Vor 25 Jahren, im ohnehin schon geschichtsträchtigen Jahr 1990, gründeten Theologen und Historiker verschiedener Freikirchen den Verein für Freikirchenforschung (VFF). Initiator war damals der inzwischen verstorbene Münsteraner Professor Dr. Robert C. Walton, der einen Kreis von Fachleuten und engagierten Mitgliedern von Freikirchen um sich sammelte, um den Verein ins Leben zu rufen.
Robert C. Walton (1932-2000), Professor für Kirchengeschichte der presbyterianischen Tradition, hatte die vernachlässigte Erforschung der Freikirchen in Deutschland als ein gesamtkirchliches Defizit erkannt. Der US-Amerikaner wirkte von 1978 bis zu seinem Ruhestand 1993 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 25 Jahre nach seiner Gründung zählt der Verein heute 180 Einzelmitglieder aus zwölf Ländern. Es sind Professoren verschiedener Fachrichtungen, Theologen, interessierte Laien, die teilweise in akademischen Bereichen engagiert sind. 21 kirchliche und wissenschaftliche Institute aus verschiedenen Ländern sind kooperative Mitglieder der freikirchlichen Forschungsvereinigung. Die Studiengemeinschaft hat durch ihre Mitglieder aus 27 Kirchen, Gemeindebünden und Gemeinschaften eine breite kirchliche Zusammensetzung.
Frühjahrs- und Herbsttagungen
Das Herzstück der Vereinsarbeit sind die beiden im Beirat vorbereiteten jährlichen Tagungen im Frühjahr und Herbst, so Professor Dr. Christoph Raedel, Giessen, der Vorsitzende des VFF. Zu einem Markenzeichen habe sich das Jahrbuch des Vereins entwickelt, das zunehmend eine breitere Wahrnehmung finde und von ehrenamtlich tätigen Mitarbeitenden erstellt werde. Seit 1990 haben fast fünfzig mehrtägige Symposien stattgefunden. In 24 Jahrbüchern ist eine Vielzahl von Vorträgen dokumentiert. Sie befassen sich mit Erfahrungen, Entwicklungen und Problemen in den verschiedenen Freikirchen. „Ganz unterschiedliche Impulse sind von dieser Arbeits- und Studiengemeinschaft ausgegangen“, informierte Raedel. Die Erforschung des sehr verschiedenen Freikirchentums im deutschsprachigen Europa sei deutlich gefördert worden. Völlig neu wäre, dass die Minderheitskirchen sich gemeinsam ganz unterschiedlichen Fragen gestellt hätten, auch wenn sie in den einzelnen Kirchen verschieden gewichtet würden. „Das beständig gewachsene Vertrauen zueinander hat eine ausserordentlich fruchtbare Arbeit ermöglicht“, betonte der Vorsitzende des VFF.
Freikirchenbibliothek des VFF
Professor Raedel weist auch auf die Fachbibliothek des Vereins hin, in der wichtige die Freikirchen betreffende Bücher und Zeitschriften gesammelt werden. Sie war etliche Jahre in privaten und kirchlichen Räumen untergebracht, was die wissenschaftliche Nutzung erschwerte. Da der Bestand einige Tausend Quellen aufwies, wurde eine professionelle Lösung gesucht. Ende März 2000 beschloss der Verein, die Bibliothek in der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg unterzubringen. Die dortige Hochschulbibliothek war damals bereits an den Deutschen Leihverkehr und auch an das Internet angebunden. Der Umzug erfolgte Anfang März 2002. Die Angestellten der Friedensauer Hochschulbibliothek sortierten die Bestände und erfassten die Daten, um sie für die Internetrecherche vorzubereiten. Auch buchtechnische Arbeiten übernahmen sie, um den wertvollen, zum Teil weltweit einmaligen Bestand, entsprechend zu schützen. Der überwiegende Teil der Medien ist inzwischen in einer „allegro“-Datenbank erfasst und kann in der Bibliothek und über das Internet recherchiert werden (http://www.thh-friedensau.de/bibliothek/katalog-der-freikirchenforschung).
„Ein weites Spektrum mit vielen ungeahnten Einsichten“
Durch die beiden jährlichen Symposien des VFF könnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie damit auch deren Kirchen Einsichten gewinnen, „für die es innerhalb Deutschlands kaum andere Möglichkeiten gibt“, betonte Karl Heinz Voigt, Bremen, Pastor im Ruhestand der evangelisch-methodistischen Kirche und Autor mehrerer konfessionskundlicher Werke. Die Frühjahrstagung 2014 in der Theologischen Fachhochschule Elstal des baptistischen Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Wustermark bei Berlin befasste sich beispielsweise mit „Friedenstheologie und Friedensengagement in den Freikirchen“. Das Thema sei durch Professor Fernando Enns, einem Mennoniten aus Amsterdam, entfaltet worden. Weitere Referate gab es von der Quäkerin Dr. Susanne Jalka aus Wien, der Majorin der Heilsarmee Christine Schollmeier, Hamburg, und dem Leiter des Referats Kriegsdienstverweigerung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland, Pastor Holger Teubert (Ostfildern bei Stuttgart). Es seien Denkanstösse gewesen, die selten in dieses Thema einfliessen würden. Ein früherer landeskirchlicher Bundeswehrpfarrer und ein Doktorand über Soldatenarbeit in den Freikirchen hätten zu teilweise völlig anderen Fragestellungen geführt. Das Gespräch über die Erfahrungen ehemaliger DDR-Bausoldaten habe Fragen aus der jüngsten Vergangenheit für die unmittelbare Zukunft gestellt. „Wo ist ausser im Rahmen der Freikirchenforschung ein Raum, der ein Thema in einem so weiten Horizont entwickeln kann?“, gab Voigt zu bedenken.
Ähnlich sei es auch mit dem Herbstthema 2014 „Die Freikirchen zwischen politischer Duldung und religiöser Freiheit“ gewesen. Landeskirchliche und freikirchliche Referenten hätten im Vorfeld des Reformationsgedenkens ihre Erfahrungen zum Thema eingebracht. Zuletzt ging es im März 2015 um „Kirchenwechsel – ein Tabuthema der Ökumene?“. Der verantwortliche VFF-Beirat wäre immer darum bemüht, Referenten aus sehr unterschiedlichem Hintergrund zu gewinnen: „Natürlich aus allen Freikirchen, teilweise auch international engagierte Spezialisten.“ Regelmässig stünden auch Lutheraner, Katholiken und Reformierte auf dem Programm. „Alle zusammen eröffnen ein weites Spektrum mit vielen ungeahnten Einsichten“, betonte Karl Heinz Voigt.
Herbsttagung 2015
Bei der Herbsttagung am 26. und 27. September 2015 in der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg werde nicht nur das 25-jährige Jubiläum des Vereins für Freikirchenforschung gefeiert, sondern auch „Bilanzen und Perspektiven der Freikirchenforschung“ gezogen, informierte Reimer Dietze, Erzhausen bei Frankfurt/Main, Geschäftsführer des VFF. Dabei gehe es um Themen, wie „Freikirchen in römisch-katholischer Sicht“, „Adventistische Geschichtsforschung“, „Pfingstkirchenforschung“, „Die Erforschung ‚neuer‘ Freikirchen“, „Methodistische Geschichtsforschung“ und „Perspektiven aus der Historiographie der Gemeinschaftsbewegung“. Weitere Informationen zum VFF im Internet unter http://www.freikirchenforschung.de/