Am 12. Dezember 2007 hat das Europäische Parlament in Strassburg das Inkrafttreten der Charta der Grundrechte gewürdigt. Im Nachgang zu dem feierlichen Akt für die Charta, die insgesamt 50 Grundrechte enthält, hebt der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des Europaparlaments, Jo Leinen, das Grundrecht der Militärdienstverweigerung hervor. Dadurch werde der völkerrechtliche und friedensethische Aspekt der Charta der Grundrechte in der Europäischen Union (GRC) deutlich.
Artikel 10 der Charta gewährleistet die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, dessen Absatz 2 die Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen enthält. Vor dem Hintergrund der Gewalt durch Kriege und Menschenrechtsverletzungen, die Europa im 20. Jahrhundert noch weithin geprägt hätten, komme es im Europa des 21. Jahrhunderts zunehmend darauf an, zivile Konfliktbearbeitung zu stärken, betonte Leinen. Die Europäische Union habe in vielen Dokumenten und Verträgen kriegerischer Gewalt eine Absage erteilt, und Bedingungen geschaffen, in denen Menschen- und Grundrechte durchgesetzt und geschützt werden.
Der Grundrechtsschutz, den die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bereits bisher geboten habe, werde mit der Charta der Grundrechte für die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nun aktualisiert und erweitert: Die Unterzeichnung des EU-Reformvertrages in Lissabon sei ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg, fortschrittliche Standards für Menschen- und Grundrechte in allen Staaten Europas zu erreichen.
Seit 1967 habe sich die Parlamentarische Versammlung des Europarats, seit 1983 auch das Europäische Parlament immer wieder mit dem Menschenrecht der Gewissensfreiheit zur Militärdienstverweigerung beschäftigt, sagte Leinen. Mit Artikel 10 Absatz 2 sei das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen als Bestandteil der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit erstmals in einem Europäischen Vertrag festgeschrieben worden. "Die Charta der Grundrechte in der EU ist die erste völkerrechtlich verbindliche Kodifizierung auf dem Gebiet der Menschenrechte, die das Recht zur Kriegsdienstverweigerung als Bestandteil der Gewissensfreiheit ausdrücklich anerkennt", hob Leinen hervor.
Vor dem Hintergrund, dass zurzeit immer noch zehn Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an einer Pflicht zum Militärdienst festhielten, sei das nicht selbstverständlich. Ebenfalls bemerkenswert sei, dass noch nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten freiheitliche gesetzliche Regelungen für Militärdienstverweigerer bestünden. Griechenland wäre solch ein viel gerügtes Beispiel. Aber auch in den übrigen Staaten mit Freiwilligenarmeen erwachse aus der Grundrechtecharta die Pflicht, ihren Soldatinnen und Soldaten das Recht zur Verweigerung des Militärdienstes einzuräumen. "Weil jede Soldatin und jeder Soldat dem eigenen Gewissen verantwortlich ist und bleibt, muss die Gewissensfreiheit auch in bestimmten Konfliktsituationen und Einsätzen gewährleistet sein. Diese Möglichkeit ist ebenfalls gesetzlich anzuerkennen und freiheitlich zu regeln", fordert Leinen.