In einer Feierstunde am 16. Oktober erhielten 44 Absolventen der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg/Deutschland die Urkunden über die ihnen verliehenen akademischen Grade. In seiner Festansprache betonte der frühere Direktor des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim und Lehrbeauftragter für Konfessionskunde an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, Dr. Walter Fleischmann-Bisten, dass zur Reformation auch die im 16. Jahrhundert aus ihrem „Linken Flügel“ hervorgegangenen Kirchen und Gemeinden gehörten.
Reformationsjubiläum international
Fleischmann-Bisten wies darauf hin, dass am 31. Oktober die letzte Etappe der seit 2008 mit jährlich wechselnden Themen präsenten Reformationsdekade startet. 499 Jahre nach der Abfassung und rasanten Verbreitung von Martin Luthers 95 Thesen gegen kirchliche Missstände steht nun ein Jahr lang das Thema „500 Jahre Reformation“ im kirchlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt. Dabei gehe es jedoch weder um ein Lutherjubiläum noch um ein ausschliesslich deutsches Datum. Auch in anderen europäischen Ländern und selbst in den USA sei eine Fülle von Veranstaltungen zur Reformation geplant.
Reformationsjubiläum auch Ärgernis
Auch die Katholiken sind in Deutschland ins Reformationsjubiläum mit einbezogen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK), betonten in einem „gemeinsamen Wort zum Jahr 2017“: „2017 werden wir erstmals in der Geschichte der getrennten Kirchen die Erinnerung an den 500. Jahrestag der Reformation auch in ökumenischer Gemeinschaft feiern.“ Was aber nicht gesagt worden sei, so Fleischmann-Bisten, der am Konfessionskundlichen Institut Bensheim auch der Freikirchenreferent war: Weder die zur Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) gehörenden und in Deutschland kleinen Kirchen mit reformatorischen Wurzeln sind in diesen Versöhnungsprozess einbezogen worden noch die weitaus grössere Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Für ihn ist das „ein ökumenisches Ärgernis, ein Skandalon“.
Auch Freikirchen sind Kinder der Reformation
Auch die evangelischen Freikirchen seien Kinder der Reformation, betonte Fleischmann-Bisten. Der Verein für Freikirchenforschung, dessen Bibliothek in Friedensau von der Hochschulbibliothek betreut wird, habe dies bereits 2010 durch zwei Symposien zur Wittenberger und der oberdeutsch-schweizerischen Reformation wissenschaftlich belegt. Auch die Friedensauer Hochschule habe sich während eines internationalen Kongresses von adventistischen Historikern und Theologen im Mai 2016 mit dem Thema „Auffassungen der Protestantischen Reformation bei den Siebenten-Tags-Adventisten“ befasst. Und die VEF betone: „Mit den Kirchen der Reformation verbindet uns die Gewissheit, dass der Mensch allein durch den Glauben Rettung erfährt. Dieses Heil ist unlösbar mit der Person Jesus Christus verbunden. Die Bibel ist für uns die alleinige Autorität und Richtschnur in allen Fragen des Glaubens und der Lehre, aber auch des Dienstes und des persönlichen Handelns.“ Daher wären die Freikirchen „legitime Erben der Reformation und eine eigenständige Ausprägung des evangelischen Christentums“.
Prägung der Adventisten durch Anliegen der Reformation
Dass auch die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten bis heute in besonderer Weise von Anliegen der Reformation geprägt sei, beleuchtete Walter Fleischmann-Bisten an den Themen Bildung und Schule sowie Religionsfreiheit. Aus der Grundüberzeugung des mündigen Christseins ergab sich ein Bildungsanspruch der Reformation: An jedem Ort sollte es Schulen geben, sodass in protestantischen Gebieten die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde. Das weltweite adventistische Schulangebot mit über 7.500 Bildungseinrichtungen stelle das „grösste protestantische Bildungswerk“ dar. Philipp Melanchthon wie auch der hessische Landgraf Philipp, beides grosse Bildungsreformer ihrer Zeit, hätten eine solche Entwicklung sehr unterstützt.
Beim Thema Religionsfreiheit verwies Fleischmann-Bisten auf den „linken Flügel“ der Reformation. Er habe die reformatorische Unterscheidung zwischen Kirche und Staat trotz schwerer Verfolgung aufgegriffen und schliesslich in der Neuen Welt vom Ende des 18. Jahrhunderts an durch Mennoniten, Baptisten und Quäker auch verfassungsmässig umgesetzt. Auch die Adventisten würden sich hierbei engagieren, wie das seit 1982 bestehende und heute an der Friedensauer Hochschule verankerte „Institut für Religionsfreiheit“ zeige.
