Die US-amerikanischen Bischöfe haben ihre Kritik an der Irak-Politik von Präsident George W. Bush bekräftigt und konkrete Pläne für einen baldigen Rückzug der US-Truppen aus dem nahöstlichen Land gefordert.
In einem an den Präsidenten und an den Kongress übermittelten Dokument fordert die römisch-katholische Bischofskonferenz der USA eine realitätsnahe öffentliche Debatte über die Lage im Irak und die Möglichkeiten eines raschen, aber verantwortbaren Übergangs zur vollen Selbstverwaltung des Irak. Die Stellungnahme vom 12. Januar ist unterzeichnet von Bischof Thomas Wenski von Orlando, dem Vorsitzenden des Komitees der US-Bischofskonferenz für Internationale Politik;. Laut Medienberichten wurde das Dokument in mehrmonatigen internen Beratungen vorbereitet. Eine Reaktion von Präsident Bush liegt bisher nicht vor.
Die USA könnten sich "keine oberflächliche und einseitige Debatte mehr leisten", bei der "die Realität verzerrt" werde und die sich auf die Alternativen "Davonrennen" versus "Durchhalten" beschränke. "Was wir brauchen, ist eine ehrliche Auseinandersetzung, die mit einer aufrichtigen Einschätzung der Lage im Irak beginnt und in der die Fehler, die gemacht wurden, genauso berücksichtigt werden wie die Zeichen der Hoffnung", heißt es wörtlich in der Erklärung der Bischofskonferenz. "Die militärischen Streitkräfte unseres Landes sollten nur so lange im Irak bleiben, bis ein verantwortbarer Übergang erfolgen kann", so Wenski; der Abzug sollte "lieber früher als später" erfolgen.
Das Dokument erinnert daran, dass die US-Bischofskonferenz "schon mehrmals ihre ernsthaften moralischen Bedenken hinsichtlich der militärischen Intervention im Irak und der unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Folgen zum Ausdruck gebracht hat". Auch der verstorbene Papst Johannes Paul II. habe ähnliche Bedenken vorgebracht. Die Ereignisse der vergangenen drei Jahre hätten diese Bedenken verstärkt. Man trauere um mehr als 2.100 US-Soldaten und zehntausende getötete Iraker. Man teile den Schmerz ungezählter verwundeter oder auf andere Weise vom Krieg in Mitleidenschaft gezogener Menschen. Es habe Erfolge gegeben, so die Bischöfe: "ein Diktator wurde gestürzt und Wahlen wurden abgehalten"; aber "die menschlichen und sozialen Kosten dieser Erfolge müssen gesehen werden".
Dennoch dürfe man nicht nur in die Vergangenheit schauen. Die USA seien im Irak an einem Scheideweg angelangt, bekräftigen die Bischöfe. "Wir könnten versucht sein, uns verfrüht aus dem Irak zurückzuziehen, ohne dabei die moralischen und menschlichen Konsequenzen zu bedenken", so die Erklärung. Andererseits müsse man entschieden jeden falschen Optimismus zurückweisen - einen Optimismus, "der die Irrtümer der Vergangenheit nicht klar erkennen will: Nachrichtendienste, die komplett versagt haben, oder auch unangemessene Hilfsprogramme für den Irak. Wir müssen einen Optimismus zurückweisen, der die Herausforderungen und die menschlichen Opfer schönredet, die uns erwarten".
Einen verantwortlichen Wechsel im Irak herbeizuführen bedeute, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen: "ein Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren; dem Gesetz wieder Geltung zu verschaffen; den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu fördern und angemessene Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen". Auch müsse man die Entwicklung jener politischen Strukturen begünstigen, durch die Stabilität, politische Mitbestimmung sowie die Achtung der Grundrechte garantiert werden. Die USA selbst müssten dafür sorgen, dass es etwa bei Verhaftungen nicht mehr zur Verletzung der Menschenrechte komme.
In Bezug auf die nicht abreißenden Terroranschläge erklärte Bischof Wenski: "Unsere Bischofskonferenz verurteilt ausdrücklich alle Terroranschläge - vor allem jene, die Zivilisten treffen. Sollten aber militärische Einsätze erforderlich sein, dürfen wir dabei nie vergessen, dass auch der Kampf gegen den Terrorismus die Achtung vor den Menschenrechten verlangt". Besonders über die Folter durch US-Soldaten zeigen sich die Bischöfe "zutiefst beunruhigt". Angesichts der Berichte über schockierende Menschenrechtsverletzungen an Personen, "die sich im Gewahrsam der US-Streitkräfte und der neu gegründeten irakischen Armee befinden, drängt unsere Bischofskonferenz neuerlich darauf, sofortige Schritte einzuleiten". Misshandlung und Folter von Gefangenen untergrabe entscheidend die moralische Autorität der USA sowohl im Kampf gegen den Terror als auch im Bemühen um eine geordnete Machtübergabe im Irak.
Bischof Wenski betonte im Namen des gesamten US-Episkopats, dass die Religionsfreiheit "für den dauerhaften Frieden im Irak ein notwendiges und grundlegendes Freiheitsrecht" sei. Die volle Religionsfreiheit werde "zum Wohl aller Menschen im Irak zu mehr Stabilität beitragen" und helfen, Konflikten vorzubeugen. "Ein wirklich demokratischer Irak sollte sich mit seinen religiösen Minderheiten und insbesondere mit den Christen aussöhnen", forderte Bischof Wenski.
Der Krieg und die andauernde instabile Lage seien für einen riesigen Flüchtlingsstrom im Irak verantwortlich; besonders die Christen und andere religiöse Minderheiten seien von "Anfeindung und Diskriminierung" betroffen, stellt die US-Bischofskonferenz fest. Der Bischof von Orlando wiederholt die Bitte des chaldäisch-katholischen Patriarchen von Bagdad, Emanuel III. Delly, an die westlichen Regierungen, sich der irakischen Flüchtlinge anzunehmen. Die USA und die internationale Gemeinschaft müssten irakische Flüchtlinge und alle, die um Asyl ansuchen, stärker unterstützen. "Wir glauben, dass die amerikanische Flüchtlings- und Asylpolitik zu restriktiv ist", hebt das Dokument hervor.
Abschließend wird in der von der US-Bischofskonferenz veröffentlichten Erklärung darauf hingewiesen, dass die Situation im Irak nicht von anderen großen Problemen ablenken dürfe. "Der aufwendige Konflikt im Irak erfordert einen größeren Einsatz an menschlichen und finanziellen Ressourcen, aber der Irak darf nicht zur Ausrede werden, um andere dringliche Nöte im In- und Ausland zu ignorieren, vor allem, wenn es um die moralische Verantwortung gegenüber den Armen in unserem Land und in den Entwicklungsländern geht. Unsere Bischofskonferenz betont, dass es notwendig ist, die armen Menschen im In- und Ausland zu schützen. Das ist eine nationale Priorität".
Der vollständige Wortlaut der Stellungnahme in englischer Sprache ist hier abrufbar: