An den 70. Todestag von Günter Pietz am 27. September 1943 erinnerte eine Gedenkveranstaltung in Halle/Saale mit etwa 50 Personen aus Deutschland, Polen und Österreich in der damaligen Hinrichtungsstätte „Roter Ochse“. Prediger Adrian Dinut, Vorsteher der Ostdeutschen Vereinigung der Internationalen Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung (IMG), gab einen Einblick in das kurze Leben des im Alter von 18 Jahren hingerichteten Kriegsdienstverweigerers.
Widerstand, Kriegsdienstverweigerung und Tod
Günter Pietz wurde am 4. Juli 1925 in Chorzow, Kreis Königshütte, geboren. Schon als 12-Jähriger fiel er in seiner Schule auf. Seine Begeisterung für die Bibel und die Reformation Martin Luthers brachte ihm den Spitznamen „Kleiner Prophet“ und den Ärger des katholischen Religionslehrers ein, der seinen „Bibeleifer“ bremsen wollte. Seine Eltern waren gläubige Katholiken, bevor sie sich 1937 den „Reformadventisten“ anschlossen. So lernte Günter auch die Bedeutung des Sabbats (Samstag) als den von Gott bei der Schöpfung eingesetzten und später im vierten Gebot verankerten Ruhetag kennen und schätzen. Bereits im Alter von 15 Jahren wurde er von der Gestapo verhört und gefoltert, weil er nicht bereit war, am Samstag in einer Fabrik zu arbeiten. Ein Jahr später kam er aus demselben Grund für zehn Wochen in das KZ Auschwitz.
Mit erst 17 Jahren lehnte Pietz den Führereid ab und weigerte sich am 30. April 1943, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Der Versuch, ihn nach seiner Verhaftung umzustimmen, schlug fehl. Der Inhaftierte berief sich auf die Bibel und sein Gewissen. Das Urteil des 1. Senats des Reichskriegsgerichts (RKG) vom 6. August 1943 lautete: Todesstrafe wegen Wehrdienstverweigerung. Der Präsident des RKG, Admiral Max Bastian, bestätigte am 8. September das Urteil und ordnete die Vollstreckung an. Am 27. September 1943 gegen 17 Uhr wurde Günter Pietz im „Roten Ochsen“ in Halle/Saale durch Enthaupten hingerichtet. Auf dem Totenschein stand: „Plötzlicher Herztod, Atemstillstand.“
Todesurteil und letzte Briefe an die Eltern
Nach der Biografie, vorgetragen von Prediger Dinut, folgte eine Lesung aus dem Todesurteil und den letzten Briefen von Günter Pietz durch Kai Ritter, Leiter der Adventgemeinde Halle der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten (STA), sowie Jens Müller, Leiter des „Edelstein-Verlages“ der IMG. Im Feldurteil des Reichskriegsgerichts vom 11. September 1943 in der Strafsache gegen den Kanonier Günter Pietz wegen Wehrdienstverweigerung hiess es: „Der Angeklagte wird zum Tode, zur Wehrunwürdigkeit und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. ... Er erklärte gegenüber seinem Batterieführer, dass er es seinem Glauben und seinem Gewissen gegenüber nicht verantworten könne, den Fahneneid abzulegen. ... Er ist daher wegen fortgesetzten Verbrechens der Zersetzung der Wehrkraft ... zu bestrafen. ... Mit Rücksicht auf die vom Angeklagten gezeigte Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der er den Wehrdienst ablehnt, ist eine milde Beurteilung ausgeschlossen. Derart hartnäckige Wehrdienstverweigerer sind wegen der ihnen innewohnenden gefährlichen Werbekraft insbesondere geeignet, den Wehrwillen anderer zu zersetzen. Deshalb muss auf die Todesstrafe erkannt werden.“
Vor seiner Hinrichtung am 15. August und 27. September 1943 schrieb Pietz an seine Eltern: „Wegen der Todesstrafe habe und mache ich mir gar keine Gedanken. Denn ich weiss, dass mir Gott beisteht, und so einen Frieden und eine Ruhe im Herzen habe ich nicht gehabt wie in diesen letzten Tagen. ... Weinet nicht über mich, denn ich bin gut aufgehoben. Wenn unser Heiland einmal kommt, um sein Volk zu erlösen, dann werden wir uns freuen. Und mein Wunsch ist es, Euch, liebe Eltern, dort zu sehen. Es soll uns nichts scheiden von der Liebe Gottes.“
Der Frage „Gedenken – warum?“ widmete sich Walfried Knoll, STA-Pastor der Adventgemeinde Halle. Die Vergangenheit nicht zu vergessen und die Glaubenstreue von Günter Pietz zu achten, waren sein Anliegen. Ines Müller, Jugendleiterin der Deutschen Union der IMG, lenkte in ihren Ausführungen den Blick von der Trauer über den Tod eines jungen Adventisten auf das Thema „Wir erinnern uns in Dankbarkeit“.
