Bettina Krause, Mitglied des Vorbereitungsausschusses, trägt Entwurfstext der Erklärung vor. Foto: © Pieter Damsteegt / NAD

Unterdrückung indigener Völker: Nordamerikanische Adventisten beschliessen Erklärung zur „Entdeckungsdoktrin“

Columbia, Maryland/USA | 14.11.2023 | APD | International

Die nordamerikanische Kirchenleitung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Nordamerikanische Division/NAD) hat eine Erklärung zur „Entdeckungsdoktrin“ ("doctrine of discovery") veröffentlicht, die als erste offizielle Stellungnahme der Kirche zu diesem Thema gilt. Die zu Beginn der Kolonialzeit entwickelte Entdeckungsdoktrin legitimiert den Raub von Land, Ressourcen und Rechten indigener Völker durch europäische Entdecker. Die NAD-Erklärung wendet sich gegen diese Lehre und drückt Reue für den Missbrauch indigener Völker aus. Die Erklärung wurde am 31. Oktober auf der Jahresendsitzung des Exekutivausschusses der nordamerikanischen Adventisten verabschiedet, wie der Pressedienst der NAD mitteilte.

Über die Entdeckungsdoktrin
Die 1493 von Papst Alexander VI. aufgestellte Entdeckungsdoktrin (deren Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen) besagt, dass jedes nicht von Christen bewohnte Land von europäischen Entdeckungsreisenden „entdeckt“ und im Namen seines Souveräns (meist eines Monarchen) beansprucht werden kann. Dieses Dokument war die grundlegende Rechtfertigung für den jahrhundertelangen Missbrauch von Menschen durch den Kolonialismus, indem es den Europäern das selbsterklärte Recht gab, in indigenes Land einzudringen, es sich anzueignen und die indigene Bevölkerung zu beherrschen. Dieses Recht wurde 1823 vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten anerkannt und noch 2005 in einer Entscheidung des Gerichtshofs angewandt.

Zum Inhalt der Erklärung
„Seit ihren Anfängen hat die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten versucht, den heilenden und versöhnenden Dienst Christi widerzuspiegeln“, beginnt die Erklärung. „In einer von menschlicher Gewalt und Egoismus verwüsteten Welt beklagen die Siebenten-Tags-Adventisten als Nachfolger Christi ... menschliche Taten und Haltungen in Vergangenheit und Gegenwart, die den Charakter Gottes verfälscht und zu den tief zerrütteten Strukturen der heutigen Welt beigetragen haben“.

„Im Laufe der Jahrhunderte wurde diese Lehre immer wieder benutzt, um Massnahmen zu rechtfertigen, die auf die Ausrottung, Assimilierung und Versklavung indigener Völker abzielten“, heisst es in dem Dokument. „Jahrhunderte der Entmenschlichung, Unterwerfung und Ausbeutung indigener Völker, oft unter dem Banner des Christentums, zwingen diejenigen, die den Namen Christi tragen, zu einer Antwort“.

Der letzte Absatz der Erklärung schliesst mit den Worten: „Wir lehnen daher die Entdeckungsdoktrin und die ihr zugrunde liegenden Ideen und Überzeugungen entschieden ab und verpflichten uns, gesunde, respektvolle und gerechte Beziehungen zu den indigenen Völkern in den Vereinigten Staaten, Kanada, Bermuda und Guam-Mikronesien aufzubauen und zu fördern. Dabei werden wir stets danach streben, den wahren Charakter des Gottes, dem wir dienen, in unseren Gemeinden, Institutionen und in unserer Gesellschaft widerzuspiegeln“.

Lob und Bedenken
Die verabschiedete Erklärung enthält Informationen und Aufklärung über die Entdeckungsdoktrin und ihren Auswirkungen im Laufe der Jahre. Die Erklärung soll dazu beitragen, besser informiert zu sein. Sie wurde von vielen Verantwortungsträgern der nordamerikanischen Adventisten begrüsst, darunter Michael Campbell, Direktor für Archive, Statistik und Forschung, der betont, dass sie dem Geist und Ethos der adventistischen Kirchengründer entspreche.

Einige Mitglieder des Exekutivausschusses äusserten jedoch Bedenken hinsichtlich der Verwendung des Wortes „Verantwortung“ in der Erklärung, da dies rechtliche Konsequenzen haben könnte. Andere betonten, dass Erklärungen nicht ausreichten und sich die adventistische Kirche stärker darauf konzentrieren sollte, Menschen in konkreten Nöten zu helfen

Nicht dabei stehenbleiben
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Notwendigkeit, mehr für indigene Völker zu tun. Ken Denslow, ehemaliger Assistent des Präsidenten der nordamerikanischen Adventisten und derzeitiger Präsident der regionalen Kirchenleitung im Gebiet der Grossen Seen im Norden der USA, betonte die Wichtigkeit, nicht nur über die Rechte und Bedürfnisse indigener Völker zu sprechen, sondern auch zu handeln und Ressourcen für sie zu investieren.

Die Erklärung zur Entdeckungdoktrin wurde angenommen, wobei klargestellt wurde, dass es sich um eine Anerkennung der Ungerechtigkeiten der Vergangenheit und eine Distanzierung von früheren Praktiken handelt. Die Nordamerikanische Kirchenleitung der Adventisten hofft, dass diese Erklärung den Weg für weitere Massnahmen ebnen wird, um besser auf die indigenen Gemeinschaften einzugehen und ihnen ihre Würde zurückzugeben.

Der Wortlaut der Erklärung kann unter folgendem Shortlink heruntergeladen werden (engl.): https://t.ly/_98TK

Auch die Juli-/Augustausgabe der weltweiten adventistischen Kirchenzeitschrift Adventist World setzte sich kritisch mit Kolonialismus und christlicher Mission auseinander. Siehe APD-Meldung vom 7. August: https://apd.media/news/archiv/15789.html

Vatikan distanzierte sich ebenfalls von Entdeckungsdoktrin
Der Vatikan reagierte Ende März dieses Jahres auf zahlreiche indigene Forderungen mit der formellen Ablehnung der „Entdeckungsdoktrin“. In der Erklärung des Vatikans heisst es, dass diese auch von Päpsten erlassenen Dekrete hinsichtlich dieser Lehre „die Würde und Gleichberechtigung der indigenen Völker nicht angemessen widerspiegelten“ und nie als Ausdruck des katholischen Glaubens angesehen wurden.

Es heisst darin, die Dokumente seien von den Kolonialmächten zu politischen Zwecken „manipuliert“ worden, um „unmoralische Handlungen gegen indigene Völker zu rechtfertigen, manchmal ohne den Widerstand kirchlicher Autoritäten“. In der Erklärung der Entwicklungs- und Bildungsbüros des Vatikans hiess es, es sei richtig, „diese Fehler anzuerkennen“, die schrecklichen Auswirkungen der Assimilationspolitik der Kolonialzeit auf indigene Völker anzuerkennen und um Vergebung zu bitten.

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