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Buchrezension: «Das Ende der Gier»

Lüneburg/Deutschland | 02.02.2022 | APD | Buchrezensionen

Paul Collier/John Kay. Das Ende der Gier. Wie der Individualismus unsere Gesellschaft zerreisst und warum die Politik wieder dem Zusammenhalt dienen muss. Siedler-Verlag, 2021, 288 Seiten, Gebundenes Buch: 24.00 Euro, 27.90 Franken, Ebook/Kindle: 22,99 Euro; ISBN-10: ‎ 3827501423; ISBN-13: 978-3827501424

Die Welt wird in ihren Grundfesten erschüttert: die C-Seuche, die Schuldenkrise, die Erderwärmung und Flüchtlingsströme suchen die Menschheit heim. Es geht abwärts und die Gesellschaft zerreisst. So sehen es die Ökonomen Paul Collier und John Kay und suchen nach politischen Perspektiven.

Ihre These: Der Grund für den allgemeinen Niedergang sei im extremen Individualismus zu finden, der sich in grenzenloser Selbstverwirklichung und rigoroser Gewinnmaximierung zeige. Ihre Lösung: Der «Homo oeconomicus» müsse sich wieder darüber bewusstwerden, dass die Lösung der Probleme nur durch Solidarität zu erreichen sei. Nur im gemeinschaftlichen Handeln bekämen wir die Stärke, die benötigt werde, um nachhaltige Veränderungen anzustossen.

Dabei sei die Grundmotivation jedes einzelnen das erfüllte Leben, das in der Verwirklichung von Tugenden zum Tragen kommt. Dies erfordere jedoch auch Ausgewogenheit und Mässigung (S. 157). „Das gute Leben“ ist schon fast philosophisch zu verstehen, doch grosse Themen liegen Paul Collier, hat er doch bereits 2019 ein Werk zur sozialen Gerechtigkeit veröffentlicht (Sozialer Kapitalismus, Siedler-Verlag). Das neue Buch ist 274 Seiten stark und ist mit Anmerkungen, Angaben zu weiterführender Literatur, einer Bibliographie und einem Register ausgestattet. In drei gut gegliederten Kapiteln werden die Krise, die Symptome und ein Ausweg beschrieben.

Zum Inhalt
Teil eins beschreibt „den Triumph des Individualismus“, der „die Fähigkeit der Mitglieder einer Gesellschaft […]schwächt, gemeinsam auf bestimmte Ziele hinzuarbeiten.“ Die Lage ist düster: „Wir leben in Gesellschaften, die von Selbstsucht durchdrungen sind“ (S. 27) und die zudem der „Selbstüberschätzung von Politikern und Wirtschaftskapitänen“ (S. 11) ausgeliefert sind. Die Qualität der wechselseitigen Beziehungen ist durch Uneinigkeit gelähmt und die Menschheit grundsätzlich gespalten in arm und reich sowie links und rechts.

Im zweiten Teil werden deshalb die Aufgaben und Grenzen des Staats aufgezeigt, der beständig durch rechte und linke Ideologien bedroht wird. So muss der Staat als gemeinschaftsstiftende Institution nicht bloss alimentieren, sondern individuelle Entwicklungs- und Bildungschancen eröffnen, um Gerechtigkeit zu schaffen. Andererseits müssen egozentrische Positionen, die auf Populismus, Identitätspolitik oder übersteigertem Kapitalismus aufbauen, bekämpft werden zugunsten der Förderung von Mitgestaltungsmöglichkeiten sowie dem Willen dazu. Denn eine „partizipative Demokratie ist nicht nur dem gesellschaftlichen Wohlergehen förderlich, sie ist eine existentielle Notwendigkeit“ (S. 202).

Im dritten Teil stellen die Autoren ihre Lösung vor, indem sie die Perspektive für den Kommunitarismus öffnen, der die Notwendigkeit der Gemeinschaft und des sozialen Zusammenhalts betont. Kommunitaristische Politik fördert sachlich fundierten Gemeinsinn (S. 196) und stehe „ethnischen Nationalismus“ (S. 172) nicht entgegen. Die Autoren sehen Gemeinschaft und Markt dabei grundsätzlich nicht in einem Widerspruch, sondern konstruktiv aufeinander bezogen. Theoretisch beziehen sich beide Wissenschaftler auf kommunitaristische Philosophen, wie Amitai Etzioni, Alasdair MacIntyre, Michael Sandel und Michael Walzer.

Zum Punkt
Die Autoren schreiben engagiert mit vielen Beispielen. Die Coronakrise wird als Ausgangslage genommen, doch wurde das Buch schon vor der Krise konzipiert. Allerdings ist der nationale und gesellschaftliche Hintergrund britisch und bleibt für den deutschen Leser manchmal fremd. Die deutsche Ausgabe wurde um kleine fachliche Einschübe zum deutschen Kontext ergänzt, was jedoch aufgesetzt erscheint und sich nicht flüssig in den Inhalt einfügt. Doch erscheint das Thema grundsätzlich hochaktuell und in These und Lösungsvorschlag durchaus plausibel. Allerdings besteht die Gefahr der Romantisierung und Idealisierung. Es fällt schwer, bei solch ambitionierten Themen nüchtern zu bleiben.

So ist auch ein deutliches Sendungsbewusstsein herauszuhören, auch wenn beide Autoren betonen, nichts als Evangelisten aufzutreten. Trotzdem wird der Seelenfrieden als Belohnung in Aussicht gestellt, der demjenigen winkt, der seine moralische Verantwortung der praktischen Weltgestaltung zum Wohle der Menschheit annimmt (S. 203). Doch trotz oder gerade wegen dieser religiösen Obertöne, stellt das Buch das kommunitaristische Rezept für ein erfülltes Leben jenseits des übersteigerten Individualismus mit seinen falschen Versprechungen schmackhaft dar. Der Leser bekommt Lust auf Alternativen zum Lebensmotto: Geiz ist geil. Doch das Ende der Gier scheint im Grossen und Ganzen noch nicht gekommen zu sein und so scheint der Titel des Buches eher Wunsch als Wirklichkeit.

Claudia Mohr

Die Rezension kann als Dokument heruntergeladen werden: https://www.apd.info/wp-content/uploads/2022/01/Rezension-Paul-Collier-John-Kay-Das-Ende-der-Gier.pdf

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