Nach Ende des Reformationsjubiläums keinen Schlussstrich ziehen
Der Reichtum freikirchlicher Theologie und Frömmigkeit wie ihres sozialen Engagements sollte auch die anderen evangelischen Kirchen wie alle Kirchen neugierig machen, sich auf gemeinsame Projekte und gegenseitige Lernprozesse einzulassen. Da die Reformation immer neue Reformprozesse auslösen wollte, die sich stets an der biblischen Botschaft, ihren Kernanliegen und Konsequenzen orientieren müssten, dürfe mit dem Datum 31.Oktober 2017 kein Schlussstrich gezogen, sondern nach neuen Wegen der ökumenischen Zusammenarbeit gesucht werden, betonte Dr. Walter Fleischmann-Bisten.
Bachelor- und Mastergrade verliehen
Insgesamt wurden 44 Studierende aus 14 Ländern in den Bereichen Theologie und Sozialwesen mit einem Bachelor (B.A.) oder Master (M.A.) graduiert. Dr. Stefan Höschele, Dekan des Fachbereichs Theologie, übergab Urkunden an sieben B.A. und drei M.A. in Theologie sowie an zwei Master of Theological Studies (M.T.S.). Letztere stammen aus Bulgarien und Haiti. Professor Dr. Thomas Spiegler, Dekan des Fachbereichs Christliches Sozialwesen, übergab Diplome an neun B.A. in Soziale Arbeit und zwei B.A. in Gesundheits- und Pflegewissenschaften. M.A. erhielten fünf Graduierte in Counseling (Beratung), eine in Musiktherapie, einer in Sozial- und Gesundheitsmanagement sowie 14 in International Social Sciences. Von den letztgenannten Absolventen stammt nur einer aus Deutschland, die anderen kommen aus Äthiopien, Bolivien, Brasilien, Indonesien, der Republik Moldau, Myanmar (Birma), Nepal, Peru, Puerto Rico und Tansania.
DAAD-Preis ging an Absolventin aus Myanmar
Professor Spiegler, verlieh den diesjährigen Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an Phyu Phyu Cho. Sie stammt aus Myanmar (Birma) und ist Absolventin des Masterstudiengangs International Social Scienes (Internationale Sozialwissenschaften) an der Theologischen Hochschule Friedensau. Sie erhält diesen mit 1.000 Euro dotieren Preis für besondere akademische Leistungen und ihr interkulturelles Engagement.
Weitere Preisverleihungen
Heike Fischer vom „Förderverein Freundeskreis Friedensau“ verlieh die Herbert Blomstedt Preise. Gestiftet werden diese Preise von dem schwedischen Dirigenten. Den Preis in Musik für hervorragende künstlerische Arbeit teilten sich Sarah Remke und Lukas Rottmann. Den Preis für hervorragende Leistungen im Studium der Theologie erhielt Sully Sanon aus Haiti, Absolvent des M.T.S.-Studienganges. Beide Preise sind mit je 500 Euro dotiert. Ebenfalls ein Preisgeld von 500 Euro erhielt Claudia Knorr, Absolventin des Bachelor Soziale Arbeit. Sieglinde Wilke überreichte ihr die Urkunde des Förderpreises für besondere Leistungen im Fachbereich Christliches Sozialwesen der Sparkasse Jerichower Land.
Konzert zum Studienjahresbeginn
Bereits am Vortag wurden in Friedensau in einem Gottesdienst 32 neue Studierende willkommen geheissen. Ausserdem gab es am Abend das traditionelle Konzert zum Studienjahresbeginn der Theologischen Hochschule in der Kulturscheune in Friedensau. Eingeladen waren Judy Bailey und ihre Band. Bailey wurde in London geboren, ihre Vorfahren stammen von der Karibikinsel Barbados. Sie lebt in Deutschland, komponiert und interpretiert christliche Songs. Zudem engagiert sie sich für mehrere soziale Projekte.
Die 1899 gegründete Friedensauer Bildungsstätte ist seit 1990 eine staatlich anerkannte Theologische Hochschule. Zum Fachbereich Theologie gehören neun und zum Fachbereich Christliches Sozialwesen sieben wissenschaftliche Institute.