Vielschichtige Einblicke in die Rezeption der oberdeutsch-schweizerischen Reformation in den Freikirchen bot die Herbsttagung des Vereins für Freikirchenforschung (VFF), die an historischer Stätte, im Chateau de Liebfrauenberg im Elsass, stattfand.
Professor Dr. Andreas Mühling (Trier) begann mit einem Vortrag zur Bedeutung des Reformators Johannes Calvin (1509-1564) in den Freikirchen. Dabei relativierte er dessen Bedeutung und stellte Heinrich Bullinger (1504-1575), einen der führenden Schweizer Theologen im Protestantismus des 16. Jahrhunderts, als bedeutende Persönlichkeit neben Calvin, beziehungsweise Zürich als Stadt von Ulrich Zwingli (1484-1531) und Bullinger neben das Genf Calvins. Am Beispiel des Calvin-Schülers Caspar Olevian (1536-1587) schilderte Mühling den Fortgang der Lehren des Reformators bei seinen Schülern. Olevian gründete die Hochschule in Herborn, die der in Genf zu diesem Zeitpunkt in nichts nachgestanden habe, so Mühling. Doch die Bedeutung der Herborner Hochschule sei bisher nahezu nicht erforscht.
Professor em. Dr. Marc Lienhard (Strassburg) gab einen komplexen Einblick in die Strassburger Reformation des 16. Jahrhunderts. Unter dem prägenden Theologen Martin Bucer (1491-1551) habe sich Strassburg als recht weltoffene Stadt gezeigt, in der Hinrichtungen aus Glaubensgründen weithin vermieden worden seien, obwohl Dissidenten und Spiritualisten, Pazifisten und Apokalyptiker den verfassten Kirchen das Leben schwer gemacht hätten.
Nachdem Matthias Lohmann, Pastor der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) München, die reformierten Wurzeln der Baptisten und des FeG-Bundes herausgearbeitet hatte, widmete sich Dr. Gerrit Jan Beuker (Hoogstede) dem niederländischen Theologen, Politiker, Staatsmann und Journalisten Abraham Kuyper (1837-1920). Beuker beschrieb die Religionslandschaft der Niederlande als Hauptursache einer starken Säkularisierung, die in Europa ihresgleichen suche. Jede Abspaltung, jede Denomination hätte eine eigene kulturelle Säule mit Medien, wie Zeitungen, Zeitschriften, Fernseh- und Radiosendern sowie Internet, gebildet. Diese „Versäulung“ der niederländischen Gesellschaft habe zur Marginalisierung des Glaubens geführt, da die verschiedenen Denominationen nur auf sich selbst bezogene abgeschlossene Säulen gebildet hätten.
Professor Dr. Thomas Domanyi (Vermes, Kanton Jura/Schweiz), Dozent für Sozialtheologie und Ethik an der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, stellte den Gewissensbegriff bei Calvin dar, und
Dr. Juliane Brandt (München) gab einen Einblick in die Entstehung der reformierten Gemeinden in Budapest.
Die Herbsttagung endete mit einem Vortrag von Dr. Jean-Daniel Plüss (Zürich) über die reformierten Wurzeln der Pfingstbewegung. Bei der Abendmahlslehre sei die symbolische Deutung der Reformierten übernommen, aber durch Gedanken der spirituellen Realpräsenz, die sich auch bei Bucer finden liessen, angereichert worden. Auch im Bereich des Kirchenverständnisses sieht Plüss Parallelen. Dass Glaube und Bekenntnis Kirche konstituierten, wie es Zwingli formuliert habe, würden auch Pfingstgemeinden so sehen. Allerdings sei das Bekenntnis individualisiert. Plüss bezeichnete diese Individualisierung als Hauptursache für die Spaltungen in der konfessionellen Landschaft der letzten 100 Jahre. Die Pfingstbewegung sei für die rasante Vermehrung der Konfessionen und Denominationen massgeblich verantwortlich. Die Auslegung der Heiligen Schrift richte sich nicht nur nach der Sichtweise Zwinglis, so Plüss, sondern bei den Pfingstgemeinden seien die Betonung des Wirkens des Heiligen Geistes und das persönliche Gefühl hinzugekommen.
Alle im Elsass gehaltenen Vorträge werden im Jahrbuch 2010 des Vereins für Freikirchenforschung dokumentiert, das voraussichtlich im Frühjahr 2011 erscheinen und beim Verein sowie im Buchhandel erhältlich sein wird.