Mit einem grossen Festakt beim Zürcher Grossmünster startete heute in der Deutschschweiz das Jubiläum „500 Jahre Reformation“. Bundesrat Johann Schneider-Ammann und Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), die auch Co-Präsidenten des Patronatskomitees sind, hoben in ihren Eröffnungsreden die Bedeutung der Freiheit, wie sie in der Reformation angelegt ist, hervor. Am 6. und 7. Januar findet im Hauptbahnhof Zürich ein Jubiläumsanlass mit verschiedenen Veranstaltungen statt. Im Zentrum der Zürcher Feierlichkeiten steht die Frage, wie der reformatorische Freiheitsgedanke in die heutige Zeit übertragen werden kann.
Für Bundesrat Johann Schneider-Ammann befindet sich die Welt – wie zu Zeiten der Reformation – im Umbruch. Diesmal jedoch propagierten rückwärtsgewandte Kräfte Ideen und Überzeugungen, die sich mit den Werten der Reformation beissen würden: Technologie- und Wissenschaftspessimismus oder Antiliberalismus seien wieder en vogue. „Die erste Globalisierung und die Reformation haben uns viel gegeben, was unsere Zeit auf diesem Planeten lebenswerter und intensiver macht. Wir sollten uns hüten, unter dem Druck des heutigen Umbruchs und der Verunsicherung, die sie mit sich bringt, diese Errungenschaften des menschlichen Geistes einfach zu verschenken“, sagte Bundesrat Schneider-Amman in seiner Festrede.
„Wo der gloub ist, da ist fryheit“
Laut Gottfried Locher, Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), sei die Aussage, die der Reformator Huldrych Zwingli 1523 geschrieben habe ein reformatorischer Schlüsselsatz: „Wo der gloub ist, da ist fryheit.“ Das dazugehörige Schlüsselwort laute „Freiheit“, so Locher. Die Reformation sei die ersten Schritte in der Entwicklung zu einer modernen Gesellschaft gegangen. Die reformatorische Einsicht, dass vor Gott alle Menschen gleich seien, sei „Triebfeder für den globalen Siegeszug der Demokratie“ gewesen, sagte Locher.
Die Reformation forderte Menschenopfer auch in den eigenen Reihen: Täufer
Freiheit im 16. Jahrhundert sei aber nicht gleichzusetzen mit dem heutigen Freiheitsverständnis, denn die Reformation Zwinglis habe viele Menschenopfer auch in den „eigenen Reihen“ verursacht. Locher verwies auf das Schicksal der Täufer und dass der Täufer Felix Manz, ein Mitbegründer der Zürcher Täuferbewegung, auf den Tag vor 490 Jahren, am 5. Januar 1527 in der Limmat ertränkt worden war. „Wir können heute nicht feiern, ohne auch an diese Tatsache zu erinnern und ihr zu gedenken“, sagte Locher.
Freiheit sei weder damals noch heute eine Selbstverständlichkeit gewesen. In der heutigen Gesellschaft sei sie bedroht von Extremismus und religiöser Intoleranz, so der SEK-Präsident. „Auch bei uns wirken Kräfte, die Freiheit und Eigenverantwortung demontieren wollen. Dagegen gilt es einzustehen, in Staat und Kirche, im Handeln und im Glauben – zum Wohl aller Menschen in unserem Land“, so Locher.
Gottesfürchtig sein, heisst gerecht sein gegenüber den Armen
Auf die soziale Dimension der Reformation konzentrierte sich Stadtpräsidentin Corine Mauch. Mit der Aufhebung der katholischen Klöster, welche sich um die Armenpflege gekümmert hätten, sei das moderne Sozialwesen entstanden. „Oder um es in der Gedankenwelt der Reformation zu formulieren: Gottesfürchtig und christlich handeln, das heisst immer auch gerecht sein gegenüber den Armen.“
Auch Regierungsrätin Jacqueline Fehr würdigte die Rolle der Reformation: „Ich bin Zwingli und den Reformatoren dankbar für Gedanken, mit denen sie unsere Gesellschaft gerechter und demokratischer gemacht haben.“ Diese überragende Bedeutung der Reformation für den ganzen Kanton Zürich sei auch der Grund, warum Regierungsrat und Kantonsrat entschieden hätten, das Jubiläum nicht nur kirchlich, sondern auch von staatlicher Seite zu würdigen und finanziell zu unterstützen. „Das Jubiläum der Reformation schafft zudem eine wichtige Plattform für die Diskussion über das heutige Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften“, sagte Jacqueline Fehr.
Reformationstruck im Hauptbahnhof Zürich
Für den Zürcher Kirchenratspräsidenten Michel Müller ist Tradition nicht Verharren in der Vergangenheit, sondern Kraftquelle für Innovation. „Neben den Fragen wer wir sind und worauf wir gründen, müssen wir uns stets fragen, wer wir in Zukunft sein wollen.“ Aus diesem Grund suche die Reformierte Kirche Zürich am 6. und 7. Januar mit der Bevölkerung den Dialog. Der „Reformationstruck“, ein Sattelschlepper mit einer Ausstellung, macht auf seinem Weg durch 19 Länder und 67 Städte Europas in der Halle des Hauptbahnhofs Zürich halt, wo man die Ausstellung besuchen kann.