Die teilkontinentale Kirchenleitung adventistischer Christen in West- und Südeuropa (Intereuropäische Division EUD) verabschiedete eine Erklärung, in der «alle Formen körperlichen, sexuellen und emotionalen Missbrauchs und Gewalt in der Familie verurteilt» werden. Jeder nationalen Kirchenleitung wird empfohlen, eine «ständige Arbeitsgruppe für häusliche Gewalt einzurichten, die sich aus mindestens drei Mitgliedern zusammensetzt» und in der Männer, Frauen sowie Experten (Sozialarbeiter, Rechtsanwälte) vertreten sein sollen. Der Beschluss wurde bereits am 3. Mai vom EUD-Exekutivausschuss, dem obersten Leitungsgremium der Intereuropäischen Division EUD, gefasst und auf dessen Halbjahressitzung am 24. Mai veröffentlicht.
Zunahme der Missbrauchsfälle
Damit reagiert die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten auf eine Entwicklung, die sich während der Coronavirus-Pandemie noch verstärkt hat, wie auf der gestrigen Bundespressekonferenz in Berlin zur Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik in Deutschland 2020 deutlich wurde. Demnach stieg die Zahl der Misshandlung Schutzbefohlener um 10 Prozent auf 4.918 Fälle, Kindesmissbrauch stieg um 6,8 Prozent auf über 14.500 Fälle. Um mehr als 50 Prozent wuchs die Zahl erfasster Fälle von Kinderpornografie auf 18.761 Fälle. 152 Kinder kamen gewaltsam zu Tode. Dabei gebe es eine hohe Dunkelziffer, so Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes. Der EUD-Exekutivausschusses setzte die besorgniserregende Zunahme häuslicher Gewalt bei seiner Sitzung im November 2020 auf die Tagesordnung und wählte eine Kommission, die das Thema untersuchen sollte. Diese Kommission erarbeitete das folgende Votum:
Resolution der Kirchenleitung
„In Anbetracht der offiziellen Erklärung der Generalkonferenz [Weltkirchenleitung] zu Missbrauch und Gewalt in der Familie (1995/2020) bekräftigen wir Siebenten-Tags-Adventisten die Würde und den Wert eines jeden Menschen und verurteilen alle Formen körperlichen, sexuellen und emotionalen Missbrauchs und Gewalt in der Familie. Im Bewusstsein, dass Missbrauch in jeder Form des Verhaltens die Würde und den Respekt eines Menschen, ob jung oder alt, verletzt und das Opfer beschämt;
in der Einsicht, dass die traurige Realität von Missbrauch und häuslicher Gewalt auch in unserer Kirche präsent ist und wir aufgerufen sind, a) das Bewusstsein durch Aufklärung und Information zu schärfen; b) die Opfer zu schützen und ihnen zu helfen und auch die Täter zu begleiten; ferner sichere Gemeinden und geschützte Orte zu schaffen, die als Zuflucht dienen können sowie Fürsprache und Interessenvertretung für die Opfer zu fördern;
in der Feststellung, dass es auf den verschiedenen Ebenen der kirchlichen Organisation kein spezifisches Gremium gibt, das sich mit häuslicher Gewalt befasst, und dass sich in der Regel entweder der zuständige Pastor oder die Gremien der verschiedenen Ebenen der kirchlichen Organisation darum kümmern;
wird beantragt, jeder nationalen Kirchenleitung (Verband) zu empfehlen, so bald wie möglich, spätestens bis zum 31. Dezember 2022, eine ständige Arbeitsgruppe für häusliche Gewalt einzurichten, die sich aus mindestens drei Mitgliedern zusammensetzt. Darin sollen Männer und Frauen sowie Experten (Sozialarbeiter, Rechtsanwälte) vertreten sein.“
Ablehnung aller Formen von Gewalt
Mit diesem Votum bestätigt die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten erneut ihre vollständige Ablehnung aller Formen von Gewalt, insbesondere der häuslichen Gewalt. Sie verpflichtet sich, ihre Kirchenmitglieder effektiv aufzuklären und zu schulen, um einen angemessenen Schutz für diejenigen zu gewährleisten, die Opfer eines solchen inakzeptablen Verhaltens sind.
Bereits 1995 verabschiedete der Verwaltungsausschuss der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Siebenten-Tags-Adventisten eine Erklärung zu Missbrauch und Gewalt in der Familie. Darin heisst es: „Wir erkennen die globale Ausbreitung des Problems und die ernsten langfristigen Auswirkungen auf das Leben aller Betroffenen. Wir sind überzeugt, dass Christen innerhalb ihrer Kirche und in der Gesellschaft auf Missbrauch und Gewalt in der Familie reagieren müssen … Wir glauben, dass Gleichgültigkeit gegenüber diesen Problemen bedeutet, ein solches Verhalten zu verharmlosen, zu verstärken und sogar potenziell zu verbreiten.“
Unabhängiger Fachbeirat „Sexueller Gewalt begegnen“ unterstützt Freikirche
Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland beschloss 2009 einen Verhaltenskodex für alle Mitarbeitenden und rief 2010 den Fachbeirat „Sexueller Gewalt begegnen“ ins Leben. Dieser bietet regelmässige Schulungen für ehren- und hauptamtlich Mitarbeitende in den örtlichen Gemeinden an, stellt Informationsmaterial bereit und kümmert sich um Menschen, die sexuelle Gewalt erlitten haben.
Nach Auskunft des Fachbeirats geben etwa zehn Prozent der adventistischen Frauen und drei Prozent der adventistischen Männer in Deutschland an, in ihrem Leben schon einmal sexuelle Gewalt erfahren zu haben. In vielen der Fälle seien auch Täter und/oder Angehörige Teil der Kirchgemeinde. Mit dem Verhaltenskodex, der Broschüre „Sexueller Gewalt begegnen“ und einer Kinderbroschüre zur Thematik stellt der Fachbeirat Materialien zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung.
Heidi Albisser - Vertreterin der Adventisten in der Deutschschweiz im Fachbeirat
Heidi Albisser ist als Vertreterin der Adventisten in der Deutschschweiz im Fachbeirat „Sexueller Gewalt begegnen“ der Adventisten in Deutschland. Die Adventisten in der Deutschschweiz haben die deutschen Broschüren „Sexueller Gewalt begegnen“ und «Wenn ich mal nicht weiterweiss» unter Mithilfe von Kinderpsychologen und Fachstellen auf die Verhältnisse in der Schweiz überarbeitet und angepasst.
Zur Handreichung für Haupt- und Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit mit Verhaltenskodex unter: sta-frauen.de.