Auf die Rolle des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in einem sich schnell verändernden kirchlichen Kontext machte der ÖRK-Generalsekretär, Pfarrer Samuel Kobia, in seinem Bericht an den Zentralausschuss aufmerksam. Gleichzeitig mahnte er eine Ausweitung der ökumenischen Zusammenarbeit an.
Neue Brücken zu Evangelikalen und Pfingstkirchen
Kobia wies darauf hin, dass es heute "neue Wege zu einer engeren Zusammenarbeit" zwischen den Mitgliedskirchen und Kirchen ausserhalb des ÖRK gebe. So seien etwa mit Blick auf das Eintreten der Kirchen für Gerechtigkeit "neue Brücken über alte Gräben" zwischen den Pfingstkirchen auf der einen Seite und der traditionellen ökumenischen Bewegung auf der anderen Seite entstanden.
"Tempo und Ausmass des Wachstums evangelikaler, pfingstlich orientierter und charismatischer Gemeinschaften wie auch von Gemeinden und Megakirchen, die an keine konfessionellen Strukturen gebunden sind", bezeichnete Kobia als eine der grossen Herausforderungen der ökumenischen Bewegung. Dieses Wachstum gehe allerdings oft auf Kosten der traditionellen Kirchen einschliesslich der ÖRK-Mitgliedskirchen.
Neben der Hauptaufgabe des Rates, "die Gemeinschaft unter den Mitgliedskirchen zu vertiefen", trage der ÖRK auch die Verantwortung "für die Ausweitung der Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung und für die Gewährleistung ihres Zusammenhalts". Allerdings dürften Anstrengungen in diese Richtung "nicht die Erfolge der Vergangenheit gefährden", so Kobia. Der Ökumenische Rat müsse den Auftrag Gottes, "wahrhaft alle Kirchen zusammenzuführen", ernst nehmen: "Wir können diese Gemeinschaft nie auf uns selbst begrenzen."
Neue Wege, neue Risiken
Der zukünftige Weg könne jedoch schwerwiegende Risiken für den Ökumenischen Rat in sich bergen. Den Medien gegenüber präzisierte Kobia ein solches Risiko: In Lateinamerika und Afrika seien heute zum ÖRK gehörende traditionelle Kirchen vom Proselytismus einiger Pfingstkirchen betroffen. Bei der Abwerbung handele es sich vor allem um Jugendliche, die von der Spiritualität pfingstlerisch-charismatischer Gemeinschaften angezogen würden. Die traditionellen Kirchen könnten durch den Verlust der Jugendlichen auf längere Sicht ihrer kirchlichen Existenz beraubt werden. Jugend und Familie sei nun einmal die Zukunft der Kirche.
Die zunehmende kirchliche Vielfalt rufe aber auch die Angst hervor, dass Erfolge der vergangenen 60 Jahre aufs Spiel gesetzt würden und könnte dazu führen, dass "Wahrheit" und "Einheit" stärker in Gegensatz zueinander gestellt würden. Der ÖRK habe in der Vergangenheit dafür gekämpft, dass die beiden Aspekte des Evangeliums, "Wahrheit" und "Einheit", nicht voneinander getrennt würden und die kreative Spannung zwischen Ekklesiologie und Ethik, Einheit und Wahrheit bestehen bleibe.
Eine der interessantesten Aufgaben des Rates sei, so Kobia, die Schaffung von Räumen der Begegnung für eine erweiterte Gemeinschaft unter den Christen gewesen, "in denen wir ein Stück des Weges gemeinsam mit anderen gehen konnten". Dies, obwohl das Ziel der gemeinsamen Reise noch nicht klar abzusehen und noch nicht festgelegt sei. Er verwies auf die bisherige Zusammenarbeit mit regionalen ökumenischen Organisationen und nationalen Kirchenräten, mit der römisch-katholischen Kirche und den Weltweiten Christlichen Gemeinschaften (Christian World Communions/CWC).
Das Programm "Der ÖRK und die ökumenische Bewegung im 21. Jahrhundert" stelle dabei sicher, dass die normalen institutionellen Anforderungen erfüllt und der Aufgabenbereich ausgebaut werde, damit die Neupositionierung des Ökumenischen Rates "als privilegiertes Instrument der umfassenden ökumenischen Bewegung erleichtert" werde.
Neue wichtige Arbeitsbereiche der Zukunft
Kobia nannte in seinem Bericht drei Bereiche von besonderer Bedeutung: das Globale Christliche Forum (GCF), das Bündnis "Aktion Kirchen helfen gemeinsam – ACT" (Action by Churches Together) und die nächste Vollversammlung des Rates, die den Weltweiten Christlichen Gemeinschaften und Konfessionsfamilien mehr Raum für Begegnung und Beratung bieten soll.
Die Tagung des Globalen Christlichen Forums im November 2007 in Limuru bei Nairobi (Kenia) habe Gelegenheit geboten, das Gefühl der Feindschaft in der Vergangenheit zu überwinden und tief sitzende Vorurteile zwischen "Ökumenikern" und "Evangelikalen" sowie "Pfingstlern" und traditionellen Kirchen zu korrigieren. Das GCF sei Ausdruck einer Verlagerung der ökumenischen Weltsicht von einer vorwiegend nordatlantisch geprägten zu einer globaleren Sichtweise, die den Impuls der evangelikalen und pfingstlichen Erweckungsbewegungen auf die weltweite Kirche Christi umfassender berücksichtige, schreibt der Generalsekretär in seinem Bericht.
Als Beispiel der Anstrengungen der ökumenischen Partner in den Bereichen Nothilfe, Fürsprache und Entwicklung nannte Kobia das im Februar 2007 in Nairobi gegründete neue globale Bündnis für Entwicklung (ACT). Das Engagement für Gerechtigkeit, das in diakonischer Arbeit und Fürsprachearbeit Ausdruck finde, sei integraler Bestandteil des Auftrags der Kirchen und des Ökumenischen Rates. Der Auftrag zur Umstrukturierung der diakonischen Arbeit des ÖRK gehe auf die letzte Vollversammlung 2006 in Porto Alegre zurück.
Im Bericht an den Zentralausschuss streifte Kobia auch die Frage nach einem neuen Stil der für 2013 geplanten 10. Vollversammlung des Rates. Mit verschiedenen Szenarien für eine erweiterte Vollversammlung (VV) beschäftigten sich bereits der Weisungsausschuss für Grundsatzfragen der VV und der Exekutivausschuss des Rates. Dem in Genf tagenden Zentralausschuss wurden verschiedene Modelle und ein Veranstaltungsrahmen für den Planungsprozess zur Beschlussfassung vorgelegt.Neuer Generalsekretär wird gesucht
Der Kenianer Samuel Kobia (60) hat während des vom 13.-20. Februar in Genf tagenden ÖRK-Zentralausschusses überraschend seinen Verzicht für eine zweite Amtszeit erklärt. Laut dem Vorsitzenden des Zentralausschusses, Pfarrer Dr. Walter Altmann, sei Kobia bis zum Herbst 2008 gewählt und werde dann von einem geschäftsführenden Generalsekretär abgelöst. Der Zentralausschuss habe die Berufung eines Findungsausschusses für die Suche nach einem neuen Generalsekretär beschlossen. Dieser könne erst bei der nächsten Tagung des Zentralausschusses im September 2009 gewählt werden, so Altmann.
Kobia war wegen seiner Amtsführung in die Kritik geraten. Die Programmarbeit des ÖRK ufere aus und der Generalsekretär verbringe zu viel Zeit mit Reisen. Auch Kobias Doktortitel an einer staatlich nicht anerkannten Einrichtung in den USA irritierte.
Neue Kritik an der Arbeitsweise des ÖRK
Der kurhessen-waldeckische Bischof Martin Hein (Kassel), das ranghöchste deutsche Mitglied im ÖRK-Zentralausschuss, bemängelte in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) die Effizienz und Führung in der Genfer Ökumene-Zentrale. Der Ökumenische Rat habe es nicht verstanden, Visionen und Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Ihm fehle ein gemeinsames Ziel.
In vielen Bereichen sei kritisches Nachfragen nötig, so Hein in seiner Kritik an der Führung und dem Arbeitsstil am Sitz des ÖRK. Vieles laufe intern ab und werde wenig nach aussen kommuniziert. Um die Tätigkeit effizienter zu gestalten, sollte die Zahl der Programme nach dem Prinzip "Mache weniger, aber mache es richtig" verringert werden. Dem Generalsekretär Samuel Kobia warf Hein vor, zu wenig in Genf präsent zu sein: "Ich wundere mich manchmal, wie häufig der Generalsekretär unterwegs ist."
"Der ÖRK nimmt eigentlich zu allem Stellung. Eine kleine UNO muss der Weltkirchenrat aber nicht sein", mahnte der Bischof mit Blick auf das vielfältige Engagement. Er bezeichnete neben dem politischen Einsatz die Zusammenarbeit im Rat als wichtige Aufgabe.
Zwar hob Hein die bedeutsame Rolle des Ökumenischen Rates zur Zeit des Ost-West-Konflikts und im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika hervor. "Die aktuelle Schwierigkeit besteht darin, dass diese beiden Herausforderungen politischer Art nun weg sind", sagte der evangelische Bischof. Diese Situation führe dazu, dass der ÖRK öffentlich kaum noch wahrgenommen werde.
Die Evangelische Kirche in Deutschland wolle ihre finanziellen Beiträge zum ÖRK weiter zurückfahren. Auf Dauer könne es nicht angehen, dass rund ein Drittel der Kosten des Ökumenischen Rates ausschliesslich aus Deutschland bestritten werde, sagte Hein. Andere Kirchen des Nordens etwa in Amerika oder orthodoxe Kirchen seien in der Lage, mehr zu geben. Zurückziehen wollten sich die deutschen Kirchen aber nicht: "Es gibt eine ökumenische Verpflichtung auf deutscher Seite."
Die Kompromisslinie, welche die reformatorischen und orthodoxen Kirchen im ÖRK gefunden hätten, habe nach Heins Auffassung zu einem Ende der "grossen Aufgeregtheiten" zwischen beiden kirchlichen Lagern geführt. Die orthodoxe Kirche müsse aber lernen, auch in ihren Ländern mit konfessioneller Vielfalt zu leben und keinen Alleinvertretungsanspruch für ihr Land zu erheben.
Mit Blick auf die Pfingstkirchen und charismatischen Gemeinschaften, die vor allem in Ländern des Südens stark wachsen, sprach sich Hein für eine Integration in den Ökumenischen Rat aus. "Die Frage ist aber, ob sie sich selbst überhaupt auf die Bewegung des Weltkirchenrats einlassen, die auch immer eine politische Bewegung gewesen ist", sagte der Bischof von Kurhessen-Waldeck. Der evangelische Theologieprofessor erwartet nicht, dass es zu einem Beitritt der römisch-katholischen Kirche zum Ökumenischen Rat der Kirchen kommen könne, "obwohl ich mir das wünschen würde". Dies scheitere an ihrem Selbstanspruch als Weltkirche. "Aber die Weltkirche ist grösser als die römisch-katholische Kirche", sagte Hein.
Im ÖRK sind 349 Kirchen mit rund 560 Millionen Mitgliedern zusammengeschlossen, was etwa 25 Prozent der Weltchristenheit entspricht. [Redaktion: Christian B. Schäffler und Holger Teubert für APD in Genf]