Wer aus der Kirche austritt und deshalb von seinem kirchlichen Arbeitgeber gekündigt wird, bekommt von Anfang an Arbeitslosengeld. In einem solchen Fall darf die Bundesagentur für Arbeit (BA) grundsätzlich keine Sperrzeit verhängen.
In der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 2008 äusserten die Richter des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel, dass es gerechtfertigt sein könne, wenn kirchliche Einrichtungen einem Arbeitnehmer wegen eines Kirchenaustritts kündigen. Doch bei der Klägerin habe für ihr arbeitswidriges Verhalten durch ihre Berufung auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit ein wichtiger Grund vorgelegen, der eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld ausschliesse. Nach einem BSG-Urteil vom 23. Juni 1982 müsse in solchen Fällen Raum für eine Gewissensentscheidung bestehen. Hieran halte das Bundessozialgericht weiterhin fest (Aktenzeichen B 11a AL 63/06 R). Aufgrund dieses Hinweises zog die Bundesagentur ihre Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Koblenz (Aktenzeichen S 13 AL 545/03) zurück, das damit rechtskräftig ist.
Die 1958 geborene, verheiratete Klägerin war seit 1992 als Stationshilfe in einem Krankenhaus an der Mosel beschäftigt, das dem Deutschen Caritas-Verband angeschlossen ist. Nachdem sie im Januar 2003 aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten war, kündigte der Arbeitgeber nach erfolgloser Aufforderung, den Austritt wieder rückgängig zu machen, mit sofortiger Wirkung, da die Angestellte die Loyalitätspflichten gegenüber der Kirche verletzt habe. Das sich anschliessende Kündigungsschutzverfahren endete mit einem Vergleich. Die fristlose Kündigung wurde in eine ordentliche unter Wahrung der Kündigungsfrist umgewandelt.
Nachdem die Frau sich arbeitslos gemeldet hatte, verhängte die Bundesagentur für Arbeit auf die Zahlung des Arbeitslosengeldes eine zwölfwöchige Sperrzeit. Begründung: Die Stationshilfe habe gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstossen und dadurch ihre Arbeitslosigkeit selbst herbeigeführt. Das Sozialgericht Koblenz hob mit Urteil vom 24. März 2005 die Sperrzeit auf und wies darauf hin, dass die Klägerin einen wichtigen Grund für ihr Verhalten gehabt hätte. Sie habe nämlich durch ihren Austritt aus der römisch-katholischen Kirche von ihrer in Artikel 4 Absatz 1 Grundgesetz eingeräumten Religions- und Bekenntnisfreiheit Gebrauch gemacht. In der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin glaubhaft erklärt, sich nach jahrelangem Bibelstudium von den katholischen Lehren entfernt zu haben, bis es schliesslich mit ihrem Glauben nicht mehr vereinbar gewesen sei, weiterhin in der Kirche zu bleiben.
Gegen das Urteil legte die Arbeitsagentur Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in Mainz ein. Dieses Gericht war anderer Meinung und hob am 30. März 2006 das Urteil der Erstinstanz auf. Die Richter des LSG argumentierten, dass der Austritt der Klägerin aus der römisch-katholischen Kirche arbeitsvertragswidrig gewesen sei, sodass die Stationshilfe ihre Arbeitslosigkeit vorsätzlich herbeigeführt habe. Die Verhängung der Sperrzeit sei daher rechtens gewesen (Aktenzeichen: L 1 AL 162/05). Nachdem die Bundesagentur für Arbeit ihr Rechtsmittel gegen die Klägerin vor dem Bundessozialgericht zurückgezogen hat, ist das Urteil des Landessozialgerichts Mainz hinfällig.