Eine Initiative prominenter, engagierter evangelischer und römisch-katholischer Christen hat am 5. September in Berlin die Erklärung „Ökumene jetzt – ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“ vorgestellt. Unter Bezug auf zwei kirchengeschichtliche Jubiläen, den 50. Jahrestag des Beginns des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) sowie das 500. Gedenken an den Beginn der Wittenberger Reformation mit dem Thesenanschlag Luthers am 31. Oktober 1517, wolle sie „einen Beitrag zur Überwindung der Kirchentrennung“ leisten.
In ihrem Aufruf „Ökumene jetzt“ erinnern die Initiatoren, dass durch die Taufe die Gläubigen „als Geschwister miteinander verbunden“ seien. „Sie bilden als Volk Gottes und Leib Christi die eine Kirche.“ Deshalb gehe es nicht um „Versöhnung bei Fortbestehen der Trennung, sondern [um] gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt“. Dabei werde die Frage verneint, ob theologische Gründe, institutionelle Gewohnheiten, kirchliche und kulturelle Traditionen ausreichten, um die Kirchenspaltung fortzusetzen.
Die Unterzeichner der Initiative sind davon überzeugt, „dass katholische und evangelische Christen viel mehr verbindet als unterscheidet“. Zwar gebe es unterschiedliche Positionen im Verständnis von Abendmahl, Amt und Kirche, doch diese Unterschiede könnten die Aufrechterhaltung der Trennung nicht rechtfertigen. In beiden Kirchen sei die Sehnsucht nach Einheit gross. Deshalb werde an die Kirchenleitungen appelliert, „die Trennung unserer Kirchen“ zu überwinden. Die Christen im Land der Reformation stünden in der besonderen Verantwortung, „Zeichen zu setzen und dazu beizutragen, den gemeinsamen Glauben auch in einer gemeinsamen Kirche zu leben“.
Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufes gehören mit dem im Ruhestand befindlichen Leipziger Pfarrer Christian Führer, dem emeritierten Theologieprofessor Günter Brakelmann und der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer drei evangelische, mit Bundesministerin Annette Schavan und dem emeritierten Professor Otto Hermann Pesch zwei katholische Theologen. Andere Personen haben leitende Ämter in ihren Kirchen inne gehabt wie die ehemaligen Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker und der Mediziner Eckhard Nagel, der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Staatsminister a.D. Hans Maier, und dessen ehemaliger Generalsekretär Friedrich Kronenberg. Norbert Lammert als Bundestagspräsident, Frank-Walter Steinmeier, Gerda Hasselfeldt und Wolfgang Thierse stehen in aktueller politischer Verantwortung. Thomas Bach als Präsident und Michael Vesper als Generaldirektor dienen dem Deutschen Olympischen Sportbund. Mit Andreas Felger, Günther Jauch und Arnold Stadler sind Künstler, Medienschaffende und Schriftsteller vertreten. Der Text des Aufrufes ist im Internet unter www.oekumene-jetzt.de zu finden.
Stellungnahme aus römisch-katholischer Sicht
Der Vorsitzende der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, bezeichnete in seiner Erklärung zum Aufruf „Ökumene jetzt“ den ökumenischen Dialog als „unverzichtbar“. Die Einheit der Kirche müsse „auch sichtbar Gestalt“ gewinnen. Eine gegenseitige Anerkennung der Kirchen sei tatsächlich zu wenig. Es bleibe jedoch schmerzlich, „dass eine volle sichtbare Einheit der Kirche nicht absehbar ist“. Eine Überwindung der Kirchenspaltung sei aber nicht ohne eine solide theologische Verständigung möglich, betonte Zollitsch. Es wären vor allem theologische Gründe und erst nachrangig politische Ursachen gewesen, die zur Kirchenspaltung geführt hätten. „Ökumene ist nicht eine politische Frage, sondern zunächst und vor allem eine Frage der Suche nach Gott, der befreienden und zugleich fordernden Ausrichtung an der Heiligen Schrift und der Suche nach gemeinsamer Teilhabe am Leben des Herrn in der Kirche.“
Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Der Vizepräsident im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Dr. Thies Gundlach, wies zum Manifest der Initiative „Ökumene jetzt“ darauf hin: „Aus evangelischer Sicht ist die Reformation noch nicht vollendet.“ Die Reformatoren hätten am Beginn des 16. Jahrhunderts ein anderes Bild von Kirche entwickelt, das sich auch heute noch an einigen zentralen Punkten von dem Bild der römisch-katholischen Geschwister unterscheide. Es sei daher gut, in ökumenischen Zusammenhängen nicht den Eindruck zu erwecken, dass Theologie gleichgültig wäre. Es sollte vielmehr über die theologischen Gründe für die unterschiedlichen Kirchenverständnisse immer wieder nachgedacht werden. Deshalb gelte: „In ökumenischen Dingen so viel Tempo wie möglich, aber auch so viel Geduld wie nötig.“
Stellungnahme der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)
Landesbischof Professor Dr. Friedrich Weber (Wolfenbüttel), Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), würdigte, dass die Initiative „Ökumene jetzt“ die Kirchen beim Wort nähme und einfordere, dass „nach den Jubiläen nicht alles so bleibt, wie es vorher war“. Allerdings bleibe der Aufruf eine Antwort schuldig, wie diese Einigung und das Ziel, „den gemeinsamen Glauben auch in einer Kirche zu leben“ konkret umgesetzt werden könne: Wie viel Vereinheitlichung und wie viel Vielfalt sei angemessen? Wie könne mit den Unterschieden, die es durchaus gebe, aber laut Aufruf keine Trennung mehr rechtfertigten, umgegangen werden? Sei es egal, welche Rolle Christinnen und Christen dem Papst oder Frauen im ordinierten Amt zuschrieben? Sollten Christen im Land der Reformation „in einer gemeinsamen Kirche leben“, notfalls auf Kosten der Gemeinschaft mit ihren konfessionellen Geschwistern ausserhalb Deutschlands? Ohne Präzisierung in solchen Fragen bleibe zu befürchten, dass der Text in seiner Unbestimmtheit und Offenheit zwar von vielen Seiten Zustimmung finden werde, letztlich jedoch wirkungslos bleibe. „Das wäre schade.“
Stellungnahme der Deutschen Evangelischen Allianz
Dr. Michael Diener, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, zeigte sich überrascht, dass der „sehr gelehrt und differenziert aufgebaute Aufruf“ am Schluss recht oberflächlich und pauschal davon spreche, dass die Unterschiede in der Amtsfrage, im Kirchenverständnis und der Sakramentslehre die Trennung nicht rechtfertigten und deshalb auch die institutionelle Einheit forderten. Der Aufruf verkenne die tiefe Diskrepanz in den angesprochenen Themenfeldern. Er unterschlage aber auch, „dass das gemeinsame Fundament in vielen ethischen Fragen durch bedenkliche Entwicklungen in den evangelischen Kirchen in den vergangenen Jahren zunehmend geringer geworden ist“. Die Evangelische Allianz unterstütze den Wunsch nach intensivem Ringen um lehrmässige Übereinstimmung. Nach ihrer Auffassung sei es aber nicht die Zeit für eine institutionelle Einheit von evangelischer und katholischer Kirche.
Stellungnahme der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland
Der Vorsitzende der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland, Pastor Günther Machel (Ostfildern bei Stuttgart), wies darauf hin, dass der Aufruf der Initiative „Ökumene jetzt“ nur die beiden grossen Kirchen in Deutschland betreffe. Die orthodoxen Kirchen und die evangelischen Freikirchen seien hierbei nicht im Blick. Deshalb wäre den Initiatoren entgangen, dass es nicht nur im Verständnis von Abendmahl, Amt und Kirche Unterschiede gebe, sondern auch bei der Taufe. Am 29. April 2007 hätten im Dom zu Magdeburg nur elf der 17 Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland und keine der vier ACK-Gastkirchen eine Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe unterzeichnet. Zwei altorientalisch-orthodoxe Kirchen, die Heilsarmee und die sogenannten „täuferischen“ Kirchen“, die statt der Kindertaufe die Erwachsenen- oder Glaubenstaufe praktizierten, hätten das Dokument nicht unterschrieben.
Weltweit gebe es über 500 Millionen Christen, die als biblische Taufe im Sinne des Neuen Testaments nur die Glaubenstaufe anerkennen würden, so Machel. Man könne leicht sagen, dass Christen mehr verbinde als unterscheide. Doch die Unterschiede wären gravierender, als der Aufruf sie darstelle. Die Einheit der Kirchen könne nicht wie etwa bei einem politischen Kompromiss erreicht werden. Druck bei Wahrheitsfragen könne das Gegenteil bewirken und zu Abspaltungen mit neuen Kirchen führen.