Nach Auffassung des Augsburger evangelischen Theologen Bernd Oberdorfer hat die römisch-katholische Kirche mehr Gemeinsamkeiten mit den protestantischen als mit den orthodoxen Kirchen. Der Vatikan habe sich zwar in den vergangenen Jahren im ökumenischen Gespräch vor allem auf die Orthodoxie konzentriert, sagte das Mitglied im Rat des Lutherischen Weltbundes am 5. Oktober in Rom. Dies dürfe jedoch nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass Rom der Lutherstadt Wittenberg theologisch letztlich näher liege als Konstantinopel oder Moskau, hob der Theologe in einem Vortrag hervor. Die römische Kirchenleitung sei "viel zu klug", um sich auf nur einen Dialogpartner festzulegen.
Papst Benedikt XVI. verwende einen Vernunftbegriff spezifisch abendländischer Prägung, sagte Oberdorfer während einer zweitägigen internationalen Konferenz mit dem Titel "Katholizismus heute: Ökumenische Perspektiven". Dieser Vernunftbegriff stehe dem Protestantismus ungeachtet von Luthers abschätzigem Urteil über die "Hure Vernunft" wesentlich näher als den orthodoxen Kirchen.
Der evangelische Theologe Thorsten Maassen (Marburg) legte in seinem Vortrag über "Die Ökumenische Theologie Joseph Ratzingers" dar, dass das Gespräch mit den anderen christlichen Konfessionen und das Bemühen um eine Einheit der Kirche ein wichtiger Bestandteil im Denken des heutigen Papstes sei. Dieser werde oft zu Unrecht als Kronzeuge von jenen Kräften angeführt, die der Auffassung seien, die römisch-katholische Kirche genüge sich selbst und bedürfe des Gesprächs mit anderen Konfessionen nicht. Erschwert werde eine Annäherung jedoch durch die Auffassung Benedikts XVI., Kirche im eigentlichen Sinne sei nur die katholische Kirche, sagte Maassen, der seine Doktorarbeit über "Das Ökumeneverständnis Josef Ratzingers" verfasst hat.
Eine Perspektive für den römisch-katholisch-/evangelischen Dialog könne indessen eine von Joseph Ratzinger vertretene "dynamische Ekklesiologie" sein. Demnach "ereigne" sich Kirche auch in der Glaubensverkündigung und den Sakramenten anderer christlicher Konfessionen ohne dass diese Kirche im eigentlichen Sinne seien, führte Maassen aus. Veranstalter der Tagung waren das "Centro Melantone", protestantisches Studienzentrum für Ökumene in Rom, in Zusammenarbeit mit dem Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes in Bensheim.
Das Zentrum geht auf ein gemeinsames Projekt zurück, das 2002 von der Waldensisch-/Methodistischen Kirchen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien beschlossen und 2007 errichtet wurde. Studienleiterin des Melanchthon Zentrums" ist Pfarrerin Philine Blum.