„Sei getreu bis an den Tod“
Während des Gottesdienstes im grossen Saal der Gedenkstätte „Roter Ochse“ mit etwa 90 Besuchern erinnerte Prediger Gustavo Castellanos, Vorsteher der Deutschen Union der IMG, an das Bibelwort aus Offenbarung 2,10: „Sei getreu bis an den Tod.“ Jeder möge wie Günter Pietz sagen können: „Ich weiss, dass mir Gott beisteht.“ Das Gedenken gelte nicht nur diesem Märtyrer, sondern allen Reformadventisten, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihr Leben aus Liebe und Treue zu Jesus Christus hingaben, aber auch jenen, die in jener Zeit Verfolgung und Gefängnis erleiden mussten und dieses überlebten.
Dr. Johannes Hartlapp, Dekan des Fachbereichs Theologie und Dozent für Kirchengeschichte an der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg, begrüsste das Anliegen der Gedenkveranstaltung. Er selbst habe sich intensiv mit dem Adventismus während der NS-Zeit und damit auch mit der Reformationsbewegung befasst. Er regte an, im Gespräch zu bleiben und gemeinsam Geschichtsforschung zu betreiben.
Dietmar Eissner von der Adventgemeinde Halle verlas ein Grusswort von Pastor Johannes Scheel (Berlin), dem Vorsteher der Freikirche der STA in Mitteldeutschland: „Es steht uns gerade in Zeiten von Glaubensfreiheit und äusserem Frieden gut an, nicht zu vergessen, dass Schwestern und Brüder ihr Glaubensbekenntnis mit ihrem Blut unterschrieben haben. Wir verneigen uns vor Bruder Pietz und seiner standhaften Weigerung, einem Anderen als seinem Gott unbedingten Gehorsam zu geloben und von einem Menschen Heil zu erwarten. ... Mögen er und alle Glaubenszeugen Mahnung sein, die Treue zu halten, auch wenn es gegen den Strom der Masse zu stehen gilt.“
Michael Viebig, stellvertretender Leiter des „Roten Ochse“, führte durch die Gedenkstätte und erläuterte dessen Geschichte. Von 1942 bis April 1945 seien dort 549 Gefangene aus 15 Ländern durch das Fallbeil oder Erhängen gestorben. Darunter hätten sich mindesten 57 Kriegsdienstverweigerer befunden; die meisten wären Zeugen Jehovas gewesen.
Der evangelisch-lutherische Pfarrer Dr. Hermann Ruttmann (Trautskirchen/Mittelfranken), der mit einer Arbeit über „Die adventistische Reformationsbewegung“ promovierte, hielt den Vortrag „Die Reformationsbewegung im Nationalsozialismus“. Er erinnerte an das Verbot der IMG am 29. April 1936, da die „Sekte“ unter dem „Deckmantel der religiösen Betätigung“ Ziele verfolge, die der Weltanschauung des Nationalsozialismus zuwiderlaufen würden. Ruttmann nannte auch die Namen der ermordeten Märtyrer. Von den rund 2.000 Reformadventisten in Deutschland und den angrenzenden Ländern seien etwa 20 in den Tod gegangen, darunter zwölf Kriegsdienstverweigerer. Die meisten Märtyrer während der NS-Zeit hätte es wohl bei den Zeugen Jehovas gegeben. Von ihren damals insgesamt 25.000 Mitgliedern seien 2.000 verstorben.
