Ökumenische Wünsche: Katholische Weite statt römischer Enge!

Bonn/Deutschland | 28.04.2005 | Rheinischer Merkur | Ökumene

Wie legt der Pontifex das Zweite Vatikanum aus?
Darin liegt der Schlüssel für die Zusammenarbeit.

Von Reinhard Frieling*

Die ersten Äusserungen von Papst Benedikt XVI. lassen aufhorchen. Er will ökumenisch „nicht nur guten Willen zeigen“, sondern „konkrete Gesten (solida opera), die in die Seelen eindringen und die Gewissen anrühren“. Er ruft zur „Reinigung des Gewissens“ auf, um „die volle Wahrheit Christi aufzunehmen“. Ich setze voraus, dass das nicht nur ein Ökumenismus der beschwörenden Worte oder ein Ruf zum Anschluss an die volle Wahrheit in der römisch-katholischen Kirche ist, sondern dass innerkatholisch und ökumenisch neue Kriterien gewonnen werden sollen für das, was unaufgebbar katholisch, evangelisch und orthodox ist und was dabei Ausdruck legitimer Vielfalt sein kann.
Der junge Konzilsberater Joseph Ratzinger förderte die „Einheit der Christen“, indem er im Vergleich zur Tradition „progressiv“ das Gemeinsame im Glauben betonte, sodass aus den früheren evangelischen Ketzern „getrennte Brüder und Schwestern“ wurden. Der Kardinal Joseph Ratzinger hielt diesen Ansatz durch und griff noch im Jahre 2000 den Begriff „versöhnte Verschiedenheit“ in dem Sinne positiv auf, dass sich Protestanten und Katholiken trotz der konfessionellen Gegensätze „im Frieden Christi als miteinander Versöhnte begegnen“.

Auf Rechte verzichten

Das bedeutete für Ratzinger, sich mit der Charta Oecumenica zu verpflichten, alles gemeinsam zu tun, was nicht aus Lehr-, Gewissens- oder Zweckmässigkeitsgründen getrennt getan werden muss. So ist zu hoffen, dass Papst Benedikt XVI. gegen die immer noch verbreitete konfessionelle Selbstgenügsamkeit wirkt und ökumenische Zusammenarbeit fördert.

Eine offizielle Abendmahlsgemeinschaft ist dann zwar noch nicht möglich. Aber im Einzelfall entschied sich Kardinal Ratzinger für Ausnahmen, zum Beispiel, als er beim Requiem für den verstorbenen Papst dem reformierten Pastor und Gründer von Taizé, Roger Schutz, bei der Eucharistie die Hostie gab. Unerträglich war es Ratzinger und wird es Benedikt XVI. sein, „ökumenischen Wildwuchs“ zu betreiben und eucharistische Gemeinschaft im Namen des Heiligen Geistes gegen die Verbote der Hierarchie zu praktizieren.

„Konservativ“ blieb Ratzinger bei der Frage einer offiziellen gegenseitigen Anerkennung als „Kirchen im eigentlichen Sinne“. Doch auch hier fiel er nicht direkt hinter das Zweite Vatikanische Konzil zurück. Die Publikation „Dominus Iesus“ (2000) enthielt nicht etwa eine private Abgrenzungstheologie Ratzingers, sondern die Position des Zweiten Vatikanischen Konzils, die hier freilich nach Auffassung vieler katholischer Ökumeniker „die volle Wahrheit Christi“ einseitig in römischer Enge statt in katholischer Weite auslegte. Denn im Konzilswortlaut steht nur, dass die eine Kirche Christi in der katholischen Kirche „verwirklicht“ sei (subsistit), nicht jedoch (wie in Dominus Iesus), „dass nur eine einzige ,Subsistenz‘ der wahren Kirche besteht“, nämlich die römisch-katholische Kirche. Natürlich sagen auch alle evangelischen Kirchen, dass bei ihnen die Kirche Christi verwirklicht sei.

Ratzinger gehörte zu den Theologen, die bezüglich der Konzilstexte restriktiv sagten: „Bis hierher und nicht weiter.“ Andere katholische Theologen wie Karl Rahner sahen im Konzil hingegen „den Anfang eines Anfangs einer Reform der katholischen Kirche“. Sie argumentierten in den offiziellen Dialogkommissionen mit dem „Geist des Konzils“ und erreichten gemeinsam mit den anderen Kirchen viele Konsens- und Konvergenztexte, denen jedoch (mit Ausnahme der katholisch-lutherischen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999) die kirchenamtliche Rezeption bisher verweigert wurde. Ratzinger hat eine „substanzielle Einigung“ verneint, solange nicht das römisch-katholische Verständnis des Papst-, Bischofs- und Weiheamtes, der Frauenordination und der Sakramente ökumenisch anerkannt wurde.

