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"Und jetzt? Ökumene nach dem Reformationsjubiläum" (Teil 1 & 2)

| 18.02.2019 | APD | Buchrezensionen

"Und jetzt? Ökumene nach dem Reformationsjubiläum", Claudia Keller, Stefan Orth (Hg.), HERDER KORRESPONDENZ Edition, Verlag Herder, Freiburg – Basel – Wien; 123 Seiten, CHF 21.50, EUR 15.00; ISBN 978-3-451-02735-2; Zu beziehen über den Buchhandel.

Teil 1: Huber, Junge und Kardinal Walter Kasper

Im Jubiläumsjahr der Reformation 2017 gab es bemerkenswerte ökumenische Akzente und deutliche Zeichen der Annäherung zwischen Protestanten und Katholiken. So viel wertgeschätzt wurde noch nie, auch noch nie so viel ehrliche Reue und Busse gezeigt angesichts der Gewalt und der Verletzungen, die man einander in der Vergangenheit zugefügt hat, so betonen die Herausgeber im Vorwort. Die Publizisten Claudia Keller und Stefan Orth fragten katholische und evangelische Theologen, welche Schritte zu mehr "sichtbarer Einheit" die Kirchen jetzt gehen sollten und haben dazu Antworten bekommen.

Zu den ausgewählten Autoren zählen Wolfgang Huber, Martin Junge, Kardinal Walter Kasper, Peter Knauer SJ, Ulrich H.J. Körtner, Dorothea Sattler, Thomas Söding und Kardinal Rainer Maria Woelki.

Der frühere EKD-Ratsvorsitzende und Bischof Wolfgang Huber plädiert in seinem Beitrag "Reformation und Katholizität – In der Verschiedenheit zusammengehören" für ein neues Verständnis von Katholizität und "katholisch" in der evangelischen Kirche. "Wenn das Wort 'katholisch' einen verständlichen Sinn haben soll, dann taugt es überhaupt nicht als Konfessionsbezeichnung. Denn 'katholisch' bedeutet 'allumfassend' und zielt weiter, nicht nur auf alle Christen, sondern auf alle Menschen." Katholisch sei ein Verheissungswort, nicht eine Konfessionsbezeichnung. Eigentlich müssten, so Huber, gerade Evangelische Sinn dafür haben, dass Katholizität die Vielfalt in der Einheit bedeutet. Eine Gemeinschaft der Kirchen in der Vielfalt dürfe nicht als Bedrohung, sondern als Reichtum verstanden werden. Huber schliesst seinen Beitrag mit der Zuversicht: "Wenn wir uns um Jesus Christus versammeln und an sein Wort halten, brauchen wir vor der Vielfalt keine Angst zu haben. Wenn diese Angst vergeht, erkennen wir, dass wir in unserer Verschiedenheit zusammengehören. Dann sind wir alle – in unserer bleibenden Verschiedenheit – evangelisch und katholisch zugleich."

Mit "Schritte vom Konflikt zur Gemeinschaft – Wie sich Freiräume in der internationalen lutherisch-katholischen Verständigung eröffnen" beschäftigt sich Martin Junge, Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB). Der Autor geht ausführlich auf die verschiedenen Wege der Umsetzung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" von Lutheranern und Katholiken ein, der inzwischen auch Methodisten, Anglikaner und Reformierte beigetreten sind. Auch das gemeinsame Reformationsgedenken am 31. Oktober 2016 in Lund und Malmö wird bewertet, an dem Papst Franziskus und die Spitzen des LWB teilgenommen haben. Mit dem Hinweis auf die nächste Phase im lutherisch-katholischen Dialog über den Themenkomplex über die offenen Fragen "Amt, Kirche und Eucharistie" blickt Junge – vor dem Hintergrund einer erstaunlichen ökumenischen Dynamik - mit grosser Hoffnung in die Zukunft.

Auf eine bedeutsame Wende der katholischen Lutherforschung des 20. Jahrhunderts, die zur Anerkennung des religiösen Anliegens Luthers führte, weist Kardinal Walter Kasper, früherer Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, hin. Sein Beitrag "Ökumene ist ein Lernprozess – Das Erbe Martin Luthers neu entdecken" befasst sich mit folgenden Unterthemen: "Luther als Reformkatholik", "Von der Reform zur Reformation", "Martin Luther in ökumenischer Perspektive", "Wo stehen wir in der Ökumene?" und "Blick nach vorne". Nach Meinung Kaspers gibt es heute in der wissenschaftlichen historischen Bewertung Luthers und der Reformation kaum mehr konfessionelle Unterschiede. Luthers 95. Ablassthesen von 1517 seien kein revolutionäres Dokument, so Kasper, sondern ein "Dokument der Reform, aber nicht der Reformation."
Luther ging es nicht um eine neue separate Reformkirche. Er wollte die Erneuerung der ganzen Christenheit. Der junge Luther war sozusagen ein Reform-Katholik. Heute würde man von neuer Evangelisierung sprechen.

Luthers ökumenischer "Stellenwert" für die heutigen Katholiken umreisst der Kardinal wie folgt: "Luther ist für uns ein Zeuge des gemeinsamen Glaubens an Jesus Christus. Er ist ein Bruder in Christus und als solcher ein mutiger und dazuhin wort-gewaltiger Zeuge Jesu Christi." (Zitat aus einem lutherisch-/katholischen Kommissionsdokument von 1983).
Gleichzeitig hat die katholische Kirche dankbar von Luther die Wertschätzung des Wortes Gottes und der Heiligen Schrift gelernt. In Sachen Ökumene stünden Katholiken und Lutheraner – und in erweitertem Sinne auch die Evangelischen – heute vor folgenden Fragen: Was verstehen wir unter Kirche, was unter Kircheneinheit, und welche Kircheneinheit wollen wir? Das katholische Modell der Kircheneinheit bestehe aus einer Einheit in Wort und Sakrament und dem diesen zugeordneten Amt, besonders das für die Einheit konstitutive Bischofsamt wie das Petrusamt (->Papsttum). Hier fehlt bis heute eine Komptabilität mit dem evangelischen Modell (-> Leuenberger Konkordie, 1973).

Ein Rückzug auf den Konfessionalismus – so Kasper im "Blick nach vorne" – wäre eine Katastrophe! Die Kirchen können es sich gar nicht mehr leisten, gegen- oder auch selbstgenügsam nebeneinander zu stehen; sie müssen miteinander leben und aufeinander zugehen. Zwar habe das Zweite Vatikanum diesen unumkehrbaren Weg eingeschlagen, doch ist die Verwirklichung auch nach mehr als 50 Jahren nicht abgeschlossen.

Der Kardinal fordert auch Lutheraner müssen sich auf den Weg machen. Die Rezeptionsgeschichte Luthers sei noch nicht zu Ende. "Es gibt eine evangelische Luthervergessenheit, Lutherfremdheit und einseitig-konfessionalistische Lutherinterpretation. Luther wollte keine separate Kirche, sondern eine gesamtkirchliche Erneuerung im Licht des Evangeliums. Und der Autor kommt zur nüchternen Erkenntnis: "Wir können die Ökumene nicht 'machen', nicht organisieren oder forcieren. Wir müssen tun, was wir können; aber am Ende ist die Einheit ein Geschenk des Heiligen Geistes."


Teil 2: Knauer, Körtner, Kardinal Rainer Maria Woelki, Sattler, Söding

Mit dem "Balken im katholischen Auge" befasst sich Peter Knauer, emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, einer privaten – von Jesuiten getragenen – Hochschuleinrichtung. Er hält im Untertitel seines Beitrags fest: "Der christliche Glaube setzt sich nicht additiv zusammen". Auch Knauer geht wie Wolfgang Huber auf den Begriff "katholisch" und ergänzend dazu "ökumenisch" ein. Semantisch haben beide Wörter die gleiche Bedeutung: "den ganzen Erdkreis" beziehungsweise "den bewohnten Erdkreis" angehend. Eine Kirche – so Knauer – ist aber nur dann "katholisch", wenn sie die christliche Botschaft allgemein-verständlich verkündet. Dies ist ein sehr anspruchsvolles Kriterium; zu seiner Erfüllung genügt es nicht, sich "katholisch" zu nennen. "Katholische" Kirche müsste eine Kirche sein, die sich am meisten um die Verständigung und Einheit überhaupt aller Christen bemüht, ja sich als "Sakrament, das heisst Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" erweist (Kirchenkonstitution des II. Vatikanums "Lumen Gentium", Nr. 1). Knauer verweist auf den Bibeltext in Lukas 6, 41-42 als Hilfe zur Verständigung im Glauben (Vergleich Splitter/Balken im Auge) und frägt, gibt es vielleicht einen solchen Balken im römisch-katholischen Auge. Was die ökumenische Verständigung anbelangt, könnte der Balken im katholischen Auge darin bestehen, dass der christliche Glaube additiv zusammengesetzt sei. Der Theologe folgert: Denn nur dann hat man den fragwürdigen "Vorteil", jederzeit sagen zu können, dass bei anderen zum vollständigen Glauben noch etwas fehle. Bezeichnend für ein ausdrückliches additives Denken in der römisch-katholischen Kirche sei beispielsweise die Formulierung des sogenannten Amtseides, wo zusätzlich zum Grossen Glaubensbekenntnis weitere Gehorsamsverpflichtungen verlangt werden.

Im Weiteren äussert sich Knauer zum heutigen Amtsverständnis der Kirche und geht der Frage nach, ob die ganze Fülle der Heilsmittel nur in der katholischen Kirche zu finden sei. Über mehrere Seiten untersucht er ferner Inhalte des Glaubensbekenntnisses unter Hinweis auf "Lumen Gentium" und beklagt, dass "weitere Texte des Zweiten Vatikanums", deren logische Implikationen "auch nach mehr als 50 Jahren immer noch nicht genügend gesehen zu werden scheinen." Zur Kommuniongemeinschaft der Glaubenden untereinander zieht der Jesuit die Schlussfolgerung: So ist für mich nur schwer nachzuvollziehen, mit welchem Recht man anderen Christen, die wirklich an Jesus Christus als den Sohn Gottes glauben, den Empfang des Leibes Christi in unserer Kirche weiterhin verweigern zu müssen meint. Kann eine Kirche sich wirklich als Zeichen der Einheit der ganzen Menschheit erweisen, solange sie Menschen ausgrenzt, obwohl sie an Christus als den Sohn Gottes glauben und damit in Wirklichkeit den ganzen Glauben haben? Es gibt keinen nur halben Glauben.

Der reformierte Theologe Ulrich H.J. Körtner plädiert in seinen Ausführungen für "Klarheit, Redlichkeit und Nüchternheit" und fordert "die reformatorische Theologie darf nicht weichgespült werden." Er geht kritisch auf die Studie "Vom Konflikt zur Gemeinschaft" ein, die 1973 vom Lutherischen Weltbund und der römischen Kirche vorgelegt wurde. In dieser Studie verschwinde – so Körtner - das Proprium der Reformation im Nebel einer ökumenischen Theologie, welche das Ziel einer sichtbaren Einheit der Kirchen vor die Suche nach theologischer Wahrheit stellt. Dies sei besorgniserregend. Man frage sich auch sonst, was eigentlich vom reformatorischen Erbe der evangelischen Kirche geblieben ist.

Zur "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (GER) von Lutheranern und Katholiken von 1977, der später auch Methodisten, Anglikaner und Reformierte beigetreten sind, formuliert der reformierte Theologe deutliche Kritik. Weil das evangelische Kirchenverständnis mit dem römisch-katholischen bis heute nicht vereinbar ist, nimmt es nicht wunder, dass die GER ekklesiologisch – also in der dogmatischen Lehre von der Kirche – und kirchenpolitisch folgenlos geblieben ist. Körnter wörtlich: "Dass nun die von Kurienkardinal Koch und Vertretern des Luthertums die Idee einer Gemeinsamen Erklärung zum Kirchenverständnis, Amt und Eucharistie aufgebracht worden ist, stimmt angesichts dieses Befundes keineswegs optimistisch, sondern lässt eher befürchten, dass ein orientierungsloses Luthertum weiter ins Schlingern gerät."

In Bezug auf den Höhepunkt des Reformationsgedenken am 31. Oktober 2016 mit Papst Franziskus in Lund (Schweden) schreibt Körtner: "Dass der Papst diesen Gottesdienst mitgefeiert hat, soll man nicht geringschätzen, wenn man in Rechnung stellt, dass schon diese symbolische Geste an die Schmerzgrenze der Hardliner im Vatikan gegangen sein dürfte. Doch in substanzieller Hinsicht hat der Papstbesuch in Lund keinen Fortschritt für die Ökumene gebracht. Franziskus zeigte sich einmal mehr als Meister der Symbole und Gesten. Aber echte Geschenke hatte er nicht im Gepäck. Von der Anerkennung der Lutheraner als Kirche im Vollsinn des Wortes ist man unverändert weit entfernt, von der Anerkennung der anderen aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen ganz zu schweigen."

Auf mehreren Seiten befasst sich Körtner ferner mit dem sogenannten Hildesheimer Buss- und Versöhnungsritual im März 2017, dem er "ernste theologische Mängel" vorwirft. Das Dokument "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen", welches von der Evangelischen Kirche (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) 2016 aus der Taufe gehoben wurde, schaffe keine Klarheit, "weil es einerseits die entstandenen Konfessionskirchen als komplementäre und somit gleichermassen legitime Gestalten des Christentums interpretiert, andererseits aber die verlorene und neu zu suchende 'sichtbare Einheit' der Kirche im Singular beschwört."

Zur Frage "Gemeinsames Abendmahl?" weist Körtner darauf hin, dass sich viele katholische und evangelische Christen schon längst nicht mehr um theologische Lehrsätze und Verbote scheren. "Sie gehen nicht nur gemeinsam zum evangelischen Abendmahl, zu dem alle Getauften seit Jahrzehnten offiziell zugelassen sind, sondern auch zur katholischen Eucharistie, und viele katholische Priester billigen dies, ohne genauer nachzufragen." Katholische Theologen sehen als ein entscheidendes Kriterium für die Zulassung von Nichtkatholiken zur katholischen Eucharistiefeier darin, ob sie über das gemeinsame Glaubensbekenntnis hinaus auch das eucharistische Hochgebet innerlich mitbeten können. Mit den Worten des Hochgebetes – so präzisiert der reformierte Professor – bekennt man sich zur Verehrung Marias als allzeit jungfräulicher Gottesmutter und aller Apostel, Märtyrer und Heiligen, um deren himmlische Fürsprache Gott gebeten wird. Gleichzeitig feiere man die Eucharistie auch "mit dem Bischof von Rom, der als "unser Papst' bezeichnet wird. Wenn man das katholische Hochgebet als gut evangelisch verkaufen wollte, so sei dies – um mit dem katholischen Kardinal Woelki zu sprechen -, ein glatter Etikettenschwindel.

Im letzten Abschnitt widmet sich Körtner den ethischen Differenzen in der Ökumene und schlussfolgert: "Zu einer ehrlichen Bilanz der gegenwärtigen ökumenischen Beziehungen gehört das Eingeständnis, dass in moral- und sozialethischen Fragen zwischen den Kirchen ein zunehmender Dissens besteht." Die gängige Behauptung eines differenzierten Konsenses in der Ethik halte der ökumenischen Realität nicht stand.

Der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki skizziert unter dem Titel "Mehr Ehrlichkeit in der Ökumene" das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern im Reformationsjahr. Woelki plädiert für eine ehrliche Bilanz und das freimütige Benennen von Anfragen und Sorgen. Wie schon der reformierte Theologe Ulrich H.J. Körtner beklagt Woelki "einen zunehmenden Dissens in moral- und sozialethischen Fragen", unter Anführung einiger Beispiele. Für den Kardinal muss die Einheit des Bekenntnisses Voraussetzung sein. Die Kirche kann daher ihre Einheit nicht auf einer unsichtbaren oder eschatologischen Ebene ansiedeln.

Der Hauptteil seiner Darlegungen befasst sich mit dem sensiblen Thema "eucharistische Gastfreundschaft", das von manchen Unterstellungen und vielen Vorurteilen belastet sei. Dabei erläutert er das – unabänderliche - römisch-katholische Eucharistieverständnis und bezieht sich auch auf die anderen Sakramente (Taufe, Firmung, Ordo). Woelki stellt klar: "Wer auf Grund seiner Konfessionsverschiedenheit nicht zum Empfang der Eucharistie zugelassen ist, kann trotzdem tiefer mit Christus verbunden sein als ein Katholik, der täglich die Eucharistie empfangt. Der Grad der sakramentalen Kongruenz mit dem Bekenntnis der eigenen Kirche entscheidet nicht über den Grad der Christusverbundenheit." Die Mission der Kirche aber sei es, darauf zu achten, dass ihre Mitglieder nicht öffentlich das Gegenteil von dem leben, was die Kirche als verbindliches Bekenntnis oder verbindliche Lebensregel verkündet. Und jetzt? Für den Kölner Erzbischof liegt der Schlüssel zur Einheit in der Bekehrung zu Christus, in der täglichen Kommunikation mit ihm.

In einer Replik auf Kardinal Rainer Maria Woelki’s Beitrag "Mehr Ehrlichkeit in der Ökumene", der bereits in der HERDER KORRESPONDENZ im Oktober 2017 (S. 13-16) erschien und in diesem Buch ("Und jetzt? Ökumene nach dem Reformationsjubiläum") nachgedruckt wurde, geht die katholische Theologin Dorothea Sattler nur zögerlich auf die Grundintention Woelkis ein. Sattler wörtlich zu Woelkis Sicht der Reformation: "So einfach darf man die Schuldgeschichte der Spaltungen nicht in eine Wirkungsgeschichte der Gnade umschreiben." Weiter rätselt die Theologin darüber, welches Einheitsmodell Woelki für theologisch begründet erachtet, denn er schliesst eine eschatologische Lösung der ökumenischen Frage aus und votiert für die Suche nach der vollen sichtbaren Einheit der Kirche bereits in irdischer Zeit. In einem längeren Abschnitt setzt sich Professor Sattler mit der hohen Zahl an Fehlern auseinander, die in Woelkis Darstellung aufscheinen und bezeichnet 2017 als "ein sehr gutes Jahr für die Ökumene". Dorothea Sattler stellt in Sachen ökumenischem Gesamtüberblick klar: "Keine Einzelpersönlichkeit kann in der weltweiten Ökumene heute im Gesamt wahrnehmen, welche Annäherungen zwischen den Konfessionen inzwischen erreicht worden sind." Die weltweit vielfältigen ökumenischen Bemühungen bedürfen einer neuen Anstrengung zur Koordination. Und jetzt? Sattler zieht - unter Bezug auf Jesu Mahnung zur Einheit in seiner Nachfolge (Johannes 17,21) – das Fazit: "Die Kirchen sind alternativlos auf einem nicht selbst gewählten, vielmehr von Gott gewünschten Weg zur vollen sichtbaren Einheit."

Für den katholischen Theologen Thomas Söding ist die Klärung ökumenischer Zielvorstellungen ein Schlüssel dafür, die Glaubwürdigkeitskrise zu überwinden, die durch die Kirchenspaltung verursacht ist. In seinem Beitrag "Mehr Ehrgeiz" illustriert er unter anderem die katholische Weite und Enge im Verhältnis zu den anderen Kirchen. So macht es den Anschein, als sei die katholische Kirche an keiner anderen Stelle dogmatisch so streng wie im Verhältnis zum Protestantismus. Im Verhältnis zu anderen Konfessionen sei die katholische Kirche weit offener. So werden die Orthodoxen selbstverständlich als Kirche anerkannt, auch wenn sie den Papst nicht als ihr Oberhaupt sehen.

In weiteren Kapiteln wie "Theologische Charakteristik – und Profilneurose", "Ökumenischer Reichtum – und Auftrag", Missionarischer Aufbruch – und Dialog", "Kirchliche Gemeinschaft - und Reform", "Konfessionelle Vielfalt – und Sichtbarkeit" sowie "Christliche Mission – und Demut" analysiert Söding die katholischen und evangelischen Positionen, weist auf die jeweils eigenen Identitäten und Traditionen sowie auf Verletzungen und Verwundungen hin. Und jetzt? Da kommt auch noch der Papst ins Spiel: "Solange es aber an einer Klärung in der Amtstheologie fehlt, muss der Bischof von Rom stellvertretend für alle Christusgläubigen die Stimme erheben – und es so tun, dass nicht die Spezialinteressen der katholischen Kirche verfolgt, sondern die Beiträge der Christenheit zur Humanisierung der Welt gebündelt und verstärkt werden." Auch Thomas Söding bezieht sich im Schlusswort auf ein Zitat von Jesus von Nazareth (Johannes 10,9: Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden…) und schreibt: "Diese Verheissung zu konkretisieren, ist Weg und Ziel der Ökumene."

Nach so viel Zielvorstellungen der Einheit der Kirchen bleibt die Frage weiterhin offen: Können sich Katholiken und Protestanten überhaupt (einmal) einigen? Ein Weiterdenken ist auch nach dem Reformationsjubiläum angesagt. Mit Thomas Södings‘ Worten wünscht man sich dabei mehr "souveräne Gelassenheit!"

Das kleine Buch richtet sich an jeden an der Ökumene interessierten Christenmenschen.

Christian B. Schäffler, CBS KULTUR INFO, Basel

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