Der Prediger der IMG, Friedrich Herbolsheimer (Bad Endbach/Hessen), erinnerte als Zeitzeuge, wie schwierig es für die Kinder gewesen sei, den nationalsozialistischen Einflüssen und Zwängen zu entgehen. Er erinnerte auch an den damaligen Prediger und Vorsteher der Reformadventisten, Johann Hanselmann, den er selbst noch kannte, und der am 13. Mai 1942 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde. Die Adventgemeinde Halle der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten hatte im Juni letzten Jahres zur Erinnerung an ihn einen „Stolperstein“ auf dem Gehweg vor ihrem kirchlichen Zentrum setzen lassen.
Die adventistische Reformationsbewegung
Als im August 1914 zu Beginn des Ersten Weltkrieges von den 15.000 deutschen Adventisten 3.000 Wehrpflichtige einberufen wurden, kam es unter ihnen zu einer unterschiedlichen Beurteilung, wie man sich in dieser Krisensituation zu verhalten habe. Während die Mehrheit den durch ein Rundschreiben verbreiteten Aufruf ihrer Kirchenleitung folgte und der Einberufung zum Militär nachkam, äusserten Kritiker dieser Entscheidung deutlich ihr Missfallen.
Aus diesen Kritikern, die ihre Opposition teilweise damit begründeten, dass sie für den Frühsommer 1915 die Wiederkunft Jesu erwarteten, bildete sich im Laufe des Jahres eine feste Gruppe. Während einige Kritiker später wieder ihren Platz in den Adventgemeinden fanden, sammelte sich die Mehrheit der Widerständler in einer Gruppe, die sich selbst „Reformationsbewegung der Siebenten-Tags-Adventisten“ nannte und den Militärdienst grundsätzlich ablehnte.
Das Rundschreiben wurde von der adventistischen Weltkirchenleitung in den USA kritisiert und mit ähnlichen Verlautbarungen von der deutschen Freikirchenleitung bereits 1920 mit „Bedauern" zurückgezogen. Doch das schlug genauso fehl wie Versöhnungsversuche von beiden Seiten nach dem Ersten Weltkrieg. Schliesslich standen sich während der Weimarer Republik zwei adventistische Lager gegenüber: die traditionelle Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten und die Reformationsbewegung, die allerdings durch interne Auseinandersetzungen in verschiedene Gruppen zerfiel. Die meisten lösten sich noch vor Beginn der NS-Herrschaft auf. Die verbliebenen Gruppen kamen schon bald in das Visier der neuen Machthaber, da sie auch die Beteiligung an Wahlen ablehnten. 1936 löste die Gestapo die Reformationsbewegung auf, für kleinere Gruppen kam das Verbot noch im gleichen Jahr, beziehungsweise 1937 und 1942.
Heute gehören zur Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten weltweit fast 18 Millionen erwachsen getaufte Mitglieder; in Deutschland sind es rund 35.000. Die Reformationsbewegung erlebte 1951 eine Spaltung, sodass es seitdem weltweit zwei Gruppen mit aktuell jeweils etwa 35.000 Mitgliedern gibt. In Deutschland zählt die „Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung“ (IMG) circa 350 Mitglieder. Die „Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung“ (STAR) ist mit etwa 200 Mitgliedern in der Bundesrepublik etwas kleiner. Weitere Informationen im Internet zur Freikirche unter www.adventisten.de , zur IMG unter www.reform-adventisten.net und zur STAR unter www.sta-ref.de.