Unter dem Titel „500 Jahre Reformation – was nun?“ trafen sich am 11. und 12. März die Siebenten-Tags-Adventisten der Deutschschweiz zur 115. Jahreskonferenz im Kongresshaus Zürich. Am 12. März wurde Pastor Stephan Sigg von knapp 150 Delegierten für die nächsten vier Jahre zum neuen Kirchenleiter der rund 2.500 Adventisten in der Deutschschweiz gewählt.
Der Gottesdienst an der Jahreskonferenz am Samstagmorgen stellt den geistlichen Höhepunkt im Kirchenleben der Adventisten in der Deutschschweiz dar. Nach einem Anbetungsteil mit Liedern, den zwei Jugendliche moderierten, wurden zwei Personen zur Bedeutung der Bibel in ihrem Leben, dem ersten reformatorischen Prinzip „Sola Scriptura“ / Nur die Schrift (Bibel), interviewt.
„Nur Jesus“ - Beziehung verändert nachhaltiger als Lehre
Pastor Winfried Vogel (62), Theologischer Berater, Redaktor und Moderator beim adventistischen Fernsehsender „Hope Channel“, Alsbach/Deutschland sprach in der Predigt zum reformatorischen Prinzip „’Solus Christus’ / Nur Jesus“.
„Warum sind wir heute hier“, fragte Vogel, wenn nicht ausschliesslich wegen Jesus? Jesus führe aus den Sackgassen des Lebens, löse die Schuldfrage und gebe Hoffnung. Christen bildeten eine Schicksalsgemeinschaft von Begnadeten. Zu Jesus könne man mit Enttäuschungen und Verletzungen kommen, so Pastor Vogel.
Die eigentliche Reformation habe im Herzen Luthers stattgefunden, als er, laut neusten Forschungsergebnissen, Monate nach dem Thesenanschlag (1517) das sogenannte „Turmerlebnis“ (1518) gehabt habe. Durch diese erkenntnismässige Begegnung mit Jesus habe Luther dessen Einzigartigkeit und Zuwendung zum Menschen erkannt. Er habe Zuversicht gewonnen und es sei ihm aufgegangen, wie Gott wirklich sei. Darum gehe es überhaupt im Christsein: Jesus persönlich zu kennen und eine Beziehung mit ihm zu leben, sagte Winfried Vogel. „Nur Jesus“ sei keine unzulässige Reduktion, wie dies manchmal in adventistischen Kreisen beargwöhnt werde. „In der Bibel ist Jesus und sonst nichts“, sagte Pastor Vogel. Wer Jesus habe, habe alles. Und um Jesus Christus gehe es im Christsein sowie um die Begegnung mit ihm.
Zu einer Jesusbegegnung könne es kommen, wenn sich Menschen, wie damals der Zolleinnehmer Zachäus in Jericho, verletzlich machten und Jesus sehen wollten „wer er wäre “. Diese Sehnsucht nach Verletzlichkeit treibe jeden Menschen um, denn es sei letztlich die Sehnsucht nach Heimat und Zuhause. Christen könnten anderen Menschen eine Hilfe sein, Jesus zu sehen, wie er sei, indem sie nicht über die Kirche reden, sondern über Jesus, so Winfried Vogel, denn im Christsein gehe es zentral, eigentlich und nur um Jesus Christus. Jesus wünsche, bei jedem Menschen in dessen innerstem Raum Zuhause zu sein. Diese Gegenwart Jesu verändere alles im Leben jener Menschen, die ihn dort hinein liessen, wo sie sonst niemandem Zutritt gewährten.
Nur Gnade - „Keine Einladung zu einer Zitterpartie“
Am Nachmittag beschäftigte sich Pastor Matthias Müller (64), Abteilungsleiter Kommunikation und Gemeindeaufbau der adventistischen Hansa-Kirchenleitung in Hamburg/Deutschland mit einem weiteren reformatorischen Prinzip: „’Sola Gratia’ / Nur Gnade“. Seine Ausführungen kontrastierten theologische Überzeugungen, die bei adventistischen Gläubigen teilweise präsent sind.
In den ersten 40 Jahren des Bestehens der adventistischen Kirche in den USA habe es kaum Aussagen gegeben, die das lutherische Erlösungsverständnis „allein aus Gnade“ thematisiert hätten, so Pastor Müller. Eine Ausnahme sei die Mitbegründerin der Kirche gewesen, Ellen G. White. Erst an der Generalkonferenz 1888 in Minneapolis, Minnesota, hätten zwei junge adventistische Pastoren das lutherische Verständnis der Erlösung thematisiert, wonach der Mensch nicht durch gute Taten oder Leistung, sondern allein aus Gnade gerettet werde. Wenn der Mensch etwas leisten müsste, um von Gott angenommen zu sein, könne man nie wissen, wann genug getan sei. „Wenn wir Menschen zum Glauben an Christus einladen, laden wir sie nicht zu einer Zitterpartie ein“, sagte Matthias Müller.
Beim biblischen Sündenverständnis gehe es nicht nur um einzelne Sünden, also sündige Taten, sondern primär um einen Zustand in der Sünde. (Trennung und Entfremdung von Gott). Dieser Zustand könne nicht durch gute Taten überwunden werden, so Müller. Fliegen, die unter einer Käseglocke lebten, könnten auch mit viel Anstrengung dennoch nicht aus der Käseglocke entliehen. Es brauche dafür einen Eingriff von aussen. Müller führte zum lutherischen Rechtfertigungsverständnis aus, das von den Adventisten geteilt wird, dass dieser Eingriff von aussen dem unverdienten Gerechtsprechen (Rechtfertigung) des Menschen durch Gott entspreche: Gnade.
Die Rolle guter Taten im Christsein charakterisierte Matthias Müller durch das Bild eines Apfelbaums, der Äpfel trage, weil er ein Apfelbaum sei und nicht, um ein Apfelbaum zu werden.
Die Heiligung sei wie die Rechtfertigung ebenso eine Sache eines Augenblicks und unverdiente Gnade. Im Neuen Testament bezeichne der Apostel Paulus christliche Gemeindeglieder als Heilige und damit als Menschen, die sich für Gott entschieden haben. „Heilige sind geheiligt“, so Müller. Wachstum sei der passende Ausdruck für den Lebensprozess, bei dem der Christ Gott immer näherkomme und ihm ähnlicher werde.
Der Nachmittag fand einen Abschluss mit Ausführungen von Winfried Vogel zu Reformationsliedern, unter dem Titel „Soli Deo Gloria“. Die Lieder wurden durch Einzelpersonen beziehungsweise die Gemeinde gesungen oder mit Instrumenten gespielt.
Am Abend gab die Adventjugend mit einem interaktiven Programm, das in verschiedenen Räumen des Kongresshauses durchgeführt wurde, Einblicke in die Pfadfinderarbeit der Adventwacht (ADWA).
Wahl des neuen Kirchenleiters
Am 12. März wurde der neue Kirchenleiter der Adventisten in der Deutschschweiz gewählt, Pastor Stephan Sigg. Mehr dazu: http://www.stanet.ch/apd/news/5105.html
Workshops zur Reformation
Die beiden Gastreferenten führten am 12. März im Kongresshaus Workshops zu folgenden Themen durch: „Mehr Luther, weniger Calvin“ oder „Mehr Glaube, weniger Religion“ – Winfried Vogel. Matthias Müller sprach über den Umbruch durch die Reformation bezüglich Medien und Bibel.
Reformationstour in Zürich
Am Sonntag wurden am Morgen sowie am Nachmittag je eine zweistündige Reformationstour durch Zürich angeboten. Zu Fuss wurden historische Orte der Reformation erkundet.