Keine nicht römisch-katholische Kirche teilt den Anspruch des vatikanischen Lehramts, „auf einzigartige Weise im Singular ,die Kirche‘ zu sein“ (Ratzinger). Das unterschiedliche Verständnis von Einheit der Kirche steht der Einheit der Kirche am schwersten im Wege.

Wenn das nicht das letzte Wort zum Ziel der Einheit sein soll, ist zu hoffen, dass Papst Benedikt XVI. andere seiner vorsichtigen, weiterführenden und vertiefenden Überlegungen erneut ins Gespräch bringt. 1979 konnte Kardinal Ratzinger sich Folgendes vorstellen: „eine vielgestaltige Ausprägung des geistlichen Erbes, die auch ein entsprechend selbstständiges kirchliches Leben nach sich zieht und doch auch Kircheneinheit in der Vielfalt mit zur Folge haben könnte“.

Bedeutet eine solche Kircheneinheit nur eine rechtlich geregelte „Gemeinschaft mit und unter dem Papst“? Oder kann der Papst um der Einheit der Kirche willen auf historisch gewachsene Rechte verzichten und eine ökumenische Entwicklung einleiten, bei der er von den nicht römisch-katholischen Christen keine Anerkennung des Unfehlbarkeits- und Jurisdiktionsprimats fordert? Das wäre eine „Gemeinschaft mit, aber nicht unter dem Papst“.

Wobei der Papst als Oberhaupt der grössten Kirche beim gemeinsamen Zeugnis und Dienst in der Welt in Absprache mit den anderen Kirchen als Sprecher fungieren könnte. Die evangelischen Kirchen müssen dabei als Teil der „Fülle Christi“ deutlicher die biblische, altkirchliche und ökumenische Verwurzelung ihres Amts- und Ordinationsverständnisses darlegen.

Legitime Vielfalt

Das traditionelle katholisch-theologische Denkschema von behaupteter eigener Wahrheitsfülle und von Defiziten bei den anderen ist nicht die einzige legitime Denkweise. Sie blockiert den ökumenischen Dialog, weil dem „Zuwenig“ automatisch ein „Zuviel“ entgegengestellt wird und die Kirchen sich mehr selbst rechtfertigen als aufeinander zugehen.

Die katholisch-konziliare Weise, von einer „Hierarchie der Wahrheiten“ auszugehen, und die evangelische Konzentration auf „die Mitte der Heiligen Schrift“ müssten miteinander ins Gespräch gebracht werden. Auch die Methode der Gemeinsamen Rechtfertigungserklärung führt weiter: Ein formulierter differenzierter Konsens wirft neues Licht auf die alten Unterschiede und verhilft zu Kriterien für die Frage, was etwa bei der Ämterstruktur legitime theologische und kirchliche Vielfalt ist und wie Christen und Kirchen trotz bleibender Gegensätze unter dem Evangelium zusammenbleiben.

Kardinal Ratzinger hat die Gemeinsame Erklärung mitgestaltet. Bisher blieb das freilich in beiden Kirchen noch ohne Konsequenzen für die Lösung des problematischen Kirchen-, Sakraments- und Amtsverständnisses. Ob unter Papst Benedikt XVI. da noch ein ökumenisches Wunder bevorsteht?

*Der Autor Reinhard Frieling ist Professor in Marburg und einer der profiliertesten Konfessionskundler der evangelischen Kirchen.

© Copyright 2005 Rheinischer Merkur Nr. 17, 28.04.2005
Bitte Copyright beachten. Text darf nur zur persönlichen Information verwendet werden

(7086 Zeichen)
© Nachrichtenagentur APD Basel (Schweiz) und Ostfildern (Deutschland). Kostenlose Textnutzung nur unter der Bedingung der eindeutigen Quellenangabe "APD". Das © Copyright an den Agenturtexten verbleibt auch nach ihrer Veröffentlichung bei der Nachrichtenagentur APD. APD® ist die rechtlich geschützte Abkürzung des Adventistischen Pressedienstes.