Als einen „ganz wichtigen Anstoss im bilateralen Gespräch“ hat der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker das am Montag, 17. Juni, in Genf präsentierte Dokument „Vom Konfilkt zur Gemeinschaft. Gemeinsames Lutherisch/Katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ begrüsst. Das erste gemeinsam erarbeitete Dokument zwischen Lutherischem Weltbund LWB und dem Päpstlichen Einheitsrat zur Reformationsgeschichte zeige die Fortschritte im lutherisch-katholischen Gespräch, sagt der Bischof, der auch Generalsekretär der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) ist, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Zugleich werde darin auch deutlich, dass die Reformationsfeiern 2017 „nicht wie bisher konfessionalistisch abgrenzend“ gestaltet sein werden. Er vermisse in dem Dokument aber „die wirklich heissen Eisen“, die im katholisch-evangelischen Gespräch "zu wenig angepackt worden sind", wie etwa das Verständnis der Kirche, das Verständnis der Einheit oder des Papstamtes. "Aber das war wohl auch nicht Motivation des Papiers", räumt Bünker ein.
In diesem Dokument habe man „deutliches Augenmerk“ auf das gemeinsame Gedenken gelegt, analysiert Bünker. „Wir allerdings werden sicherlich die Betonung auf die Freude und des Feiern legen und die Dankbarkeit für die Reformation herausstreichen“, kündigt der Bischof an. Die Evangelischen Kirchen in Österreich und in Europa hätten beschlossen, die Reformation in ihrer Dimension als europäisches und weltweites Ereignis zu beleuchten und zu feiern.
Dabei soll über ein stark auf Luther konzentriertes Gedenken hinausgegangen werden. "Wir wollen die Reformation in einem weiteren Horizont sehen", meint Bünker weiter und ortet hier auch einen Kritikpunkt am Dokument des LWB und des Vatikans: Reformation sei mehr als ausschliesslich die Geschichte Luthers, die dort angesprochen werde. So kämen etwa andere Reformatoren „gar nicht oder bloss am Rande“ vor.
"Weichgespülte Lesart reformatorischer Theologie"
Scharfe Kritik am Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ kommt vom evangelischen Theologen Ulrich H.J. Körtner, Wien. Es vermittle „den Eindruck eines Luthertums, das an sich selbst irre zu werden und die Orientierung hinsichtlich seiner geschichtlichen Sendung zu verlieren droht. Das ist besorgniserregend!“
Körtner, der Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Wien ist, äussert zahlreiche Kritikpunkte an dem Dokument. So bemängelt Körtner etwa eine einseitige Sichtweise auf die Reformation, die geprägt sei von der Klage über die Spaltung und dem Bekenntnis von Sünden gegen die Einheit der Kirche. „Dass die Reformation ein religiöser Aufbruch war, für den man bis heute nur dankbar sein kann, sucht man in dem Bericht vergebens.“ Ebenso sei von der evangelischen Freiheit, dem Evangelium als Botschaft der Freiheit, in dem Dokument kaum die Rede.
Kritik übt der Theologe auch an der gemeinsamen Lesart der lutherisch-katholischen Einheitskommission. Diese orientiere sich an Luthers Frage nach einem gnädigen Gott, würde aber der Antwort Luthers keinen Platz einräumen. „Wohl unterstreicht das Dokument in ökumenischer Eintracht den Gedanken, dass der Mensch allein aus Gnade (sola gratia) und allein um Christi willen (solus christus) gerechtfertigt und gerettet wird. Aber dass dies allein durch den Glauben geschieht (sola fide), stellt der Text eben nicht klar heraus." Zwar sei das Dokument bemüht, eine gemeinsame Darstellung der Theologie Luthers zu finden, das Ergebnis sei aber unbefriedigend. „Das geschieht um den Preis einer weichgespülten Lesart reformatorischer Theologie und der Abschwächung aller historischen Konflikte zu unglücklichen wechselseitigen Missverständnissen und menschlichen Versäumnissen, so dass man sich am Ende fragt, warum die Reformation überhaupt stattfinden musste."
Als Schwachpunkt des Dokuments sieht Körtner auch die Engführung der Reformation allein auf die Person Martin Luthers. Dies sei genau das Gegenteil von dem, was für das Reformationsjubiläum 2017 geplant sei. Auf die Reformatoren zweiter Generation, etwa Zwingli, Melanchthon, Bucer oder Calvin und ihre theologische Eigenständigkeit werde nicht eingegangen. Besonders die reformierte Tradition komme in dem Dokument kaum zur Sprache. Dazu komme, dass die innerprotestantische Ökumene - Stichwort: Einheit in versöhnter Verschiedenheit - ignoriert und die Leuenberger Konkordie von 1973 sowie die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa nicht berücksichtigt werde. Dagegen werde der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 zu viel Bedeutung beigemessen. „Man mag zu diesem Dokument stehen wie man will, aber dass die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre auch noch als heilsgeschichtlicher Beweis dafür herhalten muss, dass das lutherische ordinierte Amt im Laufe seiner Geschichte 'in der Lage war', 'seine Aufgabe zu erfüllen, die Kirche in der Wahrheit zu bewahren', ist starker Tobak", ärgert sich Körtner.
Angesichts des Dokuments „möchte man den anderen protestantischen Kirchen zurufen: Das Reformationsjubiläum 2017 ist zu wichtig, als dass man es dem Lutherischen Weltbund überlassen dürfte!", fasst Körtner seine Meinung zum Dokument zusammen.
In dem 90-seitigen Dialog-Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames Lutherisch/Katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017" präsentiert die lutherisch/römisch-katholische Kommission für die Einheit einen gemeinsamen Blick auf die Reformation und ihre Wirkungsgeschichte bis heute.
Download des Dokuments in Englisch „From Conflict to Communion“:
http://www.lutheranworld.org/sites/default/files/From%20Conflict%20to%20Communion.pdf