Ableben des Kirchenoberhaupts.
Im Sterbezimmer stellte der Kämmerer den Tod des Papstes fest und versiegelte anschliessend dessen Privatgemächer und Arbeitszimmer. Die Räume werden erst wieder geöffnet, wenn der neue Papst sie betritt. Ausserdem ergriff der Kämmerer Besitz vom Apostolischen Palast des Vatikan, von der Lateranbasilika in Rom und von der päpstlichen Residenz Castelgandolfo auf den Hügeln vor Rom. Er hat dem Papst ausserdem den Fischerring vom Finger gezogen, das Symbol dessen Macht. Der Ring wird später vor den Augen der Kardinäle zerstört.
Für die Aufgaben hat sich Somalo gut vorbereitet. Der 1927 in der spanischen Weinregion Rioja geborene Prälat war nach dem Studium in Rom ab 1950 kurz als Priester in seiner Heimat tätig. Schon bald kehrte er nach Rom zurück und machte dort 1956 seinen Doktor in kanonischem Recht. Im selben Jahr trat der damals 29-Jährige in den Dienst der Kurie ein. Dort diente er den Päpsten Pius XII., Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul I. Nur in den 70er Jahren verliess er Rom, als er kurz nach Grossbritannien und später für längere Zeit nach Kolumbien und auf die Kanarischen Inseln entsandt wurde.
Johannes Paul II. holte Somalo 1979 nur wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst zurück in den Vatikan. Der neue Pontifex maximus, dessen enger Mitarbeiter Somalo in den folgenden Jahren wurde, betraute ihn zunächst mit einem hohen Amt im Staatssekretariat. 1988 wurde er zum Kardinal ernannt und war fortan in den höchsten Ämtern des Vatikans tätig. Am 5. April 1993 wurde er von Johannes Paul II. zum Kämmerer bestellt.
Zwölf Jahre also hatte er bisher Zeit, sich auf die grösste Herausforderung des Amtes vorzubereiten. Denn nicht nur symbolisch geht Macht auf den Kämmerer über, wenn er dem Papst den Ring abstreift. Bis zum Beginn der Papstwahl leitet der Camerlengo rund zwei Wochen lang ein Vierer-Gremium aus Kardinälen, das die täglichen Amtsgeschäfte abwickelt. Zudem leitet er die Generalkongregationen, die Zusammenkünfte der Kardinäle, bis zum Konklave der Papstwahl. Erst wenn die Welt einen neuen Papst hat, ist der Ausnahmezustand für Somalo vorbei. Und er kann weiter im Stillen der Vatikan-Flure wirken.
© Copyright Agence France-Presse GmbH (AFP); aktualisiert am Abend des 2. April 2005, dem Todestag von Papst Johannes Paul II., durch den Adventistischen Pressedienst (APD)