Der Staat darf muslimischen Lehrerinnen nicht pauschal verbieten, mit Kopftuch zu unterrichten. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts sieht der Jurist Dr. Harald Mueller, Leiter des Instituts für Religionsfreiheit der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg/Deutschland, einen Beitrag zu einem offenen gesellschaftlichen Umgang mit den Belangen religiöser Minderheiten.
Keine Privilegierung bestimmter Religionsgemeinschaften
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner jüngsten Kopftuchentscheidung zwei muslimischen Lehrerinnen Recht gegeben, die sich als Betroffene gegen die Regelungen über religiös motivierte Kleidung im nordrhein-westfälischen Schulgesetz gewandt hatten. Nach dem nun ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) sei ein Verbot von religiösen Bekundungen durch das äussere Erscheinungsbild von Lehrerinnen und Lehrern (beispielsweise Kopftuch) erst zulässig, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden und die Wahrung der staatlichen Neutralität bestehe. Eine lediglich abstrakte Gefährdung genüge nicht, so Mueller. Wenn es zu Verboten in diesem Sinne käme, müssten diese unterschiedslos für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen gelten.
Damit habe das Bundesverfassungsgericht einer Privilegierung bestimmter Religionsgemeinschaften eine klare Absage erteilt, betonte der Jurist. Bislang wäre durch eine entsprechende Regelung im nordrhein-westfälischen Schulgesetz unter Bezug auf „christlich-abendländische Traditionen“ sichergestellt gewesen, dass zum Beispiel der Nonnenhabit von Lehrerinnen weiter zulässig sei, während das islamische Kopftuch hätte abgelegt werden müssen. „Das Bundesverfassungsgericht hat in erfreulicher Weise mit seiner Rechtsprechung nun die gesellschaftliche Realität einer religiösen Vielfalt in unserem Land ausdrücklich anerkannt und unter Schutz gestellt“, kommentierte Mueller.
Das Gericht habe sich aber auch gegen Tendenzen gewandt, die unter Hinweis auf die staatliche Neutralitätspflicht ein weitgehendes Hinausdrängen von religiösen Bezügen aus dem öffentlichen Raum fordern. Der Staat nehme vielmehr eine offene und die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermassen fördernde Haltung ein, gab der Jurist zu bedenken.
Es geht nicht nur um ein Stück Stoff
Es bleibe zu hoffen, so der Leiter des Instituts für Religionsfreiheit, dass die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem offenen gesellschaftlichen Umgang mit den Belangen von religiösen Minderheiten beitrage und nicht etwa Gegenreaktionen von solchen hervorrufe, die in egoistischer Weise nur ihr eigenes Leitbild verwirklicht sehen wollten. Es bleibe darüber hinaus zu hoffen, dass sich die Diskussion nicht nur auf ein Stück Stoff beschränke, sondern auch andere Belange ins Blickfeld gerieten. Als Beispiel nannte Harald Mueller die Situation von denjenigen, die aufgrund von religiös für sie verbindlichen Ruhetagen oder anderen Handlungsgeboten Schwierigkeiten in Ausbildung, Studium und Beruf hätten, wenn von ihnen Dinge erwartet würden, die sie aufgrund ihrer Gewissensbindung nicht leisten könnten.