Mit dem Ökumenischen Lagebericht legte der Leiter des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim, Pfarrer Dr. Walter Fleischmann-Bisten, der Mitgliederversammlung des Evangelischen Bundes die Einschätzung der aktuellen ökumenischen Lage vor. Vom 6. bis 9. Oktober tagte die 103. Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Hofgeismar.
Die Deutschland-Reise Papst Benedikts XVI. im September 2011 wertete Fleischmann- Bisten als „ernüchternd“. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die These der früheren EKD-Ratsvorsitzenden Margot Kässmann, sie erwarte von diesem Papst nichts in der Ökumene. Fleischmann-Bisten: „Man könnte allenfalls ergänzen: nichts ausser ökumenischen Gesten und Hinweisen auf das bereits gemeinsam Erreichte und dessen Bewahrung.“ Ökumene habe eine Funktion im Dienst an den Menschen: „Ich meine aber, dass Erkenntnisse und Ergebnisse ökumenischer Dialoge zu einer Erleichterung des alltäglichen Umgangs unter Christen verschiedener Konfession werden sollten und könnten.“ In Abgrenzung zum Ökumenebeauftragten der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, Bischof Gerhard Ludwig Müller, stellte der Generalsekretär des Evangelischen Bundes fest: „Keinesfalls war die Begegnung des Papstes mit Vertreterinnen und Vertretern evangelischer Kirchen in Deutschland eine ‚Sternstunde der Ökumene’.“
Mit dem Titel „Warum nicht auch mal nach Canossa?“ wies Fleischmann-Bisten auf die Notwendigkeit hin, im Zuge des Reformationsjubiläums 2017 die Frage nach der wechselseitigen Heilung der Erinnerungen neu zu stellen. Er erinnerte an den Kirchenhistoriker und früheren Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität, Christoph Markschies, der meinte, durch eine positivere Beurteilung Luthers und kritischere Sicht der Reformation könnte das Jubiläum von 2017 ökumenisch begangen werden: „Wir könnten jeweils unsere Anteile an Schuld bekennen, aber auch würdigen, welche vorwärtsweisenden und befreienden Wirkungen aus ihr erwachsen sind.“
Auch der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, habe sich bei der Begegnung mit dem Papst in Erfurt dafür eingesetzt, Erinnerungen an wechselseitige Verletzungen aus der Kirchenspaltung vor 500 Jahren zu heilen und Wege zur Aussöhnung zu eröffnen. Den Bekenntnisschriften der Reformation seien schon vor geraumer Zeit Anmerkungen mit klärenden Hinweisen beigefügt, welche die frühere Polemik trotz der bestehenden Lehrunterschiede als heute nicht mehr zeitgemäss bezeichneten. Fleischmann-Bisten formulierte seine Vision einer möglichen wirklich ökumenischen Geste: Vergleichbar mit den Formulierungen Papst Pauls VI. und des ökumenischen Patriarchen Athenagoras I. von Konstantinopel vom 7. Dezember 1965 zur Beendigung des Schismas von 1054 könnte der 2017 amtierende Papst erklären, das Exkommunikationsurteil gegen Martin Luther „aus dem Gedächtnis und aus der Mitte der Kirche (zu) tilgen und (es) dem Vergessen anheim(zu)geben“.
Der Ökumenische Lagebericht 2011 erscheint als epd-Dokumentation und (in Auszügen) im „Materialdienst“ des Konfessionskundlichen Instituts 6/2011.