Ein ganzheitliches Gesundheitskonzept ist die Wachstumslokomotive des 21. Jahrhunderts. Davon ist der Wirtschaftstheoretiker Leo A. Nefiodow überzeugt. In seinem Vortrag beim ersten Christlichen Gesundheitskongress in Kassel verwies er darauf, dass schon jetzt jeder US-Amerikaner im Durchschnitt 6.200 Dollar für Gesundheit pro Jahr ausgebe. Die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen steige ständig. Jeder zweite neue Arbeitsplatz sei in den Vereinigten Staaten im Gesundheitssektor entstanden. Dadurch betrage die Arbeitslosigkeit dort nur fünf Prozent. In Deutschland seien die Verhältnisse anders. Hier würden die Ausgaben für das Gesundheitswesen gedeckelt, so dass sogar in diesem Bereich Arbeitsplätze abgebaut würden. Doch ohne den Gesundheitssektor gebe es in der Bundesrepublik keine Vollbeschäftigung.
Allerdings würden mehr Ärzte, Medikamente, Technik und finanzielle Mittel die Menschen nicht gesünder machen. Nefiodow sieht dafür zwei Gründe. Man könne nicht von einem Gesundheitswesen sprechen, wenn 99 Prozent des Geldes für Krankheiten ausgegeben würden. Das System sei falsch, denn es reagiere erst, wenn der Mensch krank sei. Ausserdem würden meist nur die Symptome behandelt, aber nicht die Ursache der Krankheit beseitigt. Dadurch stiegen die Kosten.
Die Kosten könnten erheblich gesenkt werden, wenn auch die Ursachen einer Krankheit bekämpft würden. Beispielsweise erkrankten viele Menschen durch Mobbing am Arbeitsplatz. Mobbing sei aber nichts anderes als verweigerte Nächstenliebe. Um hier zur Gesundung zu kommen, wäre eine neue Ethik in der Gesellschaft erforderlich. Von allen Religionen stelle nur das Christentum die Nächstenliebe in den Mittelpunkt, so dass von daher eine seelische Heilung erfolgen könnte.
Die Auswertung von 146 Studien mit über 100.000 Befragten in den USA hätte gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen Glauben und Gesundheit gebe. In 77 Prozent der Fälle hätte sich der Glaube positiv auf die Gesundheit ausgewirkt, in sechs Prozent negativ und in 17 Prozent sei keine Auswirkung feststellbar gewesen. Der Mensch müsse als ganzheitliches Wesen gesehen werden und dazu gehöre eben auch die seelische Gesundheit.
Es werde, so Nefiodow, zwar immer Kranke geben, aber die Forschung müsse sich mehr auf die Ursachen der Erkrankung und deren Therapie kümmern. Auch gehe es um eine bessere Prävention, um Krankheiten zu verhindern. Ganzheitliche Gesundheit schliesse den spirituellen Aspekt mit ein.
Über Gesundheit zwischen Eigenverantwortlichkeit und Solidarität sprach Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Er betonte, dass Solidarität und Eigenverantwortlichkeit keine Gegensätze seien, sondern zusammengehörten. Bei der Eigenverantwortlichkeit gehe es nicht nur darum, mehr zu zahlen, sondern für das eigene Handeln die Verantwortung zu übernehmen. Jeder sollte die Leistung erhalten, die für ihn notwendig sei. Solidarität könne aber nicht bedeuten, dass jeder das bekomme, was er wolle. Es dürfe auf Kosten der Allgemeinheit nur das finanziert werden, was auch allen nütze und nicht nur einzelnen.
Pfarrer Dr. Wolfgang J. Bittner, Beauftragter für Spiritualität der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, befasste sich mit dem Thema "Christliches Menschenbild – beauftragt zu heilen". Der Auftrag zum Heilen gehöre laut Bittner zum Wesen der Kirche. Allerdings sei das Verständnis über die Bedeutung von Gesundheit und Heilung sehr begrenzt. "Wir brauchen den Blick auf das Ganze", betonte der Pfarrer. Denn Gesundheit sei das Vorletzte und nicht das Letzte. Selbst wenn die Gesundheit versagt bleibe, hätte ein Christ immer noch eine Hoffnung, die über den Tod hinaus bis in die Ewigkeit reiche.
Mit "Glaube und Gesundheitswesen" befasste sich Professor Dr. Dale A. Matthews, Dozent an der Georgetown University School of Medicine in Washington D.C./USA. Viele Studien belegten, so der Mediziner, dass der Glaube gut für die Gesundheit sei. Das treffe nicht nur auf das Christentum zu. Auch orthodoxe Juden lebten länger als säkulare. Allerdings bewirke nur eine frei machende, lebensbejahende Religiosität eine Gesundung. Eine negative, belastende Religiosität verkürze dagegen die Lebensdauer. Auch wer meint sehr fromm zu sein und nie zum Arzt geht, da ja Gott für ihn sorgt, sterbe früher.
Dagegen hätten Studien ergeben, dass der regelmässige Gottesdienstbesucher ein höheres Alter erreichen würden, als Menschen, die nicht zum Gottesdienst gingen, stellte Matthews fest. Allerdings lasse sich Gott nicht in ein Schema pressen. Religiöse Aktivitäten seien zwar gesundheitsfördernd, aber das müsse sich nicht bei jedem Menschen gleichermassen auswirken.