Kommentar von Dr. Paul Metzger und Martin Bräuer D.D.*
So schnell hat es noch keiner seiner Vorgänger geschafft: Knapp vier Monate nach seiner Wahl veröffentlicht Papst Franziskus am 5. Juli 2013 unter dem symbolischen Datum vom 29. Juni 2013 (Römisches Patronatsfest Peter und Paul) seine erste Enzyklika „Lumen Fidei“. Sie stellt ein Novum in der Kirchengeschichte dar, denn sie basiert auf der geplanten Enzyklika seines emeritierten Vorgängers Benedikt XVI., die Franziskus übernimmt und ergänzt (7).
„Lumen Fidei“ komplettiert die Enzykliken Benedikts XVI. zur Liebe („Deus Caritas est“, 2005) und Hoffnung („Spe Salvi“, 2007) (7) und vollendet die Trilogie der Enzykliken zu Glaube, Hoffnung und Liebe (vgl. 1. Kor. 13,13): „Glaube, Hoffnung und Liebe bilden in wunderbarer Verflechtung die Dynamik des christlichen Lebens auf die volle Gemeinschaft mit Gott hin“ (7).
Das Dokument stellt in der Einleitung fest, dass der Glaube in der Neuzeit häufig als Illusion gesehen werde, aber dringend „die Art von Licht wiederzugewinnen [sei], die dem Glauben eigen ist“ (4). Ziel ist die Wiedergewinnung dieses Glaubenslichtes (4).
In einem ersten Kapitel zeichnet die Enzyklika den Weg des Glaubens von Abraham (8-11) über Israel (12-14) bis zur „Fülle des christlichen Glaubens“ (15-22). Der Glaube blicke auf Jesus und biete sich als derjenige an, „der uns Gott erklärt“ (18). Deshalb dehnt sich im Glauben „das Ich des Glaubenden aus, um von einem anderen bewohnt zu werden und so weitet sich sein Leben in die Liebe“ (21).
Das zweite Kapitel behandelt die Frage von Glaube und Wahrheit und stellt fest: „Der Mensch braucht Wahrheit, denn ohne sie hat er keinen Halt, kommt er nicht voran. Glaube ohne Wahrheit rettet nicht, gibt unseren Schritten keine Sicherheit“ (24). Deshalb sei an die Verbindung von Glaube und Wahrheit zu erinnern, denn – und hier scheint der Relativismusvorwurf Josef Ratzingers an die Moderne durch – „die grosse Wahrheit, die Wahrheit, die das Ganze des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens erklärt, wird mit Argwohn betrachtet“ (25). Der Glaube jedoch werde im Herzen erkannt und könne in der Tiefe verwandeln: „Das Glaubensverständnis beginnt, wenn wir die grosse Liebe Gottes empfangen, die uns innerlich verwandelt und uns neue Augen schenkt, die Wirklichkeit zu sehen“ (26). Wahrheit ist also nicht von der Liebe zu trennen (27) und Liebe ist die Quelle der Erkenntnis (28). Auch Glaube und Vernunft seien keineswegs Widersprüche (32).
Das dritte Kapitel thematisiert die Weitergabe des Glaubens und konstatiert, dass die Kirche die Mutter des Glaubens ist: „Der Glaube öffnet sich von Natur aus auf das ‚Wir‘ hin und vollzieht sich immer innerhalb der Gemeinschaft der Kirche“ (39). Die Kirche sei Gedächtnisgemeinschaft und gebe diesen Inhalt ihres Gedächtnisses weiter (40). Dies geschehe durch die Sakramente. Sie seien „inkarniertes Gedächtnis“ (40). Deshalb führe auch die Wiederbelebung des Glaubens über die Wiederbelebung des sakramentalen Lebens (40). Weitere Elemente des Gedächtnisses der Kirche und der Weitergabe des Glaubens seien das Gebet und der Dekalog [Zehn Gebote] (46). Das Kapitel endet mit einer Betrachtung der Einheit und Unversehrtheit des Glaubens.
In den ersten drei Kapiteln und in der Einleitung gewinnt man den Eindruck, die Sprache und den Duktus von Benedikt XVI. zu erkennen. Auch die grossen geistesgeschichtlichen Linien durch die abendländische Kultur, die Zitate von Kirchenvätern (Augustinus) und von modernen Autoren, aber auch die Auseinandersetzung mit Nietzsche oder Dostojewski verweisen auf den ehemaligen Professor Ratzinger.
Das vierte Kapitel thematisiert das Verhältnis von Glaube und Welt: „Der Glaube entfernt nicht von der Welt und steht dem konkreten Einsatz unserer Zeitgenossen nicht unbeteiligt gegenüber“ (51). Hier meint man Papst Franziskus zu hören. Das Licht des Glaubens dürfe nicht nur das Innere der Kirche beleuchten, sondern müsse auch Konsequenzen für die zwischenmenschlichen Beziehungen haben: Für den Aufbau der Gesellschaft, für das Handeln der Christen, für die Zukunft und die Hoffnung der Welt. Denn der Glauben entferne den Menschen nicht von der Welt, er bereichere vielmehr das menschliche Leben und diene dem Gemeinwohl.
Zwei Päpste – eine Enzyklika: Der Glaube und seine Konsequenzen, nach innen wie nach aussen. Eine beeindruckende Zusammenarbeit und ein geschlossener Entwurf römisch-katholischer Theologie!
*Hinweis der Redaktion: Pfarrer Dr. Paul Metzger und Pfarrer Martin Bräuer D.D. sind Catholica-Referenten am Konfessionskundlichen Institut, Bensheim.