Drei Gründe, warum der neue Papst die Evangelischen in Deutschland besonders herausfordert
von Helmut Matthies, Leiter der Nachrichtenagentur idea,
Der Journalist Helmut Matthies hat in einem Leitartikel in idea anlässlich der Wahl von Kardinal Ratzinger zum Papst Benedikt XVI die Frage gestellt, was aus dem Protestantismus wird. Wir veröffentlichen den Kommentar von Helmut Matthies, der auch zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz gehört im folgenden:
1. Als Deutscher wird der Papst in Deutschland ganz anders gehört werden als sein Vorgänger aus Polen. Selbst in ansonsten gottlosen Medien herrscht geradezu eine Papsteuphorie. „Bild“ titelte nach der Wahl Ratzingers – alle und alles vereinnahmend: „Wir sind Papst!“ Eines der atheistischen Magazine dieses Landes, der „Stern“, brachte gar eine Sonderausgabe heraus – was bisher niemandem widerfuhr. Die linke „tageszeitung“ (taz) hat recht: Benedikt XVI. hat schon jetzt in Deutschland politisch mehr Einfluss als jeder andere Papst vor ihm. Auf ethischem Gebiet könnte das nur vorteilhaft sein: Kommt jetzt endlich die notwendige Debatte über das grösste Unrecht der Gegenwart, die massenhafte Abtreibung?
Was ist jetzt evangelisch?
2. Der neue Papst wird auch religiös wesentlich einflussreicher werden als sein Vorgänger, steht er doch der deutschen Mentalität näher. So fehlt ihm die viele Protestanten abstossende überbordende Marienfrömmigkeit von Johannes Paul II. In seiner Rede bei seiner Amtseinführung kam Maria nicht ein einziges Mal vor. Die Ansprache war geradezu ein Ruf zum Glauben an Christus. Was den neuen Papst besonders bei Evangelikalen (aber in diesem Fall auch bei konservativen Katholiken) noch überzeugender macht, ist, dass er jede Vermischung des christlichen Glaubens mit anderen Religionen abwehrt. Kurzum: Er wirkt insgesamt weniger römisch-katholisch, was Deutschlands Unterhalter Nr. 1, den Katholiken Thomas Gottschalk, bereits zu der Bemerkung im Ersten Fernsehprogramm verleitete: „Dass wir nach 482 Jahren wieder einen Papst aus Deutschland haben, bedeutet: ‚Der Herr hat uns Martin Luther verziehen!’“ Das ist natürlich Unsinn, gibt aber eine Stimmung wieder. Peter Hahne – Deutschlands Bestsellerautor Nr. 1, vom ZDF und Mitglied der Leitung der EKD – drückt es so aus: „Der neue Papst wirkt wie der Billy Graham für Intellektuelle: glasklare Theologie in bildhafter Sprache und plastische biblische Geschichten verbunden mit einer einladenden Botschaft von elementarer Einfachheit und geistig-geistlicher Tiefe.“ Einer der bekanntesten Theologen der Nachkriegszeit – Helmut Thielicke – sagte 1972 nach dem Erscheinen von Ratzingers erstem bekannteren Buch – „Einführung in das Christentum“ – zu seinen Studenten: „Lest es! Es ist bis auf 3, 4 Seiten über Maria evangelisch.“ Protestanten, was nun? Wisst Ihr noch, was heute „evangelisch“ (= evangeliumsgemäss) bedeutet? Und wenn ja: Bekennt Ihr es auch?
Zurück zu den Quellen!
3. Die grosse Euphorie über den neuen Papst hat jedoch als tiefste Ursache die wachsende „Sehnsucht nach Massstäben und Werten“ (so Angela Merkel). Immer mehr Menschen wünschen sich einen Orientierungsgeber, ein Vorbild, das sagt, wo es langgeht. Eine Moderatorin der „Tagesthemen“ liess dies (vermutlich unfreiwillig) anklingen, als sie am Tag der Wahl ohne Einschränkung erklärte, „der Stellvertreter Gottes“ sei gewählt – also nicht einer, den nur die Katholiken als solchen verehren, sondern quasi Gottes Vize für alle Menschen. Und hier dürfte die grösste Herausforderung liegen: Wofür steht der Protestantismus angesichts solcher Verehrung? Was antwortet er auf die Suche nach Sinn? Bisher wirkt er wie ein Gemischtwarenladen. Man bekommt zu so gut wie jedem Thema ein Sowohl – als auch. Und das überzeugt weniger denn je. Kehrt der Protestantismus nicht zu seinen Quellen – Bibel und Bekenntnis – zurück, wird er untergehen.
Der Beitrag erschien als aktuelle Meldumng auf der Website Evangelische Allianz Online
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