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Buchrezension: Jacob Schmidt: Viel Lärm um Achtsamkeit

Ostfildern/Deutschland | 04.10.2024 | APD | Buchrezensionen

Buchrezension: Jacob Schmidt: Viel Lärm um Achtsamkeit; Kösel-Verlag, München 2024, 224 Seiten, Hardcover: 20,00 Euro, 29.90 Franken, E-Book: 12,99 Euro, ISBN-10: ‎ 3466373158, ISBN-13: ‎ 978-3466373154

Das gute Leben ist das Ziel vieler Menschen, aber wie kommt man dorthin? Jacob Schmidt widmet sich in seinem neuesten Buch der populären Achtsamkeitsbewegung als gesellschaftlichem Trend und nimmt diese kritisch unter die Lupe.

So schillernd der Begriff daherkommt, so vielschichtig ist auch das Phänomen Achtsamkeit: mal esoterisch-religiös, mal philosophisch oder auch psychologisch-neurologisch. Schmidt analysiert diese verschiedenen Ansätze und nimmt seine Dissertation zum Thema als Grundlage. Er beschreibt Achtsamkeit als eine meditative Praxis, die durch eine bewusste Haltung ein gelingendes Leben ermöglichen soll. Auch wenn sich die Methoden zum Teil gegensätzlich präsentieren, liegt die gemeinsame Wurzel weltanschaulich im Buddhismus. Echte Achtsamkeit ist ohne ernste Meditationsübungen nicht zu haben.

Die Idee der Achtsamkeit, die mit der Vipassana-Meditation in Südostasien geboren wurde, hat inzwischen auch in Europa Einzug in alle gesellschaftlichen Bereiche gehalten, von den Hochschulen bis zu den Gefängnissen. Asketische Retreats, Stressreduktionskurse und Ratgeber für achtsames Erziehen/Essen/Sporttreiben (S. 39) sind im Mainstream angekommen. Mit der Rückbesinnung auf das Hier und Jetzt verspricht die Bewegung vordergründig eine einfache Antwort auf die Kompliziertheit des Lebens. Doch der Hauch von Selbsterlösung und Selbstoptimierung irritiert ebenso wie die asketische Weltflucht und der neoliberale Zeitgeist. Die vorgestellte These: Achtsamkeit verspricht mehr als sie zu bieten hat, da sich in ihr die Konflikte, Widersprüche und Herausforderungen der Moderne offenbaren.

Zum Inhalt
Der Lärm um die Achtsamkeit wird auf gut 220 Seiten (mit Anmerkungen) beklagt. In fünf Kapiteln werden gesellschaftstheoretische Ansätze und wissenschaftliche Analysen einleitend vorgestellt. Dabei wird der Frage nachgegangen, was Achtsamkeit eigentlich ist, wie sie populär wurde und warum sie so umkämpft ist. Schmidt ist der Ansicht, dass Achtsamkeit sinnvoll begrenzt werden muss, um zum Fragment eines gelingenden Lebens beizutragen. Hartmut Rosa liefert das Vorwort und ein Nachwort des Autors will emotionale und persönliche Akzente setzen. Neben dem zu beklagenden Lärm der Bewegung und aller Kritik wirbt Schmidt in der Quintessenz für Behutsamkeit und Zuversicht, die Achtsamkeit hervorrufen soll.

Der Beitrag der Achtsamkeit zu einem gelingenden Leben besteht nach Schmidt darüber hinaus in einer kultivierten Selbstdistanz, die sich in einem gelassenen Umgang mit der Vergänglichkeit des Lebens und konkretem Leid zeigt. Diese Selbstdistanz dürfe aber nicht unter der Hand durch die Suche nach dem „wahren Selbst“ zu einer Selbstzentrierung werden, sondern müsse einen soziologischen Lern- und Reflexionsprozess in Gang setzen, dem eine „Toleranz für Langeweile“ (S. 178) innewohne. Nur so könne der heutigen Eventisierung der Achtsamkeit begegnet und wahrhafte Musse entstehen.

Zum Buch
Verändert Achtsamkeit die Gegenwart oder nicht? Schmidt ist eher der Meinung, dass Achtsamkeit entpolitisiert und die Menschen sich ins Private zurückziehen. Nicht die gesellschaftlichen Strukturen, die den persönlichen Stress erzeugen, werden verbessert, sondern der Umgang mit dem allgegenwärtigen Stress wird persönlich bearbeitet. Wichtig zu wissen ist, dass Schmidt selbst politisch aktiv ist und als Referent für strategische Kommunikation bei der Fraktion der Partei DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag arbeitet. Also versucht das Buch ein Sowohl-als-auch zu vermitteln, die Kritik der Achtsamkeitsbewegung ernst zu nehmen und trotzdem auf Kissen zu sitzen, um Puls und Blutdruck zu senken.

Ein kritisches, wissenschaftlich fundiertes, oft soziologisch argumentierendes und mit persönlichen Erfahrungen zum Thema angereichertes Buch. Dennoch spürt man beim Lesen den inneren Zwiespalt des Autors. Einerseits gibt er zu, selbst vom „Achtsamkeitsvirus“ infiziert zu sein, andererseits ist er auch schon wieder im Stadium der Entzauberung angelangt. Das macht die Lektüre ambivalent. Zwischen den zugegebenermassen gut strukturierten Unterpunkten ist man zudem aufgrund längerer soziologisch-philosophischer Ausführungen versucht, die gedankliche Richtung zu verlieren. Wo wollte man eigentlich hin? Letztlich wird den Lesenden die Meinungsbildung nicht abgenommen, sondern sie sind eingeladen, anhand der Fakten selbst zu entscheiden, wie viel Achtsamkeit und Buddhismus es denn braucht, um das persönliche Leben gelingen zu lassen.
Claudia Mohr

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