Zum ersten Mal in der Geschichte der Neuapostolischen Kirche, die in Deutschland etwa 350.000 und weltweit zehn Millionen Mitglieder zähle, sei deren Glaubenslehre in einer systematischen Darstellung erarbeitet und am 4. Dezember im „Katechismus der Neuapostolischen Kirche“ veröffentlicht worden, teilte Pfarrer Dr. Walter Fleischmann-Bisten, Leiter und Freikirchlicher Referent des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim, mit. Bisher habe es „Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben“ (letzte Auflage von 1992) und das „Glaubensbekenntnis der Neuapostolischen Kirche“ (neu 2010) gegeben, wobei letzteres als Vorarbeit zum Katechismus gelte und damit einen hohen Stellenwert besitze.
Wertschätzung gegenüber anderen Kirchen
Insgesamt bestätige der neue Katechismus, der noch vom früheren Stammapostel Richard Fehr initiiert worden sei, die laut Fleischmann-Bisten seit einigen Jahren zu beobachtende, vorsichtige und insgesamt erfreuliche ökumenische Öffnung der Neuapostolischen Kirche (NAK). So heisse es etwa im Geleitwort des Stammapostels Wilhelm Leber vom März 2012: „Das Buch bringt gemeinsame Grundüberzeugungen aller Christen zum Ausdruck. Daneben werden die Besonderheiten des neuapostolischen Glaubens entfaltet.“ Das sei sicher nicht anders zu erwarten und wäre wohl auch die Funktion von Katechismen in anderen christlichen Kirchen. Nicht selbstverständlich sei aber Lebers Hinweis, dass „bei allen Auffassungsunterschieden“ die NAK „anderen Kirchen mit ihren Lehraussagen grosse Wertschätzung entgegenbringt.“ Dieser Katechismus könne und wolle nicht alle Detailfragen des Glaubens im ökumenischen Kontext beantworten. Aber er beabsichtige, „viele Möglichkeiten für den Dialog und für die Auseinandersetzung mit Zeitthemen“ zu eröffnen.
Sonderlehren auch weiterhin
Pfarrer Walter Fleischmann-Bisten gab jedoch zu bedenken, dass aus konfessionskundlicher Sicht die von der NAK offensichtlich gewollten ökumenischen Gespräche durch eine Reihe neuapostolischer Sonderlehren belastet würden. Denn durch den Katechismus „werden eine Art exklusives Heilsverständnis und mit der Heiligen Schrift unvereinbare Lehren jetzt bestätigt.“
Der Leiter des Konfessionskundlichen Instituts nannte den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, der den Getauften nach neuapostolischer Auffassung keine Heilsgewissheit bringe, obwohl die Taufe nach dem Neuen Testament (Römer 6) gerade dafür als sakramentale Zeichenhandlung stehe. Nach Artikel 6 des im Katechismus entfalteten „Glaubensbekenntnisses der Neuapostolischen Kirche“ (GNAK) werde der Getaufte zwar „in die Gemeinschaft derer“ aufgenommen, „die an Jesus Christus glauben und ihn als Herrn bekennen“. Aber „die Heilige Taufe mit Wasser“ sei lediglich „der erste Schritt zur Erneuerung des Menschen im Heiligen Geist“. Denn nach Artikel 8 des GNAK müssten „die mit Wasser Getauften durch einen Apostel die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“, um „die Gotteskindschaft und die Voraussetzungen zur Erstlingsschaft zu erlangen.“
Da dieses Sakrament der Geistversiegelung wie auch die beiden anderen Sakramente Taufe und Abendmahl nur durch einen vom Stammapostel bevollmächtigten Amtsträger gespendet werden könnte, dürften alle anders getauften Christen nicht die Gotteskindschaft haben. Damit sei auch die seit einiger Zeit von der NAK erklärte gegenseitige Taufanerkennung problematisch, betonte Fleischmann-Bisten.
Zudem werde die durch die Reformation neu betonte Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben und die damit verbundene Heilsgewissheit von einer weiteren neuapostolischen Sonderlehre in Frage gestellt. Denn auch die Versiegelung mit dem Heiligen Geist schenke noch keine Heilsgewissheit. Die Geistestaufe sei nur eine Voraussetzung für die endgültige Teilhabe an Gottes neuer Welt nach Christi Wiederkunft: „Der Glaubende kann, wenn er dem Tag Christi zustrebt, zur Brautgemeinde, zur ,Gemeinschaft der Heiligen', gehören. Dem Versiegelten ist die Aufgabe gestellt, in der Nachfolge Christi zu bleiben und sich durch Wort und Sakrament auf die Wiederkunft Jesu Christi vorbereiten zu können“ (Katechismus, Seite 75). Nach Artikel 9 GNAK käme nur eine kleine Gruppe von „Erstlingen aus den Toten und Lebenden“ zur himmlischen Hochzeit. Mit diesen komme Jesus auf die Erde zurück, um sein Friedensreich zu errichten, und erst nach dessen Ende folgten das Endgericht und die Schaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Die dafür angeführten biblischen Textstellen böten jedoch keine exegetisch haltbare Grundlage, so der Bensheimer Theologe.
In diesem Zusammenhang sei auch die Sonderlehre kritisch zu sehen, welche die Heilsvermittlung an Verstorbene betone. Alle drei Sakramente der Neuapostolischen Kirche (Taufe, Abendmahl und Geistesversiegelung) würden in regelmässigen Abständen in Gottesdiensten für Entschlafene gereicht, die zwar an Lebende gespendet würden, aber nur Toten zugute kämen.
Schliesslich sei laut Fleischmann-Bisten auch die besondere Lehrvollmacht des Stammapostels als ökumenische Hürde zu benennen. Nach dem Katechismus wäre das Apostelamt nicht auf die Urkirche begrenzt, sondern seine Aufgabe bestehe bis zur Wiederkunft Christi. Nur mittels Sakramentenspendung durch die vom Stammapostel Beauftragten werde „das neue Sein vor Gott möglich“ (Seite 70). Neben der Offenbarung Gottes durch Schöpfung, Geschichte und Heilige Schrift vermittle der Heilige Geist „darüber hinaus“ dem Apostolat neue Einsichten über Gottes Wirken und seinen Heilsplan. Diese seien in der Bibel angedeutet, aber noch nicht vollständig enthüllt. „Es obliegt dem Stammapostel aufgrund seiner lehramtlichen Vollmacht, derartige Aufschlüsse aus der Heiligen Schrift zu verkündigen und zur verbindlichen Lehre der Neuapostolischen Kirche zu erklären“ (Seite 48).
„Hartes Ringen um die Auslegung der biblischen Botschaft“
Als Fazit sei festzuhalten, dass die Veröffentlichung des NAK-Katechismus die gegenwärtige Lehre der NAK offen und verständlich darstelle. Sonderlehren, die sich darin zahlreich fänden, würden alle christlichen Konfessionen und Kirchen kennen, die zu einem erheblichen Teil auch deren Selbstverständnis ausmachten. Sie könnten eine ökumenische Bereicherung im gegenseitigen Verstehens- und Lernprozess sein und gemeinsam nach der biblischen Begründung und dem Fundament der christlichen Wahrheit suchen lassen, schlussfolgert der Freikirchliche Referent des Konfessionskundlichen Instituts. Die entscheidenden Fragen seien aber: „Werden Sonderlehren vertreten, die der eigenen Gemeinschaft oder einzelnen ihrer Mitglieder eine ausschliessliche Stellung im Heilsgeschehen einräumen, und gibt es Sonderlehren, die keinerlei Wurzeln in der biblischen Botschaft haben?“
So sehr der Wunsch und der Wille der NAK zu einem ökumenischen Dialog durch den neuen Katechismus bestärkt worden sei, so klar müsse die Schwierigkeit eines solchen Prozesses gesehen werden. „Für alle daran Interessierten und Beteiligten wird es ein hartes Ringen um die Auslegung der biblischen Botschaft sein müssen. Dieses Ringen hat sich die seit rund hundert Jahren bestehende ökumenische Bewegung immer wieder zur Aufgabe gemacht, gezeigt und gelebt“, hob Pfarrer Walter Fleischmann-Bisten